Christo findet man nur den Vater der Menschen, nur da will und kann er angebetet werden.
8. Der heilige Geist, der Geist des Vaters und des Sohns, ist wahrhaft Ein Wesen, mit dem Vater und dem Sohn glei- cher göttlicher Natur. Er ist eine moralische göttliche Liebeskraft, die von Beiden ausgeht, so wie Licht und Wärme von der Sonne ausstrahlt; seit den ersten Pfingsten bis daher ist er beständig wirksam; Jeder, der von Herzen an Christum glaubt, seine Heils- lehre annimmt, sein Sündenelend herzlich bereut, und nun mit inniger Sehnsucht wünscht, von der Sünde frei, und ein wahres Kind Gottes zu werden, der zieht nach dem Verhältniß seines Glaubens und in dem Grad seiner Sehnsucht, den heiligen Geist an, so, daß dann seine sittlichen Kräfte immer mehr und mehr gestärkt, und seine sinnlichen je mehr und mehr geschwächt werden.
Dieß ist mein beständiges wahres, durch viele Prüfungen, Erfahrungen und Läuterungen bewährtes Glaubens-, Lehr- und Lebenssystem, welches ich nicht durch Speculation, und durch Bemühung des Kopfs, sondern während meines vieljährigen Rin- gens nach Licht und Wahrheit, aus Drang und Bedürfniß des Herzens, einzeln, nach und nach, wie seltene Goldkörner, an meinem mühseligen Pilgerwege aufgelesen, gesammelt, und dann in ein vernünftiges Ganzes gebracht habe. Es ist das reine, durch keine Sophisterey und Modeexegese getrübte, Dogma der heiligen Schrift, auf dessen Gewißheit und Wahrheit ich leben und sterben will.
Dieser alten christlichen Glaubens- und Heils- lehre steht nun die neue Aufklärung gerade gegenüber; edle und Wahrheit liebende rechtschaffene Männer ziehen die Letz- tere der Ersten aus dem Grunde vor, weil sie überzeugt sind, daß die durch die Aufklärung modifizirte Religionslehre der menschlichen Vernunft angemessener sey, als jenes altchrist- liche System; sie haben daher eine Exegese, eine Bibelerklärung, erfunden, die zu ihrer Philosophie paßt; allein die guten Män- ner merken, oder merken nicht, daß die Tendenz dieser neuen Aufklärung auf bloße Naturreligion hinstrebt; deren Dog- men bloße Sittenlehre ist, die am Ende die Sendung Christi ganz unnöthig macht, und der Bibel nicht mehr bedarf. Da
Chriſto findet man nur den Vater der Menſchen, nur da will und kann er angebetet werden.
8. Der heilige Geiſt, der Geiſt des Vaters und des Sohns, iſt wahrhaft Ein Weſen, mit dem Vater und dem Sohn glei- cher goͤttlicher Natur. Er iſt eine moraliſche goͤttliche Liebeskraft, die von Beiden ausgeht, ſo wie Licht und Waͤrme von der Sonne ausſtrahlt; ſeit den erſten Pfingſten bis daher iſt er beſtaͤndig wirkſam; Jeder, der von Herzen an Chriſtum glaubt, ſeine Heils- lehre annimmt, ſein Suͤndenelend herzlich bereut, und nun mit inniger Sehnſucht wuͤnſcht, von der Suͤnde frei, und ein wahres Kind Gottes zu werden, der zieht nach dem Verhaͤltniß ſeines Glaubens und in dem Grad ſeiner Sehnſucht, den heiligen Geiſt an, ſo, daß dann ſeine ſittlichen Kraͤfte immer mehr und mehr geſtaͤrkt, und ſeine ſinnlichen je mehr und mehr geſchwaͤcht werden.
Dieß iſt mein beſtaͤndiges wahres, durch viele Pruͤfungen, Erfahrungen und Laͤuterungen bewaͤhrtes Glaubens-, Lehr- und Lebensſyſtem, welches ich nicht durch Speculation, und durch Bemuͤhung des Kopfs, ſondern waͤhrend meines vieljaͤhrigen Rin- gens nach Licht und Wahrheit, aus Drang und Beduͤrfniß des Herzens, einzeln, nach und nach, wie ſeltene Goldkoͤrner, an meinem muͤhſeligen Pilgerwege aufgeleſen, geſammelt, und dann in ein vernuͤnftiges Ganzes gebracht habe. Es iſt das reine, durch keine Sophiſterey und Modeexegeſe getruͤbte, Dogma der heiligen Schrift, auf deſſen Gewißheit und Wahrheit ich leben und ſterben will.
