machen. Wir beide mußten mit ihm essen, und er versicherte, daß ihm niemalen eine Mahlzeit so gut geschmeckt habe. Wo Reinlichkeit ist, da kann ein Jeder essen. Nun entschließt euch, Herr Pastor! -- Wir Alle sind hungrig. Der Pastor setzte sich und schwieg still. Da rief Stilling allen seinen Kin- dern, aber Keines wollte hinein kommen, auch selbst Mar- gareth nicht. Sie füllte dem Prediger ein irdenes Kümpf- chen mit Hühnerbrüh, gab ihm einen Teller Cappes mit ei- nem hübschen Stück Fleisch und einen Krug Bier. Stil- ling trug es selber auf; der Pastor aß und trank geschwind, redete nichts, und ging wieder nach Florenburg. Nun setzte sich alles zu Tische. Margareth betete, und man speisete mit größtem Appetit. Auch selbst die Kindbetterin saß an Margarethens Stelle mit ihrem Knaben an der Brust. Denn Margareth wollte ihren Kindern selbst dienen. Sie hatte ein sehr feines weißes Hemd, welches noch ihr Braut- hemd war, angezogen. Die Ermel davon hatte sie bis hin- ter die Ellenbogen aufgewickelt. Von feinem schwarzen Tuch hatte sie ein Leibchen und Rock, und unter der Haube stan- den graue Locken hervor, schön gepudert von Ehre und Alter. Es ist wirklich unbegreiflich, daß während der ganzen Mahlzeit nicht ein Wort vom Pastor geredet wurde; doch halte ich dafür, die Ursache war, daß Vater Stilling nicht davon anfing.
Indem man so da saß und mit Vergnügen speiste, klopfte eine arme Frau an die Thüre. Sie hatte ein klein Kind auf dem Rücken in einem Tuche hängen, und bat um ein Stück- lein Brod. Mariechen war hurtig. Die Frau kam in zerlumpten, besudelten Kleidern, die aber doch die Form hat- ten, als wenn sie ehemals einem vornehmen Frauenzimmer gehört hätten. Vater Stilling befahl, man sollte sie an die Stubenthüre sitzen lassen, und ihr von allem Etwas zu essen geben. Dem Kinde kannst du etwas Reisbrei zu essen darrei- chen, Mariechen! sagte er ferner. Sie aß, und es schmeckte ihr herzlich gut. Nachdem nun sie und ihr Kind satt waren, dankte sie mit Thränen und wollte gehen. Nein, sagte der alte Stilling, sitzet und erzählet uns, wo ihr her seyd,
Stillings Schriften. I. Band. 4
machen. Wir beide mußten mit ihm eſſen, und er verſicherte, daß ihm niemalen eine Mahlzeit ſo gut geſchmeckt habe. Wo Reinlichkeit iſt, da kann ein Jeder eſſen. Nun entſchließt euch, Herr Paſtor! — Wir Alle ſind hungrig. Der Paſtor ſetzte ſich und ſchwieg ſtill. Da rief Stilling allen ſeinen Kin- dern, aber Keines wollte hinein kommen, auch ſelbſt Mar- gareth nicht. Sie fuͤllte dem Prediger ein irdenes Kuͤmpf- chen mit Huͤhnerbruͤh, gab ihm einen Teller Cappes mit ei- nem huͤbſchen Stuͤck Fleiſch und einen Krug Bier. Stil- ling trug es ſelber auf; der Paſtor aß und trank geſchwind, redete nichts, und ging wieder nach Florenburg. Nun ſetzte ſich alles zu Tiſche. Margareth betete, und man ſpeiſete mit groͤßtem Appetit. Auch ſelbſt die Kindbetterin ſaß an Margarethens Stelle mit ihrem Knaben an der Bruſt. Denn Margareth wollte ihren Kindern ſelbſt dienen. Sie hatte ein ſehr feines weißes Hemd, welches noch ihr Braut- hemd war, angezogen. Die Ermel davon hatte ſie bis hin- ter die Ellenbogen aufgewickelt. Von feinem ſchwarzen Tuch hatte ſie ein Leibchen und Rock, und unter der Haube ſtan- den graue Locken hervor, ſchoͤn gepudert von Ehre und Alter. Es iſt wirklich unbegreiflich, daß waͤhrend der ganzen Mahlzeit nicht ein Wort vom Paſtor geredet wurde; doch halte ich dafuͤr, die Urſache war, daß Vater Stilling nicht davon anfing.
