Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

"den Todeskampf ausgekämpft, denn ich fühle
"mich so allein, gleichwie in einer Eindde; --
"und doch innerlich so wohl
." Als sie indessen meinte,
er habe nicht ferner mit dem Tode zu ringen -- und sie ihn
darüber befragte, erwiederte er: "Nein, es ist noch man-
"ches Pröbchen zu bestehen
." Und daß der Christ weder
mit Leichtsinn, noch mit Vermessenheit dem nahen Tode ins
Auge blickt, erkennt man aus seinen Aeußerungen, welche er
deßhalb seiner zweiten Tochter gab, als sie an einem dieser Tage
mit ihm sich vom Tode unterhielt, und er sagte: "Es ist
"eine wichtige Sache um das Sterben, und keine
"Kleinigkeit
." Und ein anderes Mal: "Es ist eine
"wunderbare Sache um die Zukunft
!" Woraus zu
ersehen ist, wie auch dem Manne, der auf alle Seiten hin für
die Ehre des Höchsten mit allen seinen Kräften in der Welt ge-
wirkt hatte, und dem die Zukunft mit den schönsten Farben sich
darstellen konnte, wie auch ihm der Uebergang in jenes Leben
und die baldige Rechenschaft höchst ernst und wichtig vorkam.
Da er sein ganzes Leben hindurch im Schlafe laut gesprochen,
war dieß auch jetzt noch der Fall, und da er einige Male da-
zwischen aufwachte, fragte er seine zweite Tochter: "Nicht
"wahr, seitdem meine Frau todt ist, bin ich nicht zu
Hause, ich rede ungereimte Sachen im Schlafe
?" --
Als sie ihm entgegnete: nein, im Gegentheil, was er rede sey
nur erbaulich, so sagte er: "Ja, das ist eine rechte Gnade
"Gottes
!" Die Besorgniß, im schlummernden Zustande etwas
Ungeziemendes zu sagen, äußerte er mehrmals, denn er wollte
nur zur Ehre des Herrn reden und ausharren. So hörte ich
ihn im Schlafe nur gottesfürchtige Aeußerungen thun, als:
"Gott hat mich mit unaussprechlicher Huld ge-
"leitet! -- Der Herr segne Sie
!" und -- "Ja,
"man muß erst genau nachsehen, wie es gemeint
"ist, ehe man in Irrthum übergeht
!" und dergleichen.

Mit zunehmender Schwäche ließ auch das öftere Sprechen
im Schlafe nach, und wachend redete er weniger durch Worte
als durch freundliche Blicke. Wenn er sah, wie sich Alle beeifer-
ten, ihn zu bedienen, sagte er mehrmals: "Ihr lieben En-

„den Todeskampf ausgekaͤmpft, denn ich fuͤhle
„mich ſo allein, gleichwie in einer Eindde; —
„und doch innerlich ſo wohl
.“ Als ſie indeſſen meinte,
er habe nicht ferner mit dem Tode zu ringen — und ſie ihn
daruͤber befragte, erwiederte er: „Nein, es iſt noch man-
„ches Proͤbchen zu beſtehen
.“ Und daß der Chriſt weder
mit Leichtſinn, noch mit Vermeſſenheit dem nahen Tode ins
Auge blickt, erkennt man aus ſeinen Aeußerungen, welche er
deßhalb ſeiner zweiten Tochter gab, als ſie an einem dieſer Tage
mit ihm ſich vom Tode unterhielt, und er ſagte: „Es iſt
„eine wichtige Sache um das Sterben, und keine
„Kleinigkeit
.“ Und ein anderes Mal: „Es iſt eine
„wunderbare Sache um die Zukunft
!“ Woraus zu
erſehen iſt, wie auch dem Manne, der auf alle Seiten hin fuͤr
die Ehre des Hoͤchſten mit allen ſeinen Kraͤften in der Welt ge-
wirkt hatte, und dem die Zukunft mit den ſchoͤnſten Farben ſich
darſtellen konnte, wie auch ihm der Uebergang in jenes Leben
und die baldige Rechenſchaft hoͤchſt ernſt und wichtig vorkam.
