ohne sich zu fürchten, und ging. Der Pastor ging auch, und so kamen sie denn endlich nach Tiefenbach.
Der alte Stilling stand vor der Thüre, mit bloßem Haupt; seine schöne grauen Haare spielten am Mond: er lächelte den Herrn Pastor an, und sagte, indem er ihm die Hand gab: Ich freue mich, daß ich in meinem Alter den Herrn Pastor an meinem Tisch sehen soll; aber ich würde so kühn nicht gewesen seyn, wenn meine Freude über einen Enkel nicht so groß wäre. Der Pastor wünschte ihm Glück, doch mit angehängter wohlmeinender Drohung, daß, wenn ihn nicht der Fluch des Eli treffen sollte, er mehr Fleiß auf die Erziehung seiner Kinder anwenden müßte. Der Alte stand da in seinem Vermögen und lächelte, doch schwieg er stille und führte Seine Ehrwürden in die Stube. Ich will doch nicht hoffen, sagte der Herr Pastor, daß ich hier unter dem Schwarm von Bauern speisen soll. Vater Stilling antwortete: Hier speist Niemand, als ich und meine Frau und Kinder, ist Euch das ein Bauernschwarm? Ei, was anders! antwortete jener. So muß ich Euch erinnern, Herr! -- versetzte Stilling, daß Ihr nichts weniger als ein Diener Christi, sondern ein Pharisäer seyd. Er saß bei den Zöllnern und Sündern, und aß mit ihnen. Er war überall klein und niedrig und demüthig. Herr Pastor! ... meine grauen Haare richten sich in die Höhe; setzt Euch, oder geht wieder! Hier pocht Etwas, ich möchte mich sonst an eurem Kleide vergreifen, wofür ich doch sonsten Respekt habe. Hier! Herr! hier vor meinem Hause ritt der Fürst vorbei; ich stand vor meiner Thüre; er kannte mich. Da sagte er: Guten Morgen, Stilling! Ich ant- wortete: Guten Morgen, Ihr Durchlaucht! Er stieg vom Pferd, er war müde von der Jagd. Holt mir einen Stuhl, sprach er, hier will ich ein wenig ruhen. Ich habe eine luf- tige Stube, antwortete ich, gefällt es Ihro Durchlaucht in die Stube zu gehen, und da bequem zu sitzen? Ja! sagte er. Der Oberjägermeister ging mit hinein. Da saß er, wo ich euch meinen besten Stuhl hineingestellt habe. Meine Marga- reth mußte ihm fette Milch einbrocken und ein Butterbrod
ohne ſich zu fuͤrchten, und ging. Der Paſtor ging auch, und ſo kamen ſie denn endlich nach Tiefenbach.
Der alte Stilling ſtand vor der Thuͤre, mit bloßem Haupt; ſeine ſchoͤne grauen Haare ſpielten am Mond: er laͤchelte den Herrn Paſtor an, und ſagte, indem er ihm die Hand gab: Ich freue mich, daß ich in meinem Alter den Herrn Paſtor an meinem Tiſch ſehen ſoll; aber ich wuͤrde ſo kuͤhn nicht geweſen ſeyn, wenn meine Freude uͤber einen Enkel nicht ſo groß waͤre. Der Paſtor wuͤnſchte ihm Gluͤck, doch mit angehaͤngter wohlmeinender Drohung, daß, wenn ihn nicht der Fluch des Eli treffen ſollte, er mehr Fleiß auf die Erziehung ſeiner Kinder anwenden muͤßte. Der Alte ſtand da in ſeinem Vermoͤgen und laͤchelte, doch ſchwieg er ſtille und fuͤhrte Seine Ehrwuͤrden in die Stube. Ich will doch nicht hoffen, ſagte der Herr Paſtor, daß ich hier unter dem Schwarm von Bauern ſpeiſen ſoll. Vater Stilling antwortete: Hier ſpeist Niemand, als ich und meine Frau und Kinder, iſt Euch das ein Bauernſchwarm? Ei, was anders! antwortete jener. So muß ich Euch erinnern, Herr! — verſetzte Stilling, daß Ihr nichts weniger als ein Diener Chriſti, ſondern ein Phariſaͤer ſeyd. Er ſaß bei den Zoͤllnern und Suͤndern, und aß mit ihnen. Er war uͤberall klein und niedrig und demuͤthig. Herr Paſtor! … meine grauen Haare