gesehen hatte, am Arm seiner theuren Elise einmal wieder zu besuchen. Ihn überlief ein Schauer, wenn diese Vorstellungen seiner Seele vorübergingen.
Diesen Vorsatz auszuführen, reisten Beide in Begleitung ihres achtjährigen Sohns Friedrich, dem sie des Vaters Heimath zeigen wollten, den Tag vor Pfingsten, Sonnabends den 28. Mai nach Wittgenstein, welches sieben Stunden von Marburg entfernt ist. Der dortige gräfliche Kanzleidirektor Hombergk zu Bach ist gebürtig von Marburg, und nicht allein Elisens naher Blutsverwandter, sondern er und seine Gattin sind auch Stillings und Elisens vertraute Freunde und vortreffliche Menschen. Der Aufenthalt bei diesen guten Seelen war sehr wohlthätig und alle dortigen Freunde thaten ihr Bestes, um beide Besuchende auf alle Weise zu erquicken und zu erfreuen.
Der Dienstag nach Pfingsten war nun der Tag, an welchem die Reise nach Stillings Geburtsort vorgenommen werden sollte; Hombergk und seine Gattin wollten sie begleiten -- allein Stilling wurde von einer unerklärbaren Angst überfal- len, die sich vermehrte, so wie sich der Tag näherte und die ihm die Ausführung seines Vorhabens unmöglich machte; so sehr er sich vorher auf die Besuchung des Schauplatzes seiner Jugend- scenen gefreut hatte, so sehr schauderte er jetzt dafür zurück -- es war ihm gerade so zu Muth, als ob dort große Gefahren auf ihn warteten. Gott weiß allein den Grund und die Ursache die- ser so sonderbaren Erscheinung -- es war nicht eine solche Angst, wie die, welche er auf der Braunschweiger-Reise empfand, sondern es war vielleicht das Warnen seines Schutzengels, welches mit der Sehnsucht, seinen Geburtsort zu sehen, kämpfte, und dieser Kampf machte Leiden. Jener war ein Hiobs-, dieser aber ein Jakobskampf. -- Aus dieser Reise wurde also nichts, seine Lieben respectirten seine Angst, und gaben also nach.
Zu Wittgenstein kam nun endlich der merkwürdige Zeit- punkt, in welchem Stilling, im drei und sechzigsten Jahr sei- nes Alters, die Entscheidung seines Schicksals erfuhr, er bekam einen Brief von seinem Sohn aus Marburg, in welchem ihm dieser die frohe Nachricht schrieb, daß ihn der Kurfürst von Ba-
geſehen hatte, am Arm ſeiner theuren Eliſe einmal wieder zu beſuchen. Ihn uͤberlief ein Schauer, wenn dieſe Vorſtellungen ſeiner Seele voruͤbergingen.
Dieſen Vorſatz auszufuͤhren, reisten Beide in Begleitung ihres achtjaͤhrigen Sohns Friedrich, dem ſie des Vaters Heimath zeigen wollten, den Tag vor Pfingſten, Sonnabends den 28. Mai nach Wittgenſtein, welches ſieben Stunden von Marburg entfernt iſt. Der dortige graͤfliche Kanzleidirektor Hombergk zu Bach iſt gebuͤrtig von Marburg, und nicht allein Eliſens naher Blutsverwandter, ſondern er und ſeine Gattin ſind auch Stillings und Eliſens vertraute Freunde und vortreffliche Menſchen. Der Aufenthalt bei dieſen guten Seelen war ſehr wohlthaͤtig und alle dortigen Freunde thaten ihr Beſtes, um beide Beſuchende auf alle Weiſe zu erquicken und zu erfreuen.
