In der Nacht schon vom Palmsonntag auf den Montag sprach er seinem jüngsten Sohne, der gerade bei ihm wachte, viel von seinem nahen Tode, das er zuvor nie gethan, und schon damals sein Ende näher glaubend, sagte er ihm gegen Tagesanbruch: "Jetzt rufe deine Geschwister zusammen!" Jedoch kam er wieder zu mehreren Kräften, und, was er noch den Tag vor seinem Sterben that, er ließ sich ein Pfeifchen stopfen. Es machte ihm aber das Wasser in der Brust viel zu schaffen, nachdem sich schon einige Wochen zuvor seine Seitenschmerzen des Magenkrampfes verloren hatten; darum mußte er schwer und laut athmen und stöhnen, und öfters husten, was alles an dem vorletzten Tage verging. Er sprach sehr wenig, nur ab- gebrochene Sätze, aber immer mit völligem Bewußtseyn; auch schlief er wenig, wenn gleich er oft die Augen zuschloß, denn alsbald öffnete er sie, so wie sich Jemand bewegte, oder die Thüre ging.
An diesem Tage und früher, und noch am folgenden mag er sich viel mit Beweisen, Einwürfen, Gegenbeweisen und Wider- legen, für die Lehre der Unsterblichkeit und des christlichen Glau- bens in Gedanken beschäftigt haben, das schien aus seiner Unruhe im Schlafen und Wachen, und aus den abgebrochenen Worten und Sätzen, welche er deßhalb aussprach, hervor zu leuchten. Denn, wie man auch vom heiligen Martinus sagt, sah er im- mer im Traume neben sich einen schwarzen Mann, der ihn quälte, und der seinen regen Geist beschäftigte und beunruhigte, gleichsam scheinend, als wollten böse Geister ihn noch auf dem Sterbebette ängstigen oder gar von dem Glauben abwendig machen. Denn schlafend sagte er: "Sagt mir doch, liebe Kin- "der, wer ist der schwarze Mann da, der mich im- "mer quält? Seht Ihr ihn denn nicht?" Einige Tage zuvor hatte er, wie er des andern Tags seinen Töchtern erzählte, geträumt: Der schwarze Mann spreche zu ihm: komme mit! Er aber habe geantwortet: "Nein ich will nicht, gehe weg!" allein diese Anfechtungen waren alle am vorletz- ten Tage überwunden, und seine Unruhe in große Ruhe und Feierlichkeit übergegangen. Auch erklärte er sich hierüber seiner dritten Tochter mit den Worten: "Ich glaube, ich habe
In der Nacht ſchon vom Palmſonntag auf den Montag ſprach er ſeinem juͤngſten Sohne, der gerade bei ihm wachte, viel von ſeinem nahen Tode, das er zuvor nie gethan, und ſchon damals ſein Ende naͤher glaubend, ſagte er ihm gegen Tagesanbruch: „Jetzt rufe deine Geſchwiſter zuſammen!“ Jedoch kam er wieder zu mehreren Kraͤften, und, was er noch den Tag vor ſeinem Sterben that, er ließ ſich ein Pfeifchen ſtopfen. Es machte ihm aber das Waſſer in der Bruſt viel zu ſchaffen, nachdem ſich ſchon einige Wochen zuvor ſeine Seitenſchmerzen des Magenkrampfes verloren hatten; darum mußte er ſchwer und laut athmen und ſtoͤhnen, und oͤfters huſten, was alles an dem vorletzten Tage verging. Er ſprach ſehr wenig, nur ab- gebrochene Saͤtze, aber immer mit voͤlligem Bewußtſeyn; auch ſchlief er wenig, wenn gleich er oft die Augen zuſchloß, denn alsbald oͤffnete er ſie, ſo wie ſich Jemand bewegte, oder die Thuͤre ging.