richten ſich in die Hoͤhe; ſetzt Euch, oder geht wieder! Hier pocht Etwas, ich moͤchte mich ſonſt an eurem Kleide vergreifen, wofuͤr ich doch ſonſten Reſpekt habe. Hier! Herr! hier vor meinem Hauſe ritt der Fuͤrſt vorbei; ich ſtand vor meiner Thuͤre; er kannte mich. Da ſagte er: Guten Morgen, Stilling! Ich ant- wortete: Guten Morgen, Ihr Durchlaucht! Er ſtieg vom Pferd, er war muͤde von der Jagd. Holt mir einen Stuhl, ſprach er, hier will ich ein wenig ruhen. Ich habe eine luf- tige Stube, antwortete ich, gefaͤllt es Ihro Durchlaucht in die Stube zu gehen, und da bequem zu ſitzen? Ja! ſagte er. Der Oberjaͤgermeiſter ging mit hinein. Da ſaß er, wo ich euch meinen beſten Stuhl hineingeſtellt habe. Meine Marga- reth mußte ihm fette Milch einbrocken und ein Butterbrod
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0056"n="48"/>
ohne ſich zu fuͤrchten, und ging. Der Paſtor ging auch,<lb/>
und ſo kamen ſie denn endlich nach Tiefenbach.</p><lb/><p>Der alte <hirendition="#g">Stilling</hi>ſtand vor der Thuͤre, mit bloßem<lb/>
Haupt; ſeine ſchoͤne grauen Haare ſpielten am Mond: er<lb/>
laͤchelte den Herrn Paſtor an, und ſagte, indem er ihm die<lb/>
Hand gab: Ich freue mich, daß ich in meinem Alter den<lb/>
Herrn Paſtor an meinem Tiſch ſehen ſoll; aber ich wuͤrde<lb/>ſo kuͤhn nicht geweſen ſeyn, wenn meine Freude uͤber einen<lb/>
Enkel nicht ſo groß waͤre. Der Paſtor wuͤnſchte ihm Gluͤck,<lb/>
doch mit angehaͤngter wohlmeinender Drohung, daß, wenn ihn<lb/>
nicht der Fluch des Eli treffen ſollte, er mehr Fleiß auf die<lb/>
Erziehung ſeiner Kinder anwenden muͤßte. Der Alte ſtand da<lb/>
in ſeinem Vermoͤgen und laͤchelte, doch ſchwieg er ſtille und<lb/>
fuͤhrte Seine Ehrwuͤrden in die Stube. Ich will doch nicht<lb/>
hoffen, ſagte der Herr Paſtor, daß ich hier unter dem Schwarm<lb/>
von Bauern ſpeiſen ſoll. Vater <hirendition="#g">Stilling</hi> antwortete: Hier<lb/>ſpeist Niemand, als ich und meine Frau und Kinder, iſt Euch<lb/>
das ein Bauernſchwarm? Ei, was anders! antwortete jener.<lb/>
So muß ich Euch erinnern, Herr! — verſetzte <hirendition="#g">Stilling</hi>,<lb/>
daß Ihr nichts weniger als ein Diener Chriſti, ſondern ein<lb/>
Phariſaͤer ſeyd. Er ſaß bei den Zoͤllnern und Suͤndern, und<lb/>
aß mit ihnen. Er war uͤberall klein und niedrig und demuͤthig.<lb/>
Herr Paſtor! … meine grauen Haare richten ſich in die<lb/>
Hoͤhe; ſetzt Euch, oder geht wieder! Hier pocht Etwas, ich<lb/>
moͤchte mich ſonſt an eurem Kleide vergreifen, wofuͤr ich doch<lb/>ſonſten Reſpekt habe. Hier! Herr! hier vor meinem Hauſe<lb/>
ritt der Fuͤrſt vorbei; ich ſtand vor meiner Thuͤre; er kannte<lb/>
mich. Da ſagte er: Guten Morgen, <hirendition="#g">Stilling</hi>! Ich ant-<lb/>
wortete: Guten Morgen, Ihr Durchlaucht! Er ſtieg vom<lb/>
Pferd, er war muͤde von der Jagd. Holt mir einen Stuhl,<lb/>ſprach er, hier will ich ein wenig ruhen. Ich habe eine luf-<lb/>
tige Stube, antwortete ich, gefaͤllt es Ihro Durchlaucht in<lb/>
die Stube zu gehen, und da bequem zu ſitzen? Ja! ſagte er.<lb/>
Der Oberjaͤgermeiſter ging mit hinein. Da ſaß er, wo ich<lb/>
euch meinen beſten Stuhl hineingeſtellt habe. Meine Marga-<lb/>
reth mußte ihm fette Milch einbrocken und ein Butterbrod<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[48/0056]
ohne ſich zu fuͤrchten, und ging. Der Paſtor ging auch,
und ſo kamen ſie denn endlich nach Tiefenbach.