Der Dienſtag nach Pfingſten war nun der Tag, an welchem die Reiſe nach Stillings Geburtsort vorgenommen werden ſollte; Hombergk und ſeine Gattin wollten ſie begleiten — allein Stilling wurde von einer unerklaͤrbaren Angſt uͤberfal- len, die ſich vermehrte, ſo wie ſich der Tag naͤherte und die ihm die Ausfuͤhrung ſeines Vorhabens unmoͤglich machte; ſo ſehr er ſich vorher auf die Beſuchung des Schauplatzes ſeiner Jugend- ſcenen gefreut hatte, ſo ſehr ſchauderte er jetzt dafuͤr zuruͤck — es war ihm gerade ſo zu Muth, als ob dort große Gefahren auf ihn warteten. Gott weiß allein den Grund und die Urſache die- ſer ſo ſonderbaren Erſcheinung — es war nicht eine ſolche Angſt, wie die, welche er auf der Braunſchweiger-Reiſe empfand, ſondern es war vielleicht das Warnen ſeines Schutzengels, welches mit der Sehnſucht, ſeinen Geburtsort zu ſehen, kaͤmpfte, und dieſer Kampf machte Leiden. Jener war ein Hiobs-, dieſer aber ein Jakobskampf. — Aus dieſer Reiſe wurde alſo nichts, ſeine Lieben reſpectirten ſeine Angſt, und gaben alſo nach.
Zu Wittgenſtein kam nun endlich der merkwuͤrdige Zeit- punkt, in welchem Stilling, im drei und ſechzigſten Jahr ſei- nes Alters, die Entſcheidung ſeines Schickſals erfuhr, er bekam einen Brief von ſeinem Sohn aus Marburg, in welchem ihm dieſer die frohe Nachricht ſchrieb, daß ihn der Kurfuͤrſt von Ba-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0585"n="577"/>
geſehen hatte, am Arm ſeiner theuren <hirendition="#g">Eliſe</hi> einmal wieder zu<lb/>
beſuchen. Ihn uͤberlief ein Schauer, wenn dieſe Vorſtellungen<lb/>ſeiner Seele voruͤbergingen.</p><lb/><p>Dieſen Vorſatz auszufuͤhren, reisten Beide in Begleitung ihres<lb/>
achtjaͤhrigen Sohns <hirendition="#g">Friedrich</hi>, dem ſie des Vaters Heimath<lb/>
zeigen wollten, den Tag vor Pfingſten, Sonnabends den<lb/>
28. Mai nach <hirendition="#g">Wittgenſtein</hi>, welches ſieben Stunden von<lb/><hirendition="#g">Marburg</hi> entfernt iſt. Der dortige graͤfliche Kanzleidirektor<lb/><hirendition="#g">Hombergk</hi> zu <hirendition="#g">Bach</hi> iſt gebuͤrtig von <hirendition="#g">Marburg</hi>, und nicht<lb/>
allein <hirendition="#g">Eliſens</hi> naher Blutsverwandter, ſondern er und ſeine<lb/>
Gattin ſind auch <hirendition="#g">Stillings</hi> und <hirendition="#g">Eliſens</hi> vertraute Freunde<lb/>
und vortreffliche Menſchen. Der Aufenthalt bei dieſen guten<lb/>
Seelen war ſehr wohlthaͤtig und alle dortigen Freunde thaten<lb/>
ihr Beſtes, um beide Beſuchende auf alle Weiſe zu erquicken<lb/>
und zu erfreuen.</p><lb/><p>Der Dienſtag nach Pfingſten war nun der Tag, an welchem<lb/>
die Reiſe nach <hirendition="#g">Stillings</hi> Geburtsort vorgenommen werden<lb/>ſollte; <hirendition="#g">Hombergk</hi> und ſeine Gattin wollten ſie begleiten —<lb/>
allein <hirendition="#g">Stilling</hi> wurde von einer unerklaͤrbaren Angſt uͤberfal-<lb/>
len, die ſich vermehrte, ſo wie ſich der Tag naͤherte und die ihm<lb/>
die Ausfuͤhrung ſeines Vorhabens unmoͤglich machte; ſo ſehr er<lb/>ſich vorher auf die Beſuchung des Schauplatzes ſeiner Jugend-<lb/>ſcenen gefreut hatte, ſo ſehr ſchauderte er jetzt dafuͤr zuruͤck —<lb/>
es war ihm gerade ſo zu Muth, als ob dort große Gefahren auf<lb/>
ihn warteten. Gott weiß allein den Grund und die Urſache die-<lb/>ſer ſo ſonderbaren Erſcheinung — es war nicht eine ſolche Angſt,<lb/>