Da er ſein ganzes Leben hindurch im Schlafe laut geſprochen,
war dieß auch jetzt noch der Fall, und da er einige Male da-
zwiſchen aufwachte, fragte er ſeine zweite Tochter: „Nicht
„wahr, ſeitdem meine Frau todt iſt, bin ich nicht zu
Hauſe, ich rede ungereimte Sachen im Schlafe
?“ —
Als ſie ihm entgegnete: nein, im Gegentheil, was er rede ſey
nur erbaulich, ſo ſagte er: „Ja, das iſt eine rechte Gnade
„Gottes
!“ Die Beſorgniß, im ſchlummernden Zuſtande etwas
Ungeziemendes zu ſagen, aͤußerte er mehrmals, denn er wollte
nur zur Ehre des Herrn reden und ausharren. So hoͤrte ich
ihn im Schlafe nur gottesfuͤrchtige Aeußerungen thun, als:
Gott hat mich mit unausſprechlicher Huld ge-
„leitet! — Der Herr ſegne Sie
!“ und — „Ja,
„man muß erſt genau nachſehen, wie es gemeint
„iſt, ehe man in Irrthum uͤbergeht
!“ und dergleichen.

Mit zunehmender Schwaͤche ließ auch das oͤftere Sprechen
im Schlafe nach, und wachend redete er weniger durch Worte
als durch freundliche Blicke. Wenn er ſah, wie ſich Alle beeifer-
ten, ihn zu bedienen, ſagte er mehrmals: „Ihr lieben En-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><hi rendition="#g"><pb facs="#f0646" n="638"/>
&#x201E;den Todeskampf ausgeka&#x0364;mpft, denn ich fu&#x0364;hle<lb/>
&#x201E;mich &#x017F;o allein, gleichwie in einer Eindde; &#x2014;<lb/>
&#x201E;und doch innerlich &#x017F;o wohl</hi>.&#x201C; Als &#x017F;ie inde&#x017F;&#x017F;en meinte,<lb/>
er habe nicht ferner mit dem Tode zu ringen &#x2014; und &#x017F;ie ihn<lb/>
daru&#x0364;ber befragte, erwiederte er: &#x201E;<hi rendition="#g">Nein, es i&#x017F;t noch man-<lb/>
&#x201E;ches Pro&#x0364;bchen zu be&#x017F;tehen</hi>.&#x201C; Und daß der Chri&#x017F;t weder<lb/>
mit Leicht&#x017F;inn, noch mit Verme&#x017F;&#x017F;enheit dem nahen Tode ins<lb/>
Auge blickt, erkennt man aus &#x017F;einen Aeußerungen, welche er<lb/>
deßhalb &#x017F;einer zweiten Tochter gab, als &#x017F;ie an einem die&#x017F;er Tage<lb/>
mit ihm &#x017F;ich vom Tode unterhielt, und er &#x017F;agte: &#x201E;<hi rendition="#g">Es i&#x017F;t<lb/>
&#x201E;eine wichtige Sache um das Sterben, und keine<lb/>
&#x201E;Kleinigkeit</hi>.&#x201C; Und ein anderes Mal: &#x201E;<hi rendition="#g">Es i&#x017F;t eine<lb/>
&#x201E;wunderbare Sache um die Zukunft</hi>!&#x201C; Woraus zu<lb/>
er&#x017F;ehen i&#x017F;t, wie auch dem Manne, der auf alle Seiten hin fu&#x0364;r<lb/>
die Ehre des Ho&#x0364;ch&#x017F;ten mit allen &#x017F;einen Kra&#x0364;ften in der Welt ge-<lb/>
wirkt hatte, und dem die Zukunft mit den &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten Farben &#x017F;ich<lb/>
dar&#x017F;tellen konnte, wie auch ihm der Uebergang in jenes Leben<lb/>
und die baldige Rechen&#x017F;chaft ho&#x0364;ch&#x017F;t ern&#x017F;t und wichtig vorkam.<lb/>
Da er &#x017F;ein ganzes Leben hindurch im Schlafe laut ge&#x017F;prochen,<lb/>
war dieß auch jetzt noch der Fall, und da er einige Male da-<lb/>
zwi&#x017F;chen aufwachte, fragte er &#x017F;eine zweite Tochter: &#x201E;<hi rendition="#g">Nicht<lb/>
&#x201E;wahr, &#x017F;eitdem meine Frau todt i&#x017F;t, bin ich nicht zu<lb/>
Hau&#x017F;e, ich rede ungereimte Sachen im Schlafe</hi>?&#x201C; &#x2014;<lb/>
Als &#x017F;ie ihm entgegnete: nein, im Gegentheil, was er rede &#x017F;ey<lb/>
nur erbaulich, &#x017F;o &#x017F;agte er: &#x201E;<hi rendition="#g">Ja, das i&#x017F;t eine rechte Gnade<lb/>