Indem man ſo da ſaß und mit Vergnuͤgen ſpeiste, klopfte eine arme Frau an die Thuͤre. Sie hatte ein klein Kind auf dem Ruͤcken in einem Tuche haͤngen, und bat um ein Stuͤck- lein Brod. Mariechen war hurtig. Die Frau kam in zerlumpten, beſudelten Kleidern, die aber doch die Form hat- ten, als wenn ſie ehemals einem vornehmen Frauenzimmer gehoͤrt haͤtten. Vater Stilling befahl, man ſollte ſie an die Stubenthuͤre ſitzen laſſen, und ihr von allem Etwas zu eſſen geben. Dem Kinde kannſt du etwas Reisbrei zu eſſen darrei- chen, Mariechen! ſagte er ferner. Sie aß, und es ſchmeckte ihr herzlich gut. Nachdem nun ſie und ihr Kind ſatt waren, dankte ſie mit Thraͤnen und wollte gehen. Nein, ſagte der alte Stilling, ſitzet und erzaͤhlet uns, wo ihr her ſeyd,
Stillings Schriften. I. Band. 4
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0057"n="49"/>
machen. Wir beide mußten mit ihm eſſen, und er verſicherte,<lb/>
daß ihm niemalen eine Mahlzeit ſo gut geſchmeckt habe. Wo<lb/>
Reinlichkeit iſt, da kann ein Jeder eſſen. Nun entſchließt euch,<lb/>
Herr Paſtor! — Wir Alle ſind hungrig. Der Paſtor ſetzte<lb/>ſich und ſchwieg ſtill. Da rief <hirendition="#g">Stilling</hi> allen ſeinen Kin-<lb/>
dern, aber Keines wollte hinein kommen, auch ſelbſt <hirendition="#g">Mar-<lb/>
gareth</hi> nicht. Sie fuͤllte dem Prediger ein irdenes Kuͤmpf-<lb/>
chen mit Huͤhnerbruͤh, gab ihm einen Teller Cappes mit ei-<lb/>
nem huͤbſchen Stuͤck Fleiſch und einen Krug Bier. <hirendition="#g">Stil-<lb/>
ling</hi> trug es ſelber auf; der Paſtor aß und trank geſchwind,<lb/>
redete nichts, und ging wieder nach Florenburg. Nun ſetzte<lb/>ſich alles zu Tiſche. <hirendition="#g">Margareth</hi> betete, und man ſpeiſete<lb/>
mit groͤßtem Appetit. Auch ſelbſt die Kindbetterin ſaß an<lb/><hirendition="#g">Margarethens</hi> Stelle mit ihrem Knaben an der Bruſt.<lb/>
Denn <hirendition="#g">Margareth</hi> wollte ihren Kindern ſelbſt dienen. Sie<lb/>
hatte ein ſehr feines weißes Hemd, welches noch ihr Braut-<lb/>
hemd war, angezogen. Die Ermel davon hatte ſie bis hin-<lb/>
ter die Ellenbogen aufgewickelt. Von feinem ſchwarzen Tuch<lb/>
hatte ſie ein Leibchen und Rock, und unter der Haube ſtan-<lb/>
den graue Locken hervor, ſchoͤn gepudert von Ehre und Alter.<lb/>
Es iſt wirklich unbegreiflich, daß waͤhrend der ganzen Mahlzeit<lb/>
nicht ein Wort vom Paſtor geredet wurde; doch halte ich dafuͤr,<lb/>
die Urſache war, daß Vater <hirendition="#g">Stilling</hi> nicht davon anfing.</p><lb/><p>Indem man ſo da ſaß und mit Vergnuͤgen ſpeiste, klopfte<lb/>
eine arme Frau an die Thuͤre. Sie hatte ein klein Kind auf<lb/>
dem Ruͤcken in einem Tuche haͤngen, und bat um ein Stuͤck-<lb/>
lein Brod. <hirendition="#g">Mariechen</hi> war hurtig. Die Frau kam in<lb/>
zerlumpten, beſudelten Kleidern, die aber doch die Form hat-<lb/>
ten, als wenn ſie ehemals einem vornehmen Frauenzimmer<lb/>
