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Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

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vierzehn Tage vorher für dieses Leben verloren. Stilling
weinte mit ihm, denn das ist der beste Trost, den man einem
Mann geben kann, dem so wie Nietschke, alle Trostquellen
geöffnet sind, die Natur fordert ihr Recht, der äussere Mensch
trauert, indem der innere Gott ergeben ist.

Hier wohnten sie des Abends der Singstunde, oder dem An-
fang der Feier der Charwoche bei, auch machten sie angenehme
Bekanntschaften. Stilling besah auch einige Blinde, die er
bei der Rückreise operiren wollte.

Sonnabend den 2. April fuhren sie des Morgens von Klein-
welke
über Budissin und Löbau nach Herrnhut. Die-
ser Ort liegt auf einer flachen Anhöhe zwischen zwei Hügeln,
deren der eine nördlich, der andere südlich ist; jener heißt der
Hutberg und dieser der Heinrichsberg, auf jedem steht
ein Pavillon, von dem die Aussicht ausserordentlich schön ist:
gegen Osten etwa fünf Stunden weit, sieht man das maje-
stätische Schlesische Riesengebirge, und gegen Mittag nach
Böhmen hin.

Wie herzlich und liebevoll Stilling und Elise an diesem
äusserst lieben und angenehmen Ort empfangen wurden, und
was sie Gutes da genossen haben, das läßt sich unmöglich be-
schreiben. Eben so wenig kann ich die Geschichte des zehntägigen
Aufenthalts erzählen, denn es würde dieß Buch allzusehr ver-
größern, und dann wurde auch Stilling von den Vorstehern
ernstlich ersucht, ja nicht viel zum Lob der Brüder-
gemeinde zu sagen und zu schreiben, denn sie
gedeihten besser unter Druck, Verachtung und
Vergessenheit, als wenn man sie rühmt
.

Erxleben und Goldmann freuten sich vorzüglich ihrer
Ankunft, der erste als Correspondent, und der zweite als per-
sönlicher Bekannter von Stuttgart her.

Daß ich übrigens keines Freundes und keiner Freundin weiter
hier namentlich gedenke, wird mir Niemand verübeln -- wie
könnte ich sie Alle nennen? -- und geschehe das nicht, so könnte
es dem wehe thun, der ausgelassen würde.

Würde ich auch nur die vielen Standespersonen und Adeli-
chen, mit denen Stilling und Elise hier in ein brüderliches

vierzehn Tage vorher fuͤr dieſes Leben verloren. Stilling
weinte mit ihm, denn das iſt der beſte Troſt, den man einem
Mann geben kann, dem ſo wie Nietſchke, alle Troſtquellen
geoͤffnet ſind, die Natur fordert ihr Recht, der aͤuſſere Menſch
trauert, indem der innere Gott ergeben iſt.

Hier wohnten ſie des Abends der Singſtunde, oder dem An-
fang der Feier der Charwoche bei, auch machten ſie angenehme
Bekanntſchaften. Stilling beſah auch einige Blinde, die er
bei der Ruͤckreiſe operiren wollte.

Sonnabend den 2. April fuhren ſie des Morgens von Klein-
welke
uͤber Budiſſin und Loͤbau nach Herrnhut. Die-
ſer Ort liegt auf einer flachen Anhoͤhe zwiſchen zwei Huͤgeln,
deren der eine noͤrdlich, der andere ſuͤdlich iſt; jener heißt der
Hutberg und dieſer der Heinrichsberg, auf jedem ſteht
ein Pavillon, von dem die Ausſicht auſſerordentlich ſchoͤn iſt:
gegen Oſten etwa fuͤnf Stunden weit, ſieht man das maje-
ſtaͤtiſche Schleſiſche Rieſengebirge, und gegen Mittag nach
Boͤhmen hin.

