allein wir fanden es ganz anders. Unsere schönen Möbels gin- gen in Marburg für geringe Preise fort, und wir mußten schlechtes Geräthe für theuere Preise dafür anschaffen; kurz, der Zug von Marburg nach Heidelberg, nebst der völligen Einrichtung am letztern Ort, kostete gegen tausend Gulden; ich konnte dieß noch von dem Segen, den mir meine Reisen gebracht hatten, bestreiten; aber zur Nachhülfe blieb auch nichts übrig.
In Marburg hatte ich gegen dritthalb tausend Gulden ein- zunehmen, und sie auch bei aller Sparsamkeit gebraucht, ohne etwas übrig zu behalten; Verhältnisse, die ich dem Publikum nicht entdecken und nicht erklären kann, vermehrten meine Aus- gaben beträchtlich. Diese Verhältnisse waren nun beinahe noch immer die nämlichen, und sie zu bestreiten hatte ich kaum die Hälfte von meinem Marburger Einkommen einzunehmen. So wie wir Beide, ich und meine Frau, am Schlusse des Jah- res 1803, nach und nach diese Entdeckungen und Erfahrungen machten, und fanden, daß wir in Heidelberg im geringsten nicht wohlfeiler haushalten konnten, als in Marburg, so la- gerte sich schwarze Schwermuth wie ein Berg auf meine Seele; meine Vernunft sprach sehr lebhaft und laut: "Du hast nie einen Schritt gethan, dich eigenmächtig aus der Lage zu setzen, in die dich die Vorsehung geführt hatte; darum half dir dein himmlischer Führer auch mächtig durch. -- Ist dieß aber auch jetzt der Fall? -- Hast du weder mittelbar noch unmittelbar dazu beigetragen, daß dich der Kurfürst von Baden hieher beru- fen hat? -- War dein Grundtrieb, für den Herrn und sein Reich zu wirken, rein? Lag nicht in der Tiefe deiner Seele auch die Eitelkeit verborgen, als ein großes Licht in der Kirche Got- tes zu glänzen, und durch deine Schriften in aller Welt berühmt zu werden? -- Und endlich: gibt es wohl höhere Pflichten, als dafür zu sorgen, daß Frau und Kinder nicht in Mangel und Armuth gerathen? -- Und ist es zu verantworten, wenn man die Mittel, die die Vorsehung dazu an die Hand gegeben hat, gegen eine Lage vertauscht, die doch bei allem guten Meinen und guten Willen noch im Dunkel der Zukunft verhüllt ist? u. s. w. Alle diese Fragen standen wie strafende Richter vor meiner Seele, und ich konnte kein Wort zu meiner Vertheidi-
allein wir fanden es ganz anders. Unſere ſchoͤnen Moͤbels gin- gen in Marburg fuͤr geringe Preiſe fort, und wir mußten ſchlechtes Geraͤthe fuͤr theuere Preiſe dafuͤr anſchaffen; kurz, der Zug von Marburg nach Heidelberg, nebſt der voͤlligen Einrichtung am letztern Ort, koſtete gegen tauſend Gulden; ich konnte dieß noch von dem Segen, den mir meine Reiſen gebracht hatten, beſtreiten; aber zur Nachhuͤlfe blieb auch nichts uͤbrig.