An dieſem Tage und fruͤher, und noch am folgenden mag er ſich viel mit Beweiſen, Einwuͤrfen, Gegenbeweiſen und Wider- legen, fuͤr die Lehre der Unſterblichkeit und des chriſtlichen Glau- bens in Gedanken beſchaͤftigt haben, das ſchien aus ſeiner Unruhe im Schlafen und Wachen, und aus den abgebrochenen Worten und Saͤtzen, welche er deßhalb ausſprach, hervor zu leuchten. Denn, wie man auch vom heiligen Martinus ſagt, ſah er im- mer im Traume neben ſich einen ſchwarzen Mann, der ihn quaͤlte, und der ſeinen regen Geiſt beſchaͤftigte und beunruhigte, gleichſam ſcheinend, als wollten boͤſe Geiſter ihn noch auf dem Sterbebette aͤngſtigen oder gar von dem Glauben abwendig machen. Denn ſchlafend ſagte er: „Sagt mir doch, liebe Kin- „der, wer iſt der ſchwarze Mann da, der mich im- „mer quaͤlt? Seht Ihr ihn denn nicht?“ Einige Tage zuvor hatte er, wie er des andern Tags ſeinen Toͤchtern erzaͤhlte, getraͤumt: Der ſchwarze Mann ſpreche zu ihm: komme mit! Er aber habe geantwortet: „Nein ich will nicht, gehe weg!“ allein dieſe Anfechtungen waren alle am vorletz- ten Tage uͤberwunden, und ſeine Unruhe in große Ruhe und Feierlichkeit uͤbergegangen. Auch erklaͤrte er ſich hieruͤber ſeiner dritten Tochter mit den Worten: „Ich glaube, ich habe
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In der Nacht ſchon vom Palmſonntag auf den Montag ſprach
er ſeinem juͤngſten Sohne, der gerade bei ihm wachte, viel von
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ſein Ende naͤher glaubend, ſagte er ihm gegen Tagesanbruch:
„Jetzt rufe deine Geſchwiſter zuſammen!“ Jedoch
kam er wieder zu mehreren Kraͤften, und, was er noch den
Tag vor ſeinem Sterben that, er ließ ſich ein Pfeifchen ſtopfen.
Es machte ihm aber das Waſſer in der Bruſt viel zu ſchaffen,
nachdem ſich ſchon einige Wochen zuvor ſeine Seitenſchmerzen
des Magenkrampfes verloren hatten; darum mußte er ſchwer
und laut athmen und ſtoͤhnen, und oͤfters huſten, was alles an
dem vorletzten Tage verging. Er ſprach ſehr wenig, nur ab-
gebrochene Saͤtze, aber immer mit voͤlligem Bewußtſeyn; auch
ſchlief er wenig, wenn gleich er oft die Augen zuſchloß, denn
alsbald oͤffnete er ſie, ſo wie ſich Jemand bewegte, oder die
Thuͤre ging.
An dieſem Tage und fruͤher, und noch am folgenden mag er
ſich viel mit Beweiſen, Einwuͤrfen, Gegenbeweiſen und Wider-
legen, fuͤr die Lehre der Unſterblichkeit und des chriſtlichen Glau-
bens in Gedanken beſchaͤftigt haben, das ſchien aus ſeiner Unruhe
im Schlafen und Wachen, und aus den abgebrochenen Worten
und Saͤtzen, welche er deßhalb ausſprach, hervor zu leuchten.
Denn, wie man auch vom heiligen Martinus ſagt, ſah er im-
mer im Traume neben ſich einen ſchwarzen Mann, der ihn
quaͤlte, und der ſeinen regen Geiſt beſchaͤftigte und beunruhigte,
gleichſam ſcheinend, als wollten boͤſe Geiſter ihn noch auf dem
Sterbebette aͤngſtigen oder gar von dem Glauben abwendig machen.
Denn ſchlafend ſagte er: „Sagt mir doch, liebe Kin-
„der, wer iſt der ſchwarze Mann da, der mich im-
„mer quaͤlt? Seht Ihr ihn denn nicht?“ Einige Tage
zuvor hatte er, wie er des andern Tags ſeinen Toͤchtern erzaͤhlte,
getraͤumt: Der ſchwarze Mann ſpreche zu ihm: komme
mit! Er aber habe geantwortet: „Nein ich will nicht,
gehe weg!“ allein dieſe Anfechtungen waren alle am vorletz-
ten Tage uͤberwunden, und ſeine Unruhe in große Ruhe und
Feierlichkeit uͤbergegangen. Auch erklaͤrte er ſich hieruͤber ſeiner
dritten Tochter mit den Worten: „Ich glaube, ich habe
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 637. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/645>, abgerufen am 23.11.2024.
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