sie Alle zusammen nach Stuttgart; Stilling und Elise herbergten im Seckendorfischen Hause.
Stilling machte hier wieder ansehnliche und merkwürdige persönliche Bekanntschaften mit Würtembergischen from- men und gelehrten Männern, unter welchen sich sein Herz besonders an Storr, Hofcaplan Rieger, Moser, Dann, u. a. m. anschloß, er fand auch unvermuthet seinen Freund Matthisson hier, der sich bei seinem ehemaligen Hausfreund, dem rechtschaffenen Hofrath Hartmann, aufhielt.
Des andern Tages, am grünen Donnerstag Nachmittag, fuhren sie nach Tübingen, am Charfreitag nach Tuttlin- gen, und den Sonntag vor Ostern nach Schaffhausen, wo sie von der Kirchhofer'schen Familie mit lautem Jubel aufgenommen wurden.
Auf dem Wege von Tuttlingen nach Schaffhausen -- wenn man nämlich über die Höhe fährt, gibt es einen Ort, von dem man eine Aussicht hat, die für einen Deutschen, der noch nie in der Schweiz war und Sinn für so Etwas hat, erstaunlich ist. Man führt von Tuttlingen aus, all- mählig die Höhe hinan, und über diese hinaus, bis vorn auf die Spitze; hier hat man nun folgenden Anblick: linkerhand gegen Südosten, etwa eine Stunde weit in gerader Linie, steht der Riesenfels, mit seiner nunmehr zerstörten Veste Hohent- wiel, und rechterhand gegen Südwesten, ungefähr in dersel- ben Entfernung, trotzt einem sein Bruder, ein eben so hoher und starker Riese, mit seiner ebenfalls zerstörten Veste Ho- henstaufen -- der Postillon sagte: der hohe Stoffel -- entgegen. Zwischen diesen beiden Seiten-Pfosten zeigt sich nun folgende Landschaft: links, längs Hohentwiel hin, etwa drei Meilen weit, glänzt einem der Bodensee, weit und breit wie schmelzend Silber entgegen; an der Südseite dessel- ben übersieht man das paradiesische Thurgau und jenseits die Graubündtner Alpen; mehr rechts den Kanton Ap- penzell mit seinen Schneebergen, den Kanton Glarus mit seinen Riesengebirgen, besonders den über alle emporragenden Glärnitsch, der hohe Sentis mit den sieben zackichten Kuhfirsten liegt mehr östlich; so sieht man die ganze Reihe
ſie Alle zuſammen nach Stuttgart; Stilling und Eliſe herbergten im Seckendorfiſchen Hauſe.
Stilling machte hier wieder anſehnliche und merkwuͤrdige perſoͤnliche Bekanntſchaften mit Wuͤrtembergiſchen from- men und gelehrten Maͤnnern, unter welchen ſich ſein Herz beſonders an Storr, Hofcaplan Rieger, Moſer, Dann, u. a. m. anſchloß, er fand auch unvermuthet ſeinen Freund Matthiſſon hier, der ſich bei ſeinem ehemaligen Hausfreund, dem rechtſchaffenen Hofrath Hartmann, aufhielt.
Des andern Tages, am gruͤnen Donnerſtag Nachmittag, fuhren ſie nach Tuͤbingen, am Charfreitag nach Tuttlin- gen, und den Sonntag vor Oſtern nach Schaffhauſen, wo ſie von der Kirchhofer’ſchen Familie mit lautem Jubel aufgenommen wurden.