Dieſer alten chriſtlichen Glaubens- und Heils- lehre ſteht nun die neue Aufklaͤrung gerade gegenuͤber; edle und Wahrheit liebende rechtſchaffene Maͤnner ziehen die Letz- tere der Erſten aus dem Grunde vor, weil ſie uͤberzeugt ſind, daß die durch die Aufklaͤrung modifizirte Religionslehre der menſchlichen Vernunft angemeſſener ſey, als jenes altchriſt- liche Syſtem; ſie haben daher eine Exegeſe, eine Bibelerklaͤrung, erfunden, die zu ihrer Philoſophie paßt; allein die guten Maͤn- ner merken, oder merken nicht, daß die Tendenz dieſer neuen Aufklaͤrung auf bloße Naturreligion hinſtrebt; deren Dog- men bloße Sittenlehre iſt, die am Ende die Sendung Chriſti ganz unnoͤthig macht, und der Bibel nicht mehr bedarf. Da
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0611"n="603"/><hirendition="#g">Chriſto</hi> findet man nur den Vater der Menſchen, nur da will<lb/>
und kann er angebetet werden.</p><lb/><p>8. Der heilige Geiſt, der Geiſt des Vaters und des Sohns, iſt<lb/>
wahrhaft <hirendition="#g">Ein Weſen</hi>, mit dem <hirendition="#g">Vater</hi> und dem <hirendition="#g">Sohn</hi> glei-<lb/>
cher goͤttlicher Natur. Er iſt eine moraliſche goͤttliche Liebeskraft,<lb/>
die von Beiden ausgeht, ſo wie Licht und Waͤrme von der Sonne<lb/>
ausſtrahlt; ſeit den erſten Pfingſten bis daher iſt er beſtaͤndig<lb/>
wirkſam; Jeder, der von Herzen an Chriſtum glaubt, ſeine Heils-<lb/>
lehre annimmt, ſein Suͤndenelend herzlich bereut, und nun mit<lb/>
inniger Sehnſucht wuͤnſcht, von der Suͤnde frei, und ein wahres<lb/>
Kind Gottes zu werden, der zieht nach dem Verhaͤltniß ſeines<lb/>
Glaubens und in dem Grad ſeiner Sehnſucht, den heiligen Geiſt<lb/>
an, ſo, daß dann ſeine ſittlichen Kraͤfte immer mehr und mehr<lb/>
geſtaͤrkt, und ſeine ſinnlichen je mehr und mehr geſchwaͤcht werden.</p><lb/><p>Dieß iſt mein beſtaͤndiges wahres, durch viele Pruͤfungen,<lb/>
Erfahrungen und Laͤuterungen bewaͤhrtes Glaubens-, Lehr- und<lb/>
Lebensſyſtem, welches ich nicht durch Speculation, und durch<lb/>
Bemuͤhung des Kopfs, ſondern waͤhrend meines vieljaͤhrigen Rin-<lb/>
gens nach Licht und Wahrheit, aus Drang und Beduͤrfniß des<lb/>
Herzens, einzeln, nach und nach, wie ſeltene Goldkoͤrner, an<lb/>
meinem muͤhſeligen Pilgerwege aufgeleſen, geſammelt, und dann<lb/>
in ein vernuͤnftiges Ganzes gebracht habe. Es iſt das reine,<lb/>
durch keine Sophiſterey und Modeexegeſe getruͤbte, Dogma der<lb/>
heiligen Schrift, auf deſſen Gewißheit und Wahrheit ich leben<lb/>
und ſterben will.</p><lb/><p><hirendition="#g">Dieſer alten chriſtlichen Glaubens- und Heils-<lb/>
lehre</hi>ſteht nun <hirendition="#g">die neue Aufklaͤrung</hi> gerade gegenuͤber;<lb/>
edle und Wahrheit liebende rechtſchaffene Maͤnner ziehen die Letz-<lb/>
tere der Erſten aus <hirendition="#g">dem</hi> Grunde vor, weil ſie uͤberzeugt ſind,<lb/>
daß die <hirendition="#g">durch die Aufklaͤrung modifizirte</hi> Religionslehre<lb/>
der menſchlichen Vernunft angemeſſener ſey, als jenes altchriſt-<lb/>
liche Syſtem; ſie haben daher eine Exegeſe, eine Bibelerklaͤrung,<lb/>
erfunden, die zu ihrer Philoſophie paßt; allein die guten Maͤn-<lb/>
ner <hirendition="#g">merken</hi>, oder <hirendition="#g">merken nicht</hi>, daß die Tendenz dieſer neuen<lb/>
Aufklaͤrung auf bloße <hirendition="#g">Naturreligion</hi> hinſtrebt; deren Dog-<lb/>
men bloße Sittenlehre iſt, die am Ende die Sendung <hirendition="#g">Chriſti</hi><lb/>
ganz unnoͤthig macht, und der Bibel nicht mehr bedarf. Da<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[603/0611]
Chriſto findet man nur den Vater der Menſchen, nur da will
und kann er angebetet werden.
