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Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

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das Wort Ja! hörte, so floß ihr ganzes Herz mit ihren
Augen von Liebes- und Freundschafts-Ergießungen über: sie
brachte ein Frühstück heraus, ihr Mann und Kinder kamen
auch herzu, und es folgte eine viertelstündige sehr herzliche und
christliche Unterhaltung, dann nahmen die Reisenden Abschied,
und fuhren weiter das Thal hinab. Dieser Ort heißt Leu-
felfingen
, und der Gastwirth Flühebacher. Mit der
Frau Flühebacherin hat Stilling seitdem einen erbau-
lichen Briefwechsel geführt.

Am Abend um sechs Uhr kamen die Reisenden in Basel
an, wo sie auf die freundschaftlichste Art von dem Raths-
herrn und Kaufmann Daniel Schorndorf, seiner Gattin
und Kindern aufgenommen wurden. In dieser lieben christ-
lichgesinnten Familie verlebten sie einige selige Tage.

Hier gab es auch wieder Vieles zu thun; dann machte
auch Stilling wieder wichtige Bekanntschaften, besonders
mit den Theologen von der deutschen Gesellschaft zur
Beförderung wahrer Gottseligkeit
, und dann auch
sonst noch mit frommen Predigern, Huber, La Roche, u. a. m.

Nach einem Aufenthalt von vier Tagen nahm auch hier
Stilling rührenden Abschied, und reiste mit seiner Elise
Montags den 27. April Morgens früh von Basel ab.

Jetzt, meine lieben Leser! wer Ohren hat zu hören, der
höre, und wer ein Herz zu empfinden hat, der empfinde! --

Stilling hatte ein tausend sechs hundert und
ungefähr fünfzig Gulden Schulden -- unter den
zwei und siebenzig Staarblinden, die er in der
Schweiz operirte, war eine Person, die kein Wort
von seinen Schulden wußte, wenigstens nicht
von Ferne ahnen konnte, wie viel ihrer wären,
nur aus innerem Antriebe, Stillingen eine be-
quemere Lage zu verschaffen -- ganz genau ein
tausend sechs hundert und fünfzig Gulden für
die Staaroperation und Kur bezahlte
. Als Stil-
ling
und Elise des Abends zusammen auf ihr Schlafzim-
mer kamen, so fanden sie das Geld theils baar, theils in
Wechseln auf ihrem Bette -- genau die Summe ihrer Schul-

das Wort Ja! hoͤrte, ſo floß ihr ganzes Herz mit ihren
Augen von Liebes- und Freundſchafts-Ergießungen uͤber: ſie
brachte ein Fruͤhſtuͤck heraus, ihr Mann und Kinder kamen
auch herzu, und es folgte eine viertelſtuͤndige ſehr herzliche und
chriſtliche Unterhaltung, dann nahmen die Reiſenden Abſchied,
und fuhren weiter das Thal hinab. Dieſer Ort heißt Leu-
felfingen
, und der Gaſtwirth Fluͤhebacher. Mit der
Frau Fluͤhebacherin hat Stilling ſeitdem einen erbau-
lichen Briefwechſel gefuͤhrt.

Am Abend um ſechs Uhr kamen die Reiſenden in Baſel
an, wo ſie auf die freundſchaftlichſte Art von dem Raths-
herrn und Kaufmann Daniel Schorndorf, ſeiner Gattin
und Kindern aufgenommen wurden. In dieſer lieben chriſt-
lichgeſinnten Familie verlebten ſie einige ſelige Tage.

Hier gab es auch wieder Vieles zu thun; dann machte
auch Stilling wieder wichtige Bekanntſchaften, beſonders
mit den Theologen von der deutſchen Geſellſchaft zur
Befoͤrderung wahrer Gottſeligkeit
, und dann auch
ſonſt noch mit frommen Predigern, Huber, La Roche, u. a. m.

