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Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

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ohne sich zu fürchten, und ging. Der Pastor ging auch,
und so kamen sie denn endlich nach Tiefenbach.

Der alte Stilling stand vor der Thüre, mit bloßem
Haupt; seine schöne grauen Haare spielten am Mond: er
lächelte den Herrn Pastor an, und sagte, indem er ihm die
Hand gab: Ich freue mich, daß ich in meinem Alter den
Herrn Pastor an meinem Tisch sehen soll; aber ich würde
so kühn nicht gewesen seyn, wenn meine Freude über einen
Enkel nicht so groß wäre. Der Pastor wünschte ihm Glück,
doch mit angehängter wohlmeinender Drohung, daß, wenn ihn
nicht der Fluch des Eli treffen sollte, er mehr Fleiß auf die
Erziehung seiner Kinder anwenden müßte. Der Alte stand da
in seinem Vermögen und lächelte, doch schwieg er stille und
führte Seine Ehrwürden in die Stube. Ich will doch nicht
hoffen, sagte der Herr Pastor, daß ich hier unter dem Schwarm
von Bauern speisen soll. Vater Stilling antwortete: Hier
speist Niemand, als ich und meine Frau und Kinder, ist Euch
das ein Bauernschwarm? Ei, was anders! antwortete jener.
So muß ich Euch erinnern, Herr! -- versetzte Stilling,
daß Ihr nichts weniger als ein Diener Christi, sondern ein
Pharisäer seyd. Er saß bei den Zöllnern und Sündern, und
aß mit ihnen. Er war überall klein und niedrig und demüthig.
Herr Pastor! ... meine grauen Haare richten sich in die
Höhe; setzt Euch, oder geht wieder! Hier pocht Etwas, ich
möchte mich sonst an eurem Kleide vergreifen, wofür ich doch
sonsten Respekt habe. Hier! Herr! hier vor meinem Hause
ritt der Fürst vorbei; ich stand vor meiner Thüre; er kannte
mich. Da sagte er: Guten Morgen, Stilling! Ich ant-
wortete: Guten Morgen, Ihr Durchlaucht! Er stieg vom
Pferd, er war müde von der Jagd. Holt mir einen Stuhl,
sprach er, hier will ich ein wenig ruhen. Ich habe eine luf-
tige Stube, antwortete ich, gefällt es Ihro Durchlaucht in
die Stube zu gehen, und da bequem zu sitzen? Ja! sagte er.
Der Oberjägermeister ging mit hinein. Da saß er, wo ich
euch meinen besten Stuhl hineingestellt habe. Meine Marga-
reth mußte ihm fette Milch einbrocken und ein Butterbrod

ohne ſich zu fuͤrchten, und ging. Der Paſtor ging auch,
und ſo kamen ſie denn endlich nach Tiefenbach.

Der alte Stilling ſtand vor der Thuͤre, mit bloßem
Haupt; ſeine ſchoͤne grauen Haare ſpielten am Mond: er
laͤchelte den Herrn Paſtor an, und ſagte, indem er ihm die
Hand gab: Ich freue mich, daß ich in meinem Alter den
Herrn Paſtor an meinem Tiſch ſehen ſoll; aber ich wuͤrde
ſo kuͤhn nicht geweſen ſeyn, wenn meine Freude uͤber einen
Enkel nicht ſo groß waͤre. Der Paſtor wuͤnſchte ihm Gluͤck,
doch mit angehaͤngter wohlmeinender Drohung, daß, wenn ihn
nicht der Fluch des Eli treffen ſollte, er mehr Fleiß auf die
Erziehung ſeiner Kinder anwenden muͤßte. Der Alte ſtand da
in ſeinem Vermoͤgen und laͤchelte, doch ſchwieg er ſtille und
fuͤhrte Seine Ehrwuͤrden in die Stube. Ich will doch nicht
hoffen, ſagte der Herr Paſtor, daß ich hier unter dem Schwarm
von Bauern ſpeiſen ſoll. Vater Stilling antwortete: Hier
ſpeist Niemand, als ich und meine Frau und Kinder, iſt Euch
das ein Bauernſchwarm? Ei, was anders! antwortete jener.
So muß ich Euch erinnern, Herr! — verſetzte Stilling,
daß Ihr nichts weniger als ein Diener Chriſti, ſondern ein
Phariſaͤer ſeyd. Er ſaß bei den Zoͤllnern und Suͤndern, und
aß mit ihnen. Er war uͤberall klein und niedrig und demuͤthig.
Herr Paſtor! … meine grauen Haare richten ſich in die
Hoͤhe; ſetzt Euch, oder geht wieder! Hier pocht Etwas, ich
moͤchte mich ſonſt an eurem Kleide vergreifen, wofuͤr ich doch
ſonſten Reſpekt habe. Hier! Herr! hier vor meinem Hauſe
ritt der Fuͤrſt vorbei; ich ſtand vor meiner Thuͤre; er kannte
mich. Da ſagte er: Guten Morgen, Stilling! Ich ant-
wortete: Guten Morgen, Ihr Durchlaucht! Er ſtieg vom
Pferd, er war muͤde von der Jagd. Holt mir einen Stuhl,
ſprach er, hier will ich ein wenig ruhen. Ich habe eine luf-
tige Stube, antwortete ich, gefaͤllt es Ihro Durchlaucht in
die Stube zu gehen, und da bequem zu ſitzen? Ja! ſagte er.
Der Oberjaͤgermeiſter ging mit hinein. Da ſaß er, wo ich
euch meinen beſten Stuhl hineingeſtellt habe. Meine Marga-
reth mußte ihm fette Milch einbrocken und ein Butterbrod

