Abends zu Basel im lieben Schorndorfischen Hause gesund und glücklich an; da es aber in der Gegend von Burgdorf noch immer unruhig war, so schrieb Stilling an den Pfarrer König, er sey in Basel, und erwartete von ihm Nachricht, wann er sicher kommen könne? Bis diese Nachricht kam, waren sie Beide ruhig und vergnügt in Basel; er diente einigen Augen- kranken, und operirte auch zwei Blinde.
Am folgenden Tage, Mittwochs den 22. September, hatte Stilling eine große Freude: in Basel lebt ein sehr geschickter Maler, Marquard Wocher, ein Mann vom edelsten Herzen und christlichen Gesinnungen; dieser hatte Stillingen auf der ersten Schweizerreise zu einem dortigen angesehenen Mann, Herr Reber, geführt, der eine sehr prächtige Gemäldesammlung hat: hier zog ein ecce homo Gemälde Stillings ganze Aufmerk- samkeit auf sich. Bei der längern Betrachtung dieses leidenden Christusbildes kamen ihm die Thränen in die Augen; Wocher bemerkte dieß, und fragte: Gefällt Ihnen dieß Stück? -- Stil- ling antwortete: Ausnehmend! Ach, wenn ich nur eine treue Kopie davon hätte; aber ich kann sie nicht bezahlen. -- Die sollen sie haben, erwiederte Wocher, ich mache ihnen ein Präsent damit.
Jetzt heute brachte Wocher dieß prächtige Stück zum Will- komm, alle Kenner bewundern es.
Hier ist nun auch der Ort, wo ich einer außerordentlichen Wohlthat Gottes gedenken muß -- wer kann sie Alle erzählen? -- aber eine und andere, die mit dieser Geschichte in Verbindung steht, kann doch nicht übergangen werden.
Meine Leser werden sich des Meister Isaacs zu Waldstädt erinnern, wie er Stilling so liebevoll in der höchsten Tiefe seines Elends aufnahm, und von Haupt bis zu Fuß kleidete; nun hatte ihm zwar Stilling, als er bei Spanier war, die baaren Auslagen wieder ersetzt, aber es drückte ihn doch oft, daß er der braven Familie dieses edlen Mannes jene Liebe auf keine Weise vergelten könne. Jetzt kam es zu dieser Vergeltung, und zwar auf eine herrliche, Gottgeziemende Weise.
Der älteste Sohn des Meister Isaacs hatte auch das Schnei- derhandwerk gelernt, war dann auf seiner Wanderschaft nach Basel gekommen, hatte sich einige Jahre dort aufgehalten, und
Abends zu Baſel im lieben Schorndorfiſchen Hauſe geſund und gluͤcklich an; da es aber in der Gegend von Burgdorf noch immer unruhig war, ſo ſchrieb Stilling an den Pfarrer Koͤnig, er ſey in Baſel, und erwartete von ihm Nachricht, wann er ſicher kommen koͤnne? Bis dieſe Nachricht kam, waren ſie Beide ruhig und vergnuͤgt in Baſel; er diente einigen Augen- kranken, und operirte auch zwei Blinde.
Am folgenden Tage, Mittwochs den 22. September, hatte Stilling eine große Freude: in Baſel lebt ein ſehr geſchickter Maler, Marquard Wocher, ein Mann vom edelſten Herzen und chriſtlichen Geſinnungen; dieſer hatte Stillingen auf der erſten Schweizerreiſe zu einem dortigen angeſehenen Mann, Herr Reber, gefuͤhrt, der eine ſehr praͤchtige Gemaͤldeſammlung hat: hier zog ein ecce homo Gemaͤlde Stillings ganze Aufmerk- ſamkeit auf ſich. Bei der laͤngern Betrachtung dieſes leidenden Chriſtusbildes kamen ihm die Thraͤnen in die Augen; Wocher bemerkte dieß, und fragte: Gefaͤllt Ihnen dieß Stuͤck? — Stil- ling antwortete: Ausnehmend! Ach, wenn ich nur eine treue Kopie davon haͤtte; aber ich kann ſie nicht bezahlen. — Die ſollen ſie haben, erwiederte Wocher, ich mache ihnen ein Praͤſent damit.