Der alte Stilling ſtand vor der Thuͤre, mit bloßem
Haupt; ſeine ſchoͤne grauen Haare ſpielten am Mond: er
laͤchelte den Herrn Paſtor an, und ſagte, indem er ihm die
Hand gab: Ich freue mich, daß ich in meinem Alter den
Herrn Paſtor an meinem Tiſch ſehen ſoll; aber ich wuͤrde
ſo kuͤhn nicht geweſen ſeyn, wenn meine Freude uͤber einen
Enkel nicht ſo groß waͤre. Der Paſtor wuͤnſchte ihm Gluͤck,
doch mit angehaͤngter wohlmeinender Drohung, daß, wenn ihn
nicht der Fluch des Eli treffen ſollte, er mehr Fleiß auf die
Erziehung ſeiner Kinder anwenden muͤßte. Der Alte ſtand da
in ſeinem Vermoͤgen und laͤchelte, doch ſchwieg er ſtille und
fuͤhrte Seine Ehrwuͤrden in die Stube. Ich will doch nicht
hoffen, ſagte der Herr Paſtor, daß ich hier unter dem Schwarm
von Bauern ſpeiſen ſoll. Vater Stilling antwortete: Hier
ſpeist Niemand, als ich und meine Frau und Kinder, iſt Euch
das ein Bauernſchwarm? Ei, was anders! antwortete jener.
So muß ich Euch erinnern, Herr! — verſetzte Stilling,
daß Ihr nichts weniger als ein Diener Chriſti, ſondern ein
Phariſaͤer ſeyd. Er ſaß bei den Zoͤllnern und Suͤndern, und
aß mit ihnen. Er war uͤberall klein und niedrig und demuͤthig.
Herr Paſtor! … meine grauen Haare richten ſich in die
Hoͤhe; ſetzt Euch, oder geht wieder! Hier pocht Etwas, ich
moͤchte mich ſonſt an eurem Kleide vergreifen, wofuͤr ich doch
ſonſten Reſpekt habe. Hier! Herr! hier vor meinem Hauſe
ritt der Fuͤrſt vorbei; ich ſtand vor meiner Thuͤre; er kannte
mich. Da ſagte er: Guten Morgen, Stilling! Ich ant-
wortete: Guten Morgen, Ihr Durchlaucht! Er ſtieg vom
Pferd, er war muͤde von der Jagd. Holt mir einen Stuhl,
ſprach er, hier will ich ein wenig ruhen. Ich habe eine luf-
tige Stube, antwortete ich, gefaͤllt es Ihro Durchlaucht in
die Stube zu gehen, und da bequem zu ſitzen? Ja! ſagte er.
Der Oberjaͤgermeiſter ging mit hinein. Da ſaß er, wo ich
euch meinen beſten Stuhl hineingeſtellt habe. Meine Marga-
reth mußte ihm fette Milch einbrocken und ein Butterbrod
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/56>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.