Wie herzlich und liebevoll Stilling und Eliſe an dieſem
aͤuſſerſt lieben und angenehmen Ort empfangen wurden, und
was ſie Gutes da genoſſen haben, das laͤßt ſich unmoͤglich be-
ſchreiben. Eben ſo wenig kann ich die Geſchichte des zehntaͤgigen
Aufenthalts erzaͤhlen, denn es wuͤrde dieß Buch allzuſehr ver-
groͤßern, und dann wurde auch Stilling von den Vorſtehern
ernſtlich erſucht, ja nicht viel zum Lob der Bruͤder-
gemeinde zu ſagen und zu ſchreiben, denn ſie
gedeihten beſſer unter Druck, Verachtung und
Vergeſſenheit, als wenn man ſie ruͤhmt
.

Erxleben und Goldmann freuten ſich vorzuͤglich ihrer
Ankunft, der erſte als Correſpondent, und der zweite als per-
ſoͤnlicher Bekannter von Stuttgart her.

Daß ich uͤbrigens keines Freundes und keiner Freundin weiter
hier namentlich gedenke, wird mir Niemand veruͤbeln — wie
koͤnnte ich ſie Alle nennen? — und geſchehe das nicht, ſo koͤnnte
es dem wehe thun, der ausgelaſſen wuͤrde.

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chen, mit denen Stilling und Eliſe hier in ein bruͤderliches

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[573/0581] vierzehn Tage vorher fuͤr dieſes Leben verloren. Stilling weinte mit ihm, denn das iſt der beſte Troſt, den man einem Mann geben kann, dem ſo wie Nietſchke, alle Troſtquellen geoͤffnet ſind, die Natur fordert ihr Recht, der aͤuſſere Menſch trauert, indem der innere Gott ergeben iſt. Hier wohnten ſie des Abends der Singſtunde, oder dem An- fang der Feier der Charwoche bei, auch machten ſie angenehme Bekanntſchaften. Stilling beſah auch einige Blinde, die er bei der Ruͤckreiſe operiren wollte. Sonnabend den 2. April fuhren ſie des Morgens von Klein- welke uͤber Budiſſin und Loͤbau nach Herrnhut. Die- ſer Ort liegt auf einer flachen Anhoͤhe zwiſchen zwei Huͤgeln, deren der eine noͤrdlich, der andere ſuͤdlich iſt; jener heißt der Hutberg und dieſer der Heinrichsberg, auf jedem ſteht ein Pavillon, von dem die Ausſicht auſſerordentlich ſchoͤn iſt: gegen Oſten etwa fuͤnf Stunden weit, ſieht man das maje- ſtaͤtiſche Schleſiſche Rieſengebirge, und gegen Mittag nach Boͤhmen hin. Wie herzlich und liebevoll Stilling und Eliſe an dieſem aͤuſſerſt lieben und angenehmen Ort empfangen wurden, und was ſie Gutes da genoſſen haben, das laͤßt ſich unmoͤglich be- ſchreiben. Eben ſo wenig kann ich die Geſchichte des zehntaͤgigen Aufenthalts erzaͤhlen, denn es wuͤrde dieß Buch allzuſehr ver- groͤßern, und dann wurde auch Stilling von den Vorſtehern ernſtlich erſucht, ja nicht viel zum Lob der Bruͤder- gemeinde zu ſagen und zu ſchreiben, denn ſie gedeihten beſſer unter Druck, Verachtung und Vergeſſenheit, als wenn man ſie ruͤhmt. Erxleben und Goldmann freuten ſich vorzuͤglich ihrer Ankunft, der erſte als Correſpondent, und der zweite als per- ſoͤnlicher Bekannter von Stuttgart her. Daß ich uͤbrigens keines Freundes und keiner Freundin weiter hier namentlich gedenke, wird mir Niemand veruͤbeln — wie koͤnnte ich ſie Alle nennen? — und geſchehe das nicht, ſo koͤnnte es dem wehe thun, der ausgelaſſen wuͤrde. Wuͤrde ich auch nur die vielen Standesperſonen und Adeli- chen, mit denen Stilling und Eliſe hier in ein bruͤderliches

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Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 573. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/581>, abgerufen am 25.11.2024.