gung vorbringen. -- Großer Gott! wie war's mir zu Muthe! -- Ich fand nun keinen andern Ausweg, als mich durch die strengste, genaueste und unpartheiische Selbstprüfung zu erfor- schen, wie es in Ansehung aller dieser Punkte mit mir stehe?
Bei dieser Untersuchung fand ich nun, was alle Adamskin- der in solchen Fällen finden, daß Alles, was sie beginnen, und worin sie mitwirken, mit Sünden befleckt ist, aber in der Haupt- sache meiner Führung fand ich nichts, das mir zum Vorwurf gereichen konnte, denn alle Umstände, die meinen Wirkungs- kreis, meine Verhältnisse und meine Lage in Marburg bestimm- ten, gaben mir einmüthig den Wink, mich von diesem Stand- punkte zu entfernen; was aber nun diesem Wink vollends das Siegel eines göttlichen Berufs aufdrückte, war, daß es Einen Fürsten gab, der gerade einen solchen Mann brauchte, dessen Grundtrieb, für den Herrn und sein Reich zu wirken, bei ihm herrschend war, und daß dieser Fürst diesen Mann kannte und liebte; ein Fall, der wohl der Einzige in seiner Art ist.
Schon im verwichenen Sommer, als mir der Kurfürst schrieb, er könne mir jetzt 1200 Gulden geben, ich möchte kommen, er würde nach und nach meine Umstände verbessern; eröffnete ich ihm, daß ich davon nicht leben und bestehen könnte; da aber darauf kein Entschluß folgte, so überlegte ich noch einmal alles genau, und fühlte nun die Pflicht, dem Rufe zu folgen, denn ich war überzeugt, daß er der Einzige sey, den ich in meinem ganzen Leben erwarten könnte.
Bei der Prüfung, ob mein Grundtrieb, für den Herrn zu wirken, rein sey, oder ob sich nicht auch ingeheim die Eitelkeit mit einmische, ein großer und durch meine Schriften berühmter Mann zu werden? fand ich, daß alle unsere besten Werke im göttlichen Lichte die Probe nicht aushalten; aber ich fand auch, daß ich, wenn die Eitelket mein Grundtrieb wäre, gewiß den Beruf nicht wählen würde, der gerade der Verachtung und dem Widerspruch der großen Männer dieser Zeit am meisten ausge- setzt ist. Nachdem ich dieses alles im Reinen hatte, so war nun von Versorgung meiner Familie nicht mehr die Rede; denn war ich überzeugt, daß ich den Willen meines himmlischen Füh- rers befolgt hatte, so kümmerte mich das nicht mehr. Wie
gung vorbringen. — Großer Gott! wie war’s mir zu Muthe! — Ich fand nun keinen andern Ausweg, als mich durch die ſtrengſte, genaueſte und unpartheiiſche Selbſtpruͤfung zu erfor- ſchen, wie es in Anſehung aller dieſer Punkte mit mir ſtehe?
Bei dieſer Unterſuchung fand ich nun, was alle Adamskin- der in ſolchen Faͤllen finden, daß Alles, was ſie beginnen, und worin ſie mitwirken, mit Suͤnden befleckt iſt, aber in der Haupt- ſache meiner Fuͤhrung fand ich nichts, das mir zum Vorwurf gereichen konnte, denn alle Umſtaͤnde, die meinen Wirkungs- kreis, meine Verhaͤltniſſe und meine Lage in Marburg beſtimm- ten, gaben mir einmuͤthig den Wink, mich von dieſem Stand- punkte zu entfernen; was aber nun dieſem Wink vollends das Siegel eines goͤttlichen Berufs aufdruͤckte, war, daß es Einen Fuͤrſten gab, der gerade einen ſolchen Mann brauchte, deſſen Grundtrieb, fuͤr den Herrn und ſein Reich zu wirken, bei ihm herrſchend war, und daß dieſer Fuͤrſt dieſen Mann kannte und liebte; ein Fall, der wohl der Einzige in ſeiner Art iſt.
Schon im verwichenen Sommer, als mir der Kurfuͤrſt ſchrieb, er koͤnne mir jetzt 1200 Gulden geben, ich moͤchte kommen, er wuͤrde nach und nach meine Umſtaͤnde verbeſſern; eroͤffnete ich ihm, daß ich davon nicht leben und beſtehen koͤnnte; da aber darauf kein Entſchluß folgte, ſo uͤberlegte ich noch einmal alles genau, und fuͤhlte nun die Pflicht, dem Rufe zu folgen, denn ich war uͤberzeugt, daß er der Einzige ſey, den ich in meinem ganzen Leben erwarten koͤnnte.