Nach einem Aufenthalt von vier Tagen nahm auch hier
Stilling ruͤhrenden Abſchied, und reiste mit ſeiner Eliſe
Montags den 27. April Morgens fruͤh von Baſel ab.

Jetzt, meine lieben Leſer! wer Ohren hat zu hoͤren, der
hoͤre, und wer ein Herz zu empfinden hat, der empfinde! —

Stilling hatte ein tauſend ſechs hundert und
ungefaͤhr fuͤnfzig Gulden Schulden — unter den
zwei und ſiebenzig Staarblinden, die er in der
Schweiz operirte, war eine Perſon, die kein Wort
von ſeinen Schulden wußte, wenigſtens nicht
von Ferne ahnen konnte, wie viel ihrer waͤren,
nur aus innerem Antriebe, Stillingen eine be-
quemere Lage zu verſchaffen — ganz genau ein
tauſend ſechs hundert und fuͤnfzig Gulden fuͤr
die Staaroperation und Kur bezahlte
. Als Stil-
ling
und Eliſe des Abends zuſammen auf ihr Schlafzim-
mer kamen, ſo fanden ſie das Geld theils baar, theils in
Wechſeln auf ihrem Bette — genau die Summe ihrer Schul-

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[537/0545] das Wort Ja! hoͤrte, ſo floß ihr ganzes Herz mit ihren Augen von Liebes- und Freundſchafts-Ergießungen uͤber: ſie brachte ein Fruͤhſtuͤck heraus, ihr Mann und Kinder kamen auch herzu, und es folgte eine viertelſtuͤndige ſehr herzliche und chriſtliche Unterhaltung, dann nahmen die Reiſenden Abſchied, und fuhren weiter das Thal hinab. Dieſer Ort heißt Leu- felfingen, und der Gaſtwirth Fluͤhebacher. Mit der Frau Fluͤhebacherin hat Stilling ſeitdem einen erbau- lichen Briefwechſel gefuͤhrt. Am Abend um ſechs Uhr kamen die Reiſenden in Baſel an, wo ſie auf die freundſchaftlichſte Art von dem Raths- herrn und Kaufmann Daniel Schorndorf, ſeiner Gattin und Kindern aufgenommen wurden. In dieſer lieben chriſt- lichgeſinnten Familie verlebten ſie einige ſelige Tage. Hier gab es auch wieder Vieles zu thun; dann machte auch Stilling wieder wichtige Bekanntſchaften, beſonders mit den Theologen von der deutſchen Geſellſchaft zur Befoͤrderung wahrer Gottſeligkeit, und dann auch ſonſt noch mit frommen Predigern, Huber, La Roche, u. a. m. Nach einem Aufenthalt von vier Tagen nahm auch hier Stilling ruͤhrenden Abſchied, und reiste mit ſeiner Eliſe Montags den 27. April Morgens fruͤh von Baſel ab. Jetzt, meine lieben Leſer! wer Ohren hat zu hoͤren, der hoͤre, und wer ein Herz zu empfinden hat, der empfinde! — Stilling hatte ein tauſend ſechs hundert und ungefaͤhr fuͤnfzig Gulden Schulden — unter den zwei und ſiebenzig Staarblinden, die er in der Schweiz operirte, war eine Perſon, die kein Wort von ſeinen Schulden wußte, wenigſtens nicht von Ferne ahnen konnte, wie viel ihrer waͤren, nur aus innerem Antriebe, Stillingen eine be- quemere Lage zu verſchaffen — ganz genau ein tauſend ſechs hundert und fuͤnfzig Gulden fuͤr die Staaroperation und Kur bezahlte. Als Stil- ling und Eliſe des Abends zuſammen auf ihr Schlafzim- mer kamen, ſo fanden ſie das Geld theils baar, theils in Wechſeln auf ihrem Bette — genau die Summe ihrer Schul-

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Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 537. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/545>, abgerufen am 17.06.2024.