wie die, welche er auf der Braunſchweiger-Reiſe empfand, ſondern<lb/>
es war vielleicht das Warnen ſeines Schutzengels, welches mit<lb/>
der Sehnſucht, ſeinen Geburtsort zu ſehen, kaͤmpfte, und dieſer<lb/>
Kampf machte Leiden. Jener war ein <hirendition="#g">Hiobs-</hi>, dieſer aber ein<lb/><hirendition="#g">Jakobskampf</hi>. — Aus dieſer Reiſe wurde alſo nichts, ſeine<lb/>
Lieben reſpectirten ſeine Angſt, und gaben alſo nach.</p><lb/><p>Zu <hirendition="#g">Wittgenſtein</hi> kam nun endlich der merkwuͤrdige Zeit-<lb/>
punkt, in welchem <hirendition="#g">Stilling</hi>, im drei und ſechzigſten Jahr ſei-<lb/>
nes Alters, die Entſcheidung ſeines Schickſals erfuhr, er bekam<lb/>
einen Brief von ſeinem Sohn aus <hirendition="#g">Marburg</hi>, in welchem ihm<lb/>
dieſer die frohe Nachricht ſchrieb, daß ihn der Kurfuͤrſt von <hirendition="#g">Ba</hi>-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[577/0585]
geſehen hatte, am Arm ſeiner theuren Eliſe einmal wieder zu
beſuchen. Ihn uͤberlief ein Schauer, wenn dieſe Vorſtellungen
ſeiner Seele voruͤbergingen.
Dieſen Vorſatz auszufuͤhren, reisten Beide in Begleitung ihres
achtjaͤhrigen Sohns Friedrich, dem ſie des Vaters Heimath
zeigen wollten, den Tag vor Pfingſten, Sonnabends den
28. Mai nach Wittgenſtein, welches ſieben Stunden von
Marburg entfernt iſt. Der dortige graͤfliche Kanzleidirektor
Hombergk zu Bach iſt gebuͤrtig von Marburg, und nicht
allein Eliſens naher Blutsverwandter, ſondern er und ſeine
Gattin ſind auch Stillings und Eliſens vertraute Freunde
und vortreffliche Menſchen. Der Aufenthalt bei dieſen guten
Seelen war ſehr wohlthaͤtig und alle dortigen Freunde thaten
ihr Beſtes, um beide Beſuchende auf alle Weiſe zu erquicken
und zu erfreuen.
Der Dienſtag nach Pfingſten war nun der Tag, an welchem
die Reiſe nach Stillings Geburtsort vorgenommen werden
ſollte; Hombergk und ſeine Gattin wollten ſie begleiten —
allein Stilling wurde von einer unerklaͤrbaren Angſt uͤberfal-
len, die ſich vermehrte, ſo wie ſich der Tag naͤherte und die ihm
die Ausfuͤhrung ſeines Vorhabens unmoͤglich machte; ſo ſehr er
ſich vorher auf die Beſuchung des Schauplatzes ſeiner Jugend-
ſcenen gefreut hatte, ſo ſehr ſchauderte er jetzt dafuͤr zuruͤck —
es war ihm gerade ſo zu Muth, als ob dort große Gefahren auf
ihn warteten. Gott weiß allein den Grund und die Urſache die-
ſer ſo ſonderbaren Erſcheinung — es war nicht eine ſolche Angſt,
wie die, welche er auf der Braunſchweiger-Reiſe empfand, ſondern
es war vielleicht das Warnen ſeines Schutzengels, welches mit
der Sehnſucht, ſeinen Geburtsort zu ſehen, kaͤmpfte, und dieſer
Kampf machte Leiden. Jener war ein Hiobs-, dieſer aber ein
Jakobskampf. — Aus dieſer Reiſe wurde alſo nichts, ſeine
Lieben reſpectirten ſeine Angſt, und gaben alſo nach.
Zu Wittgenſtein kam nun endlich der merkwuͤrdige Zeit-
punkt, in welchem Stilling, im drei und ſechzigſten Jahr ſei-
nes Alters, die Entſcheidung ſeines Schickſals erfuhr, er bekam
einen Brief von ſeinem Sohn aus Marburg, in welchem ihm
dieſer die frohe Nachricht ſchrieb, daß ihn der Kurfuͤrſt von Ba-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 577. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/585>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.