prüfte und verklärte Freundin! Ruhe sanft in den Armen deines Erlösers, bis wir uns wieder sehen.
Es ist eine durchaus richtige Bemerkung, daß Unterthanen nie glücklicher seyn können, als wenn sie Leibeigene solcher vor- trefflichen Herrschaften sind.
Wir blieben neun Tage in Niesky, und als meine Geschäfte geendigt waren, so reisten wir wieder zurück nach Kleinwelke, wo wir den 24. Mai des Abends ankamen.
Hier fand ich nun wieder viel zu thun, so daß ich bis den 29. da bleiben mußte.
An diesem Tage reisten wir wieder zurück nach Herrenhut, zur Predigerconferenz, zu welcher ich eingeladen worden war.
Es ist der Mühe werth, daß ich diese merkwürdige Anstalt meinen Lesern etwas näher entwickle.
Es waren jetzt gerade 50 Jahre, als der Bischof Reichel diese Zusammenkunft veranlaßte, und jetzt lebte der ehrwürdige Greis noch, so daß er also das Jubiläum dieser Predigerconfe- renz feiern konnte. Am 30. Mai kommen eine Menge Prediger aus beiden protestantischen Confessionen, aus allen benachbarten Provinzen, in Herrenhut zusammen; es waren ihrer jetzt ungefähr 70. Kein Prediger wurde abgewiesen, und es kommt hier nicht darauf an, ob er mit der Brüderkirche in Verbindung steht, oder nicht. Leute aus andern Ständen werden ohne be- sondere Vergünstigung nicht zugelassen, die Standesherren aus- genommen; denn diese müssen doch wissen, was ihre Prediger thun und beschließen, um nöthigenfalls die Hand bieten oder mitrathen zu können. Einigen Kandidaten vergönnt man auch den Zutritt. Man versammelt sich des Morgens um 8 Uhr, eröffnet die Sitzung mit Gebet und Gesang, und berathschlagt sich dann nicht so sehr über wissenschaftliche Gegenstände, als vielmehr über die Amtsführung, das Leben und den Wandel der Prediger und der Gemeindeglieder, und besonders über die Auf- rechthaltung der reinen Lehre des praktischen Christenthums.
An diese Predigerconferenz laufen nicht allein Briefe aus allen Provinzen Europens, sondern aus allen Welttheilen ein; diese können nun unmöglich alle an diesem Tage gelesen werden; mam wählt also die wichtigsten heraus, liest sie vor, berathschlagt
pruͤfte und verklaͤrte Freundin! Ruhe ſanft in den Armen deines Erloͤſers, bis wir uns wieder ſehen.
Es iſt eine durchaus richtige Bemerkung, daß Unterthanen nie gluͤcklicher ſeyn koͤnnen, als wenn ſie Leibeigene ſolcher vor- trefflichen Herrſchaften ſind.
Wir blieben neun Tage in Niesky, und als meine Geſchaͤfte geendigt waren, ſo reisten wir wieder zuruͤck nach Kleinwelke, wo wir den 24. Mai des Abends ankamen.
Hier fand ich nun wieder viel zu thun, ſo daß ich bis den 29. da bleiben mußte.
An dieſem Tage reisten wir wieder zuruͤck nach Herrenhut, zur Predigerconferenz, zu welcher ich eingeladen worden war.
Es iſt der Muͤhe werth, daß ich dieſe merkwuͤrdige Anſtalt meinen Leſern etwas naͤher entwickle.