Jetzt heute brachte Wocher dieß praͤchtige Stuͤck zum Will- komm, alle Kenner bewundern es.
Hier iſt nun auch der Ort, wo ich einer außerordentlichen Wohlthat Gottes gedenken muß — wer kann ſie Alle erzaͤhlen? — aber eine und andere, die mit dieſer Geſchichte in Verbindung ſteht, kann doch nicht uͤbergangen werden.
Meine Leſer werden ſich des Meiſter Iſaacs zu Waldſtaͤdt erinnern, wie er Stilling ſo liebevoll in der hoͤchſten Tiefe ſeines Elends aufnahm, und von Haupt bis zu Fuß kleidete; nun hatte ihm zwar Stilling, als er bei Spanier war, die baaren Auslagen wieder erſetzt, aber es druͤckte ihn doch oft, daß er der braven Familie dieſes edlen Mannes jene Liebe auf keine Weiſe vergelten koͤnne. Jetzt kam es zu dieſer Vergeltung, und zwar auf eine herrliche, Gottgeziemende Weiſe.
Der aͤlteſte Sohn des Meiſter Iſaacs hatte auch das Schnei- derhandwerk gelernt, war dann auf ſeiner Wanderſchaft nach Baſel gekommen, hatte ſich einige Jahre dort aufgehalten, und
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Abends zu Baſel im lieben Schorndorfiſchen Hauſe geſund
und gluͤcklich an; da es aber in der Gegend von Burgdorf
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Koͤnig, er ſey in Baſel, und erwartete von ihm Nachricht,
wann er ſicher kommen koͤnne? Bis dieſe Nachricht kam, waren
ſie Beide ruhig und vergnuͤgt in Baſel; er diente einigen Augen-
kranken, und operirte auch zwei Blinde.
Am folgenden Tage, Mittwochs den 22. September, hatte
Stilling eine große Freude: in Baſel lebt ein ſehr geſchickter
Maler, Marquard Wocher, ein Mann vom edelſten Herzen
und chriſtlichen Geſinnungen; dieſer hatte Stillingen auf der
erſten Schweizerreiſe zu einem dortigen angeſehenen Mann, Herr
Reber, gefuͤhrt, der eine ſehr praͤchtige Gemaͤldeſammlung hat:
hier zog ein ecce homo Gemaͤlde Stillings ganze Aufmerk-
ſamkeit auf ſich. Bei der laͤngern Betrachtung dieſes leidenden
Chriſtusbildes kamen ihm die Thraͤnen in die Augen; Wocher
bemerkte dieß, und fragte: Gefaͤllt Ihnen dieß Stuͤck? — Stil-
ling antwortete: Ausnehmend! Ach, wenn ich nur eine treue
Kopie davon haͤtte; aber ich kann ſie nicht bezahlen. — Die ſollen
ſie haben, erwiederte Wocher, ich mache ihnen ein Praͤſent damit.
Jetzt heute brachte Wocher dieß praͤchtige Stuͤck zum Will-
komm, alle Kenner bewundern es.
Hier iſt nun auch der Ort, wo ich einer außerordentlichen
Wohlthat Gottes gedenken muß — wer kann ſie Alle erzaͤhlen? —
aber eine und andere, die mit dieſer Geſchichte in Verbindung
ſteht, kann doch nicht uͤbergangen werden.
Meine Leſer werden ſich des Meiſter Iſaacs zu Waldſtaͤdt
erinnern, wie er Stilling ſo liebevoll in der hoͤchſten Tiefe
ſeines Elends aufnahm, und von Haupt bis zu Fuß kleidete;
nun hatte ihm zwar Stilling, als er bei Spanier war, die
baaren Auslagen wieder erſetzt, aber es druͤckte ihn doch oft, daß
er der braven Familie dieſes edlen Mannes jene Liebe auf keine
Weiſe vergelten koͤnne. Jetzt kam es zu dieſer Vergeltung, und
zwar auf eine herrliche, Gottgeziemende Weiſe.
Der aͤlteſte Sohn des Meiſter Iſaacs hatte auch das Schnei-
derhandwerk gelernt, war dann auf ſeiner Wanderſchaft nach
Baſel gekommen, hatte ſich einige Jahre dort aufgehalten, und
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 563. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/571>, abgerufen am 25.11.2024.
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