Bei der Pruͤfung, ob mein Grundtrieb, fuͤr den Herrn zu wirken, rein ſey, oder ob ſich nicht auch ingeheim die Eitelkeit mit einmiſche, ein großer und durch meine Schriften beruͤhmter Mann zu werden? fand ich, daß alle unſere beſten Werke im goͤttlichen Lichte die Probe nicht aushalten; aber ich fand auch, daß ich, wenn die Eitelket mein Grundtrieb waͤre, gewiß den Beruf nicht waͤhlen wuͤrde, der gerade der Verachtung und dem Widerſpruch der großen Maͤnner dieſer Zeit am meiſten ausge- ſetzt iſt. Nachdem ich dieſes alles im Reinen hatte, ſo war nun von Verſorgung meiner Familie nicht mehr die Rede; denn war ich uͤberzeugt, daß ich den Willen meines himmliſchen Fuͤh- rers befolgt hatte, ſo kuͤmmerte mich das nicht mehr. Wie
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gung vorbringen. — Großer Gott! wie war’s mir zu Muthe!
— Ich fand nun keinen andern Ausweg, als mich durch die
ſtrengſte, genaueſte und unpartheiiſche Selbſtpruͤfung zu erfor-
ſchen, wie es in Anſehung aller dieſer Punkte mit mir ſtehe?
Bei dieſer Unterſuchung fand ich nun, was alle Adamskin-
der in ſolchen Faͤllen finden, daß Alles, was ſie beginnen, und
worin ſie mitwirken, mit Suͤnden befleckt iſt, aber in der Haupt-
ſache meiner Fuͤhrung fand ich nichts, das mir zum Vorwurf
gereichen konnte, denn alle Umſtaͤnde, die meinen Wirkungs-
kreis, meine Verhaͤltniſſe und meine Lage in Marburg beſtimm-
ten, gaben mir einmuͤthig den Wink, mich von dieſem Stand-
punkte zu entfernen; was aber nun dieſem Wink vollends das
Siegel eines goͤttlichen Berufs aufdruͤckte, war, daß es Einen
Fuͤrſten gab, der gerade einen ſolchen Mann brauchte, deſſen
Grundtrieb, fuͤr den Herrn und ſein Reich zu wirken, bei ihm
herrſchend war, und daß dieſer Fuͤrſt dieſen Mann kannte und
liebte; ein Fall, der wohl der Einzige in ſeiner Art iſt.
Schon im verwichenen Sommer, als mir der Kurfuͤrſt ſchrieb,
er koͤnne mir jetzt 1200 Gulden geben, ich moͤchte kommen,
er wuͤrde nach und nach meine Umſtaͤnde verbeſſern; eroͤffnete
ich ihm, daß ich davon nicht leben und beſtehen koͤnnte; da
aber darauf kein Entſchluß folgte, ſo uͤberlegte ich noch einmal
alles genau, und fuͤhlte nun die Pflicht, dem Rufe zu folgen,
denn ich war uͤberzeugt, daß er der Einzige ſey, den ich in
meinem ganzen Leben erwarten koͤnnte.
Bei der Pruͤfung, ob mein Grundtrieb, fuͤr den Herrn zu
wirken, rein ſey, oder ob ſich nicht auch ingeheim die Eitelkeit
mit einmiſche, ein großer und durch meine Schriften beruͤhmter
Mann zu werden? fand ich, daß alle unſere beſten Werke im
goͤttlichen Lichte die Probe nicht aushalten; aber ich fand auch,
daß ich, wenn die Eitelket mein Grundtrieb waͤre, gewiß den
Beruf nicht waͤhlen wuͤrde, der gerade der Verachtung und dem
Widerſpruch der großen Maͤnner dieſer Zeit am meiſten ausge-
ſetzt iſt. Nachdem ich dieſes alles im Reinen hatte, ſo war
nun von Verſorgung meiner Familie nicht mehr die Rede; denn
war ich uͤberzeugt, daß ich den Willen meines himmliſchen Fuͤh-
rers befolgt hatte, ſo kuͤmmerte mich das nicht mehr. Wie
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 617. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/625>, abgerufen am 23.11.2024.
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