Es waren jetzt gerade 50 Jahre, als der Biſchof Reichel dieſe Zuſammenkunft veranlaßte, und jetzt lebte der ehrwuͤrdige Greis noch, ſo daß er alſo das Jubilaͤum dieſer Predigerconfe- renz feiern konnte. Am 30. Mai kommen eine Menge Prediger aus beiden proteſtantiſchen Confeſſionen, aus allen benachbarten Provinzen, in Herrenhut zuſammen; es waren ihrer jetzt ungefaͤhr 70. Kein Prediger wurde abgewieſen, und es kommt hier nicht darauf an, ob er mit der Bruͤderkirche in Verbindung ſteht, oder nicht. Leute aus andern Staͤnden werden ohne be- ſondere Verguͤnſtigung nicht zugelaſſen, die Standesherren aus- genommen; denn dieſe muͤſſen doch wiſſen, was ihre Prediger thun und beſchließen, um noͤthigenfalls die Hand bieten oder mitrathen zu koͤnnen. Einigen Kandidaten vergoͤnnt man auch den Zutritt. Man verſammelt ſich des Morgens um 8 Uhr, eroͤffnet die Sitzung mit Gebet und Geſang, und berathſchlagt ſich dann nicht ſo ſehr uͤber wiſſenſchaftliche Gegenſtaͤnde, als vielmehr uͤber die Amtsfuͤhrung, das Leben und den Wandel der Prediger und der Gemeindeglieder, und beſonders uͤber die Auf- rechthaltung der reinen Lehre des praktiſchen Chriſtenthums.
An dieſe Predigerconferenz laufen nicht allein Briefe aus allen Provinzen Europens, ſondern aus allen Welttheilen ein; dieſe koͤnnen nun unmoͤglich alle an dieſem Tage geleſen werden; mam waͤhlt alſo die wichtigſten heraus, liest ſie vor, berathſchlagt
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pruͤfte und verklaͤrte Freundin! Ruhe ſanft in den Armen deines
Erloͤſers, bis wir uns wieder ſehen.
Es iſt eine durchaus richtige Bemerkung, daß Unterthanen
nie gluͤcklicher ſeyn koͤnnen, als wenn ſie Leibeigene ſolcher vor-
trefflichen Herrſchaften ſind.
Wir blieben neun Tage in Niesky, und als meine Geſchaͤfte
geendigt waren, ſo reisten wir wieder zuruͤck nach Kleinwelke,
wo wir den 24. Mai des Abends ankamen.
Hier fand ich nun wieder viel zu thun, ſo daß ich bis den 29.
da bleiben mußte.
An dieſem Tage reisten wir wieder zuruͤck nach Herrenhut,
zur Predigerconferenz, zu welcher ich eingeladen worden war.
Es iſt der Muͤhe werth, daß ich dieſe merkwuͤrdige Anſtalt
meinen Leſern etwas naͤher entwickle.
Es waren jetzt gerade 50 Jahre, als der Biſchof Reichel
dieſe Zuſammenkunft veranlaßte, und jetzt lebte der ehrwuͤrdige
Greis noch, ſo daß er alſo das Jubilaͤum dieſer Predigerconfe-
renz feiern konnte. Am 30. Mai kommen eine Menge Prediger
aus beiden proteſtantiſchen Confeſſionen, aus allen benachbarten
Provinzen, in Herrenhut zuſammen; es waren ihrer jetzt
ungefaͤhr 70. Kein Prediger wurde abgewieſen, und es kommt
hier nicht darauf an, ob er mit der Bruͤderkirche in Verbindung
ſteht, oder nicht. Leute aus andern Staͤnden werden ohne be-
ſondere Verguͤnſtigung nicht zugelaſſen, die Standesherren aus-
genommen; denn dieſe muͤſſen doch wiſſen, was ihre Prediger
thun und beſchließen, um noͤthigenfalls die Hand bieten oder
mitrathen zu koͤnnen. Einigen Kandidaten vergoͤnnt man auch
den Zutritt. Man verſammelt ſich des Morgens um 8 Uhr,
eroͤffnet die Sitzung mit Gebet und Geſang, und berathſchlagt
ſich dann nicht ſo ſehr uͤber wiſſenſchaftliche Gegenſtaͤnde, als
vielmehr uͤber die Amtsfuͤhrung, das Leben und den Wandel der
Prediger und der Gemeindeglieder, und beſonders uͤber die Auf-
rechthaltung der reinen Lehre des praktiſchen Chriſtenthums.
An dieſe Predigerconferenz laufen nicht allein Briefe aus allen
Provinzen Europens, ſondern aus allen Welttheilen ein;
dieſe koͤnnen nun unmoͤglich alle an dieſem Tage geleſen werden;
mam waͤhlt alſo die wichtigſten heraus, liest ſie vor, berathſchlagt
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 624. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/632>, abgerufen am 24.11.2024.
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