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[48/0056] ohne ſich zu fuͤrchten, und ging. Der Paſtor ging auch, und ſo kamen ſie denn endlich nach Tiefenbach. Der alte Stilling ſtand vor der Thuͤre, mit bloßem Haupt; ſeine ſchoͤne grauen Haare ſpielten am Mond: er laͤchelte den Herrn Paſtor an, und ſagte, indem er ihm die Hand gab: Ich freue mich, daß ich in meinem Alter den Herrn Paſtor an meinem Tiſch ſehen ſoll; aber ich wuͤrde ſo kuͤhn nicht geweſen ſeyn, wenn meine Freude uͤber einen Enkel nicht ſo groß waͤre. Der Paſtor wuͤnſchte ihm Gluͤck, doch mit angehaͤngter wohlmeinender Drohung, daß, wenn ihn nicht der Fluch des Eli treffen ſollte, er mehr Fleiß auf die Erziehung ſeiner Kinder anwenden muͤßte. Der Alte ſtand da in ſeinem Vermoͤgen und laͤchelte, doch ſchwieg er ſtille und fuͤhrte Seine Ehrwuͤrden in die Stube. Ich will doch nicht hoffen, ſagte der Herr Paſtor, daß ich hier unter dem Schwarm von Bauern ſpeiſen ſoll. Vater Stilling antwortete: Hier ſpeist Niemand, als ich und meine Frau und Kinder, iſt Euch das ein Bauernſchwarm? Ei, was anders! antwortete jener. So muß ich Euch erinnern, Herr! — verſetzte Stilling, daß Ihr nichts weniger als ein Diener Chriſti, ſondern ein Phariſaͤer ſeyd. Er ſaß bei den Zoͤllnern und Suͤndern, und aß mit ihnen. Er war uͤberall klein und niedrig und demuͤthig. Herr Paſtor! … meine grauen Haare richten ſich in die Hoͤhe; ſetzt Euch, oder geht wieder! Hier pocht Etwas, ich moͤchte mich ſonſt an eurem Kleide vergreifen, wofuͤr ich doch ſonſten Reſpekt habe. Hier! Herr! hier vor meinem Hauſe ritt der Fuͤrſt vorbei; ich ſtand vor meiner Thuͤre; er kannte mich. Da ſagte er: Guten Morgen, Stilling! Ich ant- wortete: Guten Morgen, Ihr Durchlaucht! Er ſtieg vom Pferd, er war muͤde von der Jagd. Holt mir einen Stuhl, ſprach er, hier will ich ein wenig ruhen. Ich habe eine luf- tige Stube, antwortete ich, gefaͤllt es Ihro Durchlaucht in die Stube zu gehen, und da bequem zu ſitzen? Ja! ſagte er. Der Oberjaͤgermeiſter ging mit hinein. Da ſaß er, wo ich euch meinen beſten Stuhl hineingeſtellt habe. Meine Marga- reth mußte ihm fette Milch einbrocken und ein Butterbrod

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Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/56>, abgerufen am 24.11.2024.