In Marburg hatte ich gegen dritthalb tauſend Gulden ein- zunehmen, und ſie auch bei aller Sparſamkeit gebraucht, ohne etwas uͤbrig zu behalten; Verhaͤltniſſe, die ich dem Publikum nicht entdecken und nicht erklaͤren kann, vermehrten meine Aus- gaben betraͤchtlich. Dieſe Verhaͤltniſſe waren nun beinahe noch immer die naͤmlichen, und ſie zu beſtreiten hatte ich kaum die Haͤlfte von meinem Marburger Einkommen einzunehmen. So wie wir Beide, ich und meine Frau, am Schluſſe des Jah- res 1803, nach und nach dieſe Entdeckungen und Erfahrungen machten, und fanden, daß wir in Heidelberg im geringſten nicht wohlfeiler haushalten konnten, als in Marburg, ſo la- gerte ſich ſchwarze Schwermuth wie ein Berg auf meine Seele; meine Vernunft ſprach ſehr lebhaft und laut: „Du haſt nie einen Schritt gethan, dich eigenmaͤchtig aus der Lage zu ſetzen, in die dich die Vorſehung gefuͤhrt hatte; darum half dir dein himmliſcher Fuͤhrer auch maͤchtig durch. — Iſt dieß aber auch jetzt der Fall? — Haſt du weder mittelbar noch unmittelbar dazu beigetragen, daß dich der Kurfuͤrſt von Baden hieher beru- fen hat? — War dein Grundtrieb, fuͤr den Herrn und ſein Reich zu wirken, rein? Lag nicht in der Tiefe deiner Seele auch die Eitelkeit verborgen, als ein großes Licht in der Kirche Got- tes zu glaͤnzen, und durch deine Schriften in aller Welt beruͤhmt zu werden? — Und endlich: gibt es wohl hoͤhere Pflichten, als dafuͤr zu ſorgen, daß Frau und Kinder nicht in Mangel und Armuth gerathen? — Und iſt es zu verantworten, wenn man die Mittel, die die Vorſehung dazu an die Hand gegeben hat, gegen eine Lage vertauſcht, die doch bei allem guten Meinen und guten Willen noch im Dunkel der Zukunft verhuͤllt iſt? u. ſ. w. Alle dieſe Fragen ſtanden wie ſtrafende Richter vor meiner Seele, und ich konnte kein Wort zu meiner Vertheidi-
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allein wir fanden es ganz anders. Unſere ſchoͤnen Moͤbels gin-
gen in Marburg fuͤr geringe Preiſe fort, und wir mußten
ſchlechtes Geraͤthe fuͤr theuere Preiſe dafuͤr anſchaffen; kurz, der
Zug von Marburg nach Heidelberg, nebſt der voͤlligen
Einrichtung am letztern Ort, koſtete gegen tauſend Gulden; ich
konnte dieß noch von dem Segen, den mir meine Reiſen gebracht
hatten, beſtreiten; aber zur Nachhuͤlfe blieb auch nichts uͤbrig.
In Marburg hatte ich gegen dritthalb tauſend Gulden ein-
zunehmen, und ſie auch bei aller Sparſamkeit gebraucht, ohne
etwas uͤbrig zu behalten; Verhaͤltniſſe, die ich dem Publikum
nicht entdecken und nicht erklaͤren kann, vermehrten meine Aus-
gaben betraͤchtlich. Dieſe Verhaͤltniſſe waren nun beinahe noch
immer die naͤmlichen, und ſie zu beſtreiten hatte ich kaum die
Haͤlfte von meinem Marburger Einkommen einzunehmen.
So wie wir Beide, ich und meine Frau, am Schluſſe des Jah-
res 1803, nach und nach dieſe Entdeckungen und Erfahrungen
machten, und fanden, daß wir in Heidelberg im geringſten
nicht wohlfeiler haushalten konnten, als in Marburg, ſo la-
gerte ſich ſchwarze Schwermuth wie ein Berg auf meine Seele;
meine Vernunft ſprach ſehr lebhaft und laut: „Du haſt nie
einen Schritt gethan, dich eigenmaͤchtig aus der Lage zu ſetzen,
in die dich die Vorſehung gefuͤhrt hatte; darum half dir dein
himmliſcher Fuͤhrer auch maͤchtig durch. — Iſt dieß aber auch
jetzt der Fall? — Haſt du weder mittelbar noch unmittelbar
dazu beigetragen, daß dich der Kurfuͤrſt von Baden hieher beru-
fen hat? — War dein Grundtrieb, fuͤr den Herrn und ſein
Reich zu wirken, rein? Lag nicht in der Tiefe deiner Seele auch
die Eitelkeit verborgen, als ein großes Licht in der Kirche Got-
tes zu glaͤnzen, und durch deine Schriften in aller Welt beruͤhmt
zu werden? — Und endlich: gibt es wohl hoͤhere Pflichten,
als dafuͤr zu ſorgen, daß Frau und Kinder nicht in Mangel und
Armuth gerathen? — Und iſt es zu verantworten, wenn man
die Mittel, die die Vorſehung dazu an die Hand gegeben hat,
gegen eine Lage vertauſcht, die doch bei allem guten Meinen
und guten Willen noch im Dunkel der Zukunft verhuͤllt iſt?
u. ſ. w. Alle dieſe Fragen ſtanden wie ſtrafende Richter vor
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 616. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/624>, abgerufen am 23.11.2024.
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