Auf dem Wege von Tuttlingen nach Schaffhauſen — wenn man naͤmlich uͤber die Hoͤhe faͤhrt, gibt es einen Ort, von dem man eine Ausſicht hat, die fuͤr einen Deutſchen, der noch nie in der Schweiz war und Sinn fuͤr ſo Etwas hat, erſtaunlich iſt. Man fuͤhrt von Tuttlingen aus, all- maͤhlig die Hoͤhe hinan, und uͤber dieſe hinaus, bis vorn auf die Spitze; hier hat man nun folgenden Anblick: linkerhand gegen Suͤdoſten, etwa eine Stunde weit in gerader Linie, ſteht der Rieſenfels, mit ſeiner nunmehr zerſtoͤrten Veſte Hohent- wiel, und rechterhand gegen Suͤdweſten, ungefaͤhr in derſel- ben Entfernung, trotzt einem ſein Bruder, ein eben ſo hoher und ſtarker Rieſe, mit ſeiner ebenfalls zerſtoͤrten Veſte Ho- henſtaufen — der Poſtillon ſagte: der hohe Stoffel — entgegen. Zwiſchen dieſen beiden Seiten-Pfoſten zeigt ſich nun folgende Landſchaft: links, laͤngs Hohentwiel hin, etwa drei Meilen weit, glaͤnzt einem der Bodenſee, weit und breit wie ſchmelzend Silber entgegen; an der Suͤdſeite deſſel- ben uͤberſieht man das paradieſiſche Thurgau und jenſeits die Graubuͤndtner Alpen; mehr rechts den Kanton Ap- penzell mit ſeinen Schneebergen, den Kanton Glarus mit ſeinen Rieſengebirgen, beſonders den uͤber alle emporragenden Glaͤrnitſch, der hohe Sentis mit den ſieben zackichten Kuhfirſten liegt mehr oͤſtlich; ſo ſieht man die ganze Reihe
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ſie Alle zuſammen nach Stuttgart; Stilling und Eliſe
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Stilling machte hier wieder anſehnliche und merkwuͤrdige
perſoͤnliche Bekanntſchaften mit Wuͤrtembergiſchen from-
men und gelehrten Maͤnnern, unter welchen ſich ſein Herz
beſonders an Storr, Hofcaplan Rieger, Moſer, Dann,
u. a. m. anſchloß, er fand auch unvermuthet ſeinen Freund
Matthiſſon hier, der ſich bei ſeinem ehemaligen Hausfreund,
dem rechtſchaffenen Hofrath Hartmann, aufhielt.
Des andern Tages, am gruͤnen Donnerſtag Nachmittag,
fuhren ſie nach Tuͤbingen, am Charfreitag nach Tuttlin-
gen, und den Sonntag vor Oſtern nach Schaffhauſen,
wo ſie von der Kirchhofer’ſchen Familie mit lautem Jubel
aufgenommen wurden.
Auf dem Wege von Tuttlingen nach Schaffhauſen
— wenn man naͤmlich uͤber die Hoͤhe faͤhrt, gibt es einen
Ort, von dem man eine Ausſicht hat, die fuͤr einen Deutſchen,
der noch nie in der Schweiz war und Sinn fuͤr ſo Etwas
hat, erſtaunlich iſt. Man fuͤhrt von Tuttlingen aus, all-
maͤhlig die Hoͤhe hinan, und uͤber dieſe hinaus, bis vorn auf
die Spitze; hier hat man nun folgenden Anblick: linkerhand
gegen Suͤdoſten, etwa eine Stunde weit in gerader Linie, ſteht
der Rieſenfels, mit ſeiner nunmehr zerſtoͤrten Veſte Hohent-
wiel, und rechterhand gegen Suͤdweſten, ungefaͤhr in derſel-
ben Entfernung, trotzt einem ſein Bruder, ein eben ſo hoher
und ſtarker Rieſe, mit ſeiner ebenfalls zerſtoͤrten Veſte Ho-
henſtaufen — der Poſtillon ſagte: der hohe Stoffel
— entgegen. Zwiſchen dieſen beiden Seiten-Pfoſten zeigt ſich
nun folgende Landſchaft: links, laͤngs Hohentwiel hin, etwa
drei Meilen weit, glaͤnzt einem der Bodenſee, weit und
breit wie ſchmelzend Silber entgegen; an der Suͤdſeite deſſel-
ben uͤberſieht man das paradieſiſche Thurgau und jenſeits
die Graubuͤndtner Alpen; mehr rechts den Kanton Ap-
penzell mit ſeinen Schneebergen, den Kanton Glarus mit
ſeinen Rieſengebirgen, beſonders den uͤber alle emporragenden
Glaͤrnitſch, der hohe Sentis mit den ſieben zackichten
Kuhfirſten liegt mehr oͤſtlich; ſo ſieht man die ganze Reihe
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 530. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/538>, abgerufen am 22.11.2024.
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