seine Zahlung für Stilling beinahe hundert Gulden betrug. Stilling bekam also von unbekannter Hand die Quittung über die Bezahlung dieses Postens, aber er hat nie den Freund erfahren, der ihm auf eine so edle Art diesen Liebesdienst er- zeigt hat. Er wird dich aber dereinst finden, edler Mann! dort, wo Alles offenbar wird, und dann erst wird er dir nach Würden danken können.
Das war eine gesegnete Schuldentilgungs-Reise! -- ein wichtiger Stillingsknoten, eine Schulden- Masse von fünfthalb tausend Gulden machen zu müssen, und sie ganz ohne Vermögen, blos durch den Glauben, redlich und ehrlich, mit den Zinsen bis auf den letzten Heller zu bezahlen, war nun herrlich gelöst. Hallelujah!
Etliche Wochen nach Stillings Zurückkunft aus der Schweiz begegnete ihm etwas Merkwürdiges; er saß an ei- nem Vormittag an seinem Pult, es klopfte Jemand an seine Thür, auf das Wort herein! trat ein junger Mann von 27 bis 30 Jahren ins Zimmer; er sahe unstät und flüchtig aus, blickte schüchtern umher, und oft mit scheuem Blick auf La- vaters Portrait: Sie sind in Zürich gewesen? fing er an, ich war auch da! -- ich muß fort! -- er ging unruhig um- her, schaute nach Lavaters Bild, und sagte hastig: ich kann in Deutschland nicht bleiben, es ist überall unsicher für mich -- man könnte mich fangen -- ach Herr Hofrath! ma- chen Sie, daß ich fortkomme! -- Stilling gerieth in Ver- legenheit, und fragte: Sind Sie ein Schweizer? Ach ja, ant- wortete er, ich bin ein Schweizer! -- aber ich habe keine Ruhe, ich will nach Amerika, machen Sie, daß ich dahin komme! u. s. w. Unter beständigem Hin- und Herlaufen, und Blik- ken nach Lavaters Bild, sprach er noch Mehreres, das bei Stilling die Vermuthung erregte, er sey Lavaters Mör- der. Er rieth ihm also, nach Hamburg zu gehen, wo er immer Gelegenheit fände, nach Amerika zu kommen; er möchte aber eilen, damit er der Polizei nicht in die Hände geriethe; plötzlich lief der arme Mensch zur Thür hinaus und fort.
Nachdem nun Stilling seine so lang getragene Schulden-
ſeine Zahlung fuͤr Stilling beinahe hundert Gulden betrug. Stilling bekam alſo von unbekannter Hand die Quittung uͤber die Bezahlung dieſes Poſtens, aber er hat nie den Freund erfahren, der ihm auf eine ſo edle Art dieſen Liebesdienſt er- zeigt hat. Er wird dich aber dereinſt finden, edler Mann! dort, wo Alles offenbar wird, und dann erſt wird er dir nach Wuͤrden danken koͤnnen.
Das war eine geſegnete Schuldentilgungs-Reiſe! — ein wichtiger Stillingsknoten, eine Schulden- Maſſe von fuͤnfthalb tauſend Gulden machen zu muͤſſen, und ſie ganz ohne Vermoͤgen, blos durch den Glauben, redlich und ehrlich, mit den Zinſen bis auf den letzten Heller zu bezahlen, war nun herrlich geloͤst. Hallelujah!
Etliche Wochen nach Stillings Zuruͤckkunft aus der Schweiz begegnete ihm etwas Merkwuͤrdiges; er ſaß an ei- nem Vormittag an ſeinem Pult, es klopfte Jemand an ſeine Thuͤr, auf das Wort herein! trat ein junger Mann von 27 bis 30 Jahren ins Zimmer; er ſahe unſtaͤt und fluͤchtig aus, blickte ſchuͤchtern umher, und oft mit ſcheuem Blick auf La- vaters Portrait: Sie ſind in Zuͤrich geweſen? fing er an, ich war auch da! — ich muß fort! — er ging unruhig um- her, ſchaute nach Lavaters Bild, und ſagte haſtig: ich kann in Deutſchland nicht bleiben, es iſt uͤberall unſicher fuͤr mich — man koͤnnte mich fangen — ach Herr Hofrath! ma- chen Sie, daß ich fortkomme! — Stilling gerieth in Ver- legenheit, und fragte: Sind Sie ein Schweizer? Ach ja, ant- wortete er, ich bin ein Schweizer! — aber ich habe keine Ruhe, ich will nach Amerika, machen Sie, daß ich dahin komme! u. ſ. w. Unter beſtaͤndigem Hin- und Herlaufen, und Blik- ken nach Lavaters Bild, ſprach er noch Mehreres, das bei Stilling die Vermuthung erregte, er ſey Lavaters Moͤr- der. Er rieth ihm alſo, nach Hamburg zu gehen, wo er immer Gelegenheit faͤnde, nach Amerika zu kommen; er moͤchte aber eilen, damit er der Polizei nicht in die Haͤnde geriethe; ploͤtzlich lief der arme Menſch zur Thuͤr hinaus und fort.
Nachdem nun Stilling ſeine ſo lang getragene Schulden-
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Mann! dort, wo Alles offenbar wird, und dann
erſt wird er dir nach Wuͤrden danken koͤnnen.
Das war eine geſegnete Schuldentilgungs-Reiſe!
— ein wichtiger Stillingsknoten, eine Schulden-
Maſſe von fuͤnfthalb tauſend Gulden machen
zu muͤſſen, und ſie ganz ohne Vermoͤgen, blos
durch den Glauben, redlich und ehrlich, mit den
Zinſen bis auf den letzten Heller zu bezahlen,
war nun herrlich geloͤst. Hallelujah!
Etliche Wochen nach Stillings Zuruͤckkunft aus der
Schweiz begegnete ihm etwas Merkwuͤrdiges; er ſaß an ei-
nem Vormittag an ſeinem Pult, es klopfte Jemand an ſeine
Thuͤr, auf das Wort herein! trat ein junger Mann von 27
bis 30 Jahren ins Zimmer; er ſahe unſtaͤt und fluͤchtig aus,
blickte ſchuͤchtern umher, und oft mit ſcheuem Blick auf La-
vaters Portrait: Sie ſind in Zuͤrich geweſen? fing er an,
ich war auch da! — ich muß fort! — er ging unruhig um-
her, ſchaute nach Lavaters Bild, und ſagte haſtig: ich kann
in Deutſchland nicht bleiben, es iſt uͤberall unſicher fuͤr
mich — man koͤnnte mich fangen — ach Herr Hofrath! ma-
chen Sie, daß ich fortkomme! — Stilling gerieth in Ver-
legenheit, und fragte: Sind Sie ein Schweizer? Ach ja, ant-
wortete er, ich bin ein Schweizer! — aber ich habe keine Ruhe,
ich will nach Amerika, machen Sie, daß ich dahin komme!
u. ſ. w. Unter beſtaͤndigem Hin- und Herlaufen, und Blik-
ken nach Lavaters Bild, ſprach er noch Mehreres, das bei
Stilling die Vermuthung erregte, er ſey Lavaters Moͤr-
der. Er rieth ihm alſo, nach Hamburg zu gehen, wo er
immer Gelegenheit faͤnde, nach Amerika zu kommen; er
moͤchte aber eilen, damit er der Polizei nicht in die Haͤnde
geriethe; ploͤtzlich lief der arme Menſch zur Thuͤr hinaus und fort.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 542. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/550>, abgerufen am 22.11.2024.
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