&#x201E;Gottes</hi>!&#x201C; Die Be&#x017F;orgniß, im &#x017F;chlummernden Zu&#x017F;tande etwas<lb/>
Ungeziemendes zu &#x017F;agen, a&#x0364;ußerte er mehrmals, denn er wollte<lb/>
nur zur Ehre des Herrn reden und ausharren. So ho&#x0364;rte ich<lb/>
ihn im Schlafe nur gottesfu&#x0364;rchtige Aeußerungen thun, als:<lb/>
&#x201E;<hi rendition="#g">Gott hat mich mit unaus&#x017F;prechlicher Huld ge-<lb/>
&#x201E;leitet! &#x2014; Der Herr &#x017F;egne Sie</hi>!&#x201C; und &#x2014; &#x201E;<hi rendition="#g">Ja,<lb/>
&#x201E;man muß er&#x017F;t genau nach&#x017F;ehen, wie es gemeint<lb/>
&#x201E;i&#x017F;t, ehe man in Irrthum u&#x0364;bergeht</hi>!&#x201C; und dergleichen.</p><lb/>
        <p>Mit zunehmender Schwa&#x0364;che ließ auch das o&#x0364;ftere Sprechen<lb/>
im Schlafe nach, und wachend redete er weniger durch Worte<lb/>
als durch freundliche Blicke. Wenn er &#x017F;ah, wie &#x017F;ich Alle beeifer-<lb/>
ten, ihn zu bedienen, &#x017F;agte er mehrmals: &#x201E;<hi rendition="#g">Ihr lieben En-<lb/></hi></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[638/0646] „den Todeskampf ausgekaͤmpft, denn ich fuͤhle „mich ſo allein, gleichwie in einer Eindde; — „und doch innerlich ſo wohl.“ Als ſie indeſſen meinte, er habe nicht ferner mit dem Tode zu ringen — und ſie ihn daruͤber befragte, erwiederte er: „Nein, es iſt noch man- „ches Proͤbchen zu beſtehen.“ Und daß der Chriſt weder mit Leichtſinn, noch mit Vermeſſenheit dem nahen Tode ins Auge blickt, erkennt man aus ſeinen Aeußerungen, welche er deßhalb ſeiner zweiten Tochter gab, als ſie an einem dieſer Tage mit ihm ſich vom Tode unterhielt, und er ſagte: „Es iſt „eine wichtige Sache um das Sterben, und keine „Kleinigkeit.“ Und ein anderes Mal: „Es iſt eine „wunderbare Sache um die Zukunft!“ Woraus zu erſehen iſt, wie auch dem Manne, der auf alle Seiten hin fuͤr die Ehre des Hoͤchſten mit allen ſeinen Kraͤften in der Welt ge- wirkt hatte, und dem die Zukunft mit den ſchoͤnſten Farben ſich darſtellen konnte, wie auch ihm der Uebergang in jenes Leben und die baldige Rechenſchaft hoͤchſt ernſt und wichtig vorkam. Da er ſein ganzes Leben hindurch im Schlafe laut geſprochen, war dieß auch jetzt noch der Fall, und da er einige Male da- zwiſchen aufwachte, fragte er ſeine zweite Tochter: „Nicht „wahr, ſeitdem meine Frau todt iſt, bin ich nicht zu Hauſe, ich rede ungereimte Sachen im Schlafe?“ — Als ſie ihm entgegnete: nein, im Gegentheil, was er rede ſey nur erbaulich, ſo ſagte er: „Ja, das iſt eine rechte Gnade „Gottes!“ Die Beſorgniß, im ſchlummernden Zuſtande etwas Ungeziemendes zu ſagen, aͤußerte er mehrmals, denn er wollte nur zur Ehre des Herrn reden und ausharren. So hoͤrte ich ihn im Schlafe nur gottesfuͤrchtige Aeußerungen thun, als: „Gott hat mich mit unausſprechlicher Huld ge- „leitet! — Der Herr ſegne Sie!“ und — „Ja, „man muß erſt genau nachſehen, wie es gemeint „iſt, ehe man in Irrthum uͤbergeht!“ und dergleichen. Mit zunehmender Schwaͤche ließ auch das oͤftere Sprechen im Schlafe nach, und wachend redete er weniger durch Worte als durch freundliche Blicke. Wenn er ſah, wie ſich Alle beeifer- ten, ihn zu bedienen, ſagte er mehrmals: „Ihr lieben En-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/646
Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 638. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/646>, abgerufen am 10.06.2024.