8. Der heilige Geiſt, der Geiſt des Vaters und des Sohns, iſt
wahrhaft Ein Weſen, mit dem Vater und dem Sohn glei-
cher goͤttlicher Natur. Er iſt eine moraliſche goͤttliche Liebeskraft,
die von Beiden ausgeht, ſo wie Licht und Waͤrme von der Sonne
ausſtrahlt; ſeit den erſten Pfingſten bis daher iſt er beſtaͤndig
wirkſam; Jeder, der von Herzen an Chriſtum glaubt, ſeine Heils-
lehre annimmt, ſein Suͤndenelend herzlich bereut, und nun mit
inniger Sehnſucht wuͤnſcht, von der Suͤnde frei, und ein wahres
Kind Gottes zu werden, der zieht nach dem Verhaͤltniß ſeines
Glaubens und in dem Grad ſeiner Sehnſucht, den heiligen Geiſt
an, ſo, daß dann ſeine ſittlichen Kraͤfte immer mehr und mehr
geſtaͤrkt, und ſeine ſinnlichen je mehr und mehr geſchwaͤcht werden.
Dieß iſt mein beſtaͤndiges wahres, durch viele Pruͤfungen,
Erfahrungen und Laͤuterungen bewaͤhrtes Glaubens-, Lehr- und
Lebensſyſtem, welches ich nicht durch Speculation, und durch
Bemuͤhung des Kopfs, ſondern waͤhrend meines vieljaͤhrigen Rin-
gens nach Licht und Wahrheit, aus Drang und Beduͤrfniß des
Herzens, einzeln, nach und nach, wie ſeltene Goldkoͤrner, an
meinem muͤhſeligen Pilgerwege aufgeleſen, geſammelt, und dann
in ein vernuͤnftiges Ganzes gebracht habe. Es iſt das reine,
durch keine Sophiſterey und Modeexegeſe getruͤbte, Dogma der
heiligen Schrift, auf deſſen Gewißheit und Wahrheit ich leben
und ſterben will.
Dieſer alten chriſtlichen Glaubens- und Heils-
lehre ſteht nun die neue Aufklaͤrung gerade gegenuͤber;
edle und Wahrheit liebende rechtſchaffene Maͤnner ziehen die Letz-
tere der Erſten aus dem Grunde vor, weil ſie uͤberzeugt ſind,
daß die durch die Aufklaͤrung modifizirte Religionslehre
der menſchlichen Vernunft angemeſſener ſey, als jenes altchriſt-
liche Syſtem; ſie haben daher eine Exegeſe, eine Bibelerklaͤrung,
erfunden, die zu ihrer Philoſophie paßt; allein die guten Maͤn-
ner merken, oder merken nicht, daß die Tendenz dieſer neuen
Aufklaͤrung auf bloße Naturreligion hinſtrebt; deren Dog-
men bloße Sittenlehre iſt, die am Ende die Sendung Chriſti
ganz unnoͤthig macht, und der Bibel nicht mehr bedarf. Da
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 603. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/611>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.