gehoͤrt haͤtten. Vater <hirendition="#g">Stilling</hi> befahl, man ſollte ſie an die<lb/>
Stubenthuͤre ſitzen laſſen, und ihr von <hirendition="#g">allem</hi> Etwas zu eſſen<lb/>
geben. Dem Kinde kannſt du etwas Reisbrei zu eſſen darrei-<lb/>
chen, Mariechen! ſagte er ferner. Sie aß, und es ſchmeckte<lb/>
ihr herzlich gut. Nachdem nun ſie und ihr Kind ſatt waren,<lb/>
dankte ſie mit Thraͤnen und wollte gehen. Nein, ſagte der<lb/>
alte <hirendition="#g">Stilling</hi>, ſitzet und erzaͤhlet uns, wo ihr her ſeyd,<lb/><fwplace="bottom"type="sig">Stillings Schriften. <hirendition="#aq">I.</hi> Band. 4</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[49/0057]
machen. Wir beide mußten mit ihm eſſen, und er verſicherte,
daß ihm niemalen eine Mahlzeit ſo gut geſchmeckt habe. Wo
Reinlichkeit iſt, da kann ein Jeder eſſen. Nun entſchließt euch,
Herr Paſtor! — Wir Alle ſind hungrig. Der Paſtor ſetzte
ſich und ſchwieg ſtill. Da rief Stilling allen ſeinen Kin-
dern, aber Keines wollte hinein kommen, auch ſelbſt Mar-
gareth nicht. Sie fuͤllte dem Prediger ein irdenes Kuͤmpf-
chen mit Huͤhnerbruͤh, gab ihm einen Teller Cappes mit ei-
nem huͤbſchen Stuͤck Fleiſch und einen Krug Bier. Stil-
ling trug es ſelber auf; der Paſtor aß und trank geſchwind,
redete nichts, und ging wieder nach Florenburg. Nun ſetzte
ſich alles zu Tiſche. Margareth betete, und man ſpeiſete
mit groͤßtem Appetit. Auch ſelbſt die Kindbetterin ſaß an
Margarethens Stelle mit ihrem Knaben an der Bruſt.
Denn Margareth wollte ihren Kindern ſelbſt dienen. Sie
hatte ein ſehr feines weißes Hemd, welches noch ihr Braut-
hemd war, angezogen. Die Ermel davon hatte ſie bis hin-
ter die Ellenbogen aufgewickelt. Von feinem ſchwarzen Tuch
hatte ſie ein Leibchen und Rock, und unter der Haube ſtan-
den graue Locken hervor, ſchoͤn gepudert von Ehre und Alter.
Es iſt wirklich unbegreiflich, daß waͤhrend der ganzen Mahlzeit
nicht ein Wort vom Paſtor geredet wurde; doch halte ich dafuͤr,
die Urſache war, daß Vater Stilling nicht davon anfing.
Indem man ſo da ſaß und mit Vergnuͤgen ſpeiste, klopfte
eine arme Frau an die Thuͤre. Sie hatte ein klein Kind auf
dem Ruͤcken in einem Tuche haͤngen, und bat um ein Stuͤck-
lein Brod. Mariechen war hurtig. Die Frau kam in
zerlumpten, beſudelten Kleidern, die aber doch die Form hat-
ten, als wenn ſie ehemals einem vornehmen Frauenzimmer
gehoͤrt haͤtten. Vater Stilling befahl, man ſollte ſie an die
Stubenthuͤre ſitzen laſſen, und ihr von allem Etwas zu eſſen
geben. Dem Kinde kannſt du etwas Reisbrei zu eſſen darrei-
chen, Mariechen! ſagte er ferner. Sie aß, und es ſchmeckte
ihr herzlich gut. Nachdem nun ſie und ihr Kind ſatt waren,
dankte ſie mit Thraͤnen und wollte gehen. Nein, ſagte der
alte Stilling, ſitzet und erzaͤhlet uns, wo ihr her ſeyd,
Stillings Schriften. I. Band. 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/57>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.