ihm sein Geist wieder, dann sprach er zusammenhängend und vernünftig; und als dieß auch aufhörte, so hing doch seine Vorstellungskraft noch an ein paar Bibelsprüchen von der Vergebung der Sünden durch das Leiden und Sterben Christi, die er unzähligemal mit vielen Thränen und Händeringen wiederholte und sich damit in seinem Leiden tröstete. Aus diesem Beispiel kann man lernen, wie wichtig es sey, wenn man den Kindern frühzeitig das Gedächtniß mit erbaulichen Sprüchen aus der Bibel und Liederversen anfüllt. Die ersten Eindrücke im Gedächhniß des Kindes sind unauslöschbar. In der Jugend helfen ihnen solche Sprüche und Verse wenig; aber wenn sie im hohen Alter Wilhelm Stillings Wüste durchpilgern müssen, wo sie einsam, von aller Empfindung des gesellschaftlichen Lebens und ihres eigenen Bewußtseyns entblößt, nur noch einen kleinen Schimmer der Vernunft zum Führer haben, da wo sie ihren ganzen Lebensgang vergessen haben, da sind solche Sprüche und Verse Himmelsbrod, das zum Uebergang über den schauerlichen Strom des Todes stärkt.
Uebrigens sind sie in Kreuz und Trübfal, in Noth und Tod herrliche Stärkungs- und Tröstungsmittel.
In den Pfingstferien dieses 1797sten Jahres erfuhren Stil- ling und Elise wieder eine merkwürdige Probe der göttli- chen Vorsorge: er hatte allerdings einen ansehnlichen Gehalt, aber auch eben so ansehnliche und nothwendige Ausgaben, denn es war zu der Zeit in Marburg alles theuer; nun wird sich jeder Hausvater solcher Zeitpunkte erinnern, wo gerade vie- lerlei Umstände zusammentrafen, die vereinigt eine Presse von Geldnoth verursachten, aus der man sich nicht zu retten wußte und wo man auch nicht in der Lage war, Schulden machen zu können oder zu dürfen. Ungefähr in dieser Lage befand sich Stilling, oder vielmehr Elise, als welche in Sel- ma's Fußstapfen getreten war und die Haushaltungssorge nebst der Verwaltung der Kasse ganz allein übernommen hatte. Nun hatte aber eine sehr würdige und ansehnliche Dame in der Schweiz einige Zeit vorher an Stilling geschrieben und ihn wegen der Blindheit ihres Mannes zu Rath gezogen. Gerade jetzt in der Presse, als Stilling mit den Studen-
ihm ſein Geiſt wieder, dann ſprach er zuſammenhaͤngend und vernuͤnftig; und als dieß auch aufhoͤrte, ſo hing doch ſeine Vorſtellungskraft noch an ein paar Bibelſpruͤchen von der Vergebung der Suͤnden durch das Leiden und Sterben Chriſti, die er unzaͤhligemal mit vielen Thraͤnen und Haͤnderingen wiederholte und ſich damit in ſeinem Leiden troͤſtete. Aus dieſem Beiſpiel kann man lernen, wie wichtig es ſey, wenn man den Kindern fruͤhzeitig das Gedaͤchtniß mit erbaulichen Spruͤchen aus der Bibel und Liederverſen anfuͤllt. Die erſten Eindruͤcke im Gedaͤchhniß des Kindes ſind unausloͤſchbar. In der Jugend helfen ihnen ſolche Spruͤche und Verſe wenig; aber wenn ſie im hohen Alter Wilhelm Stillings Wuͤſte durchpilgern muͤſſen, wo ſie einſam, von aller Empfindung des geſellſchaftlichen Lebens und ihres eigenen Bewußtſeyns entbloͤßt, nur noch einen kleinen Schimmer der Vernunft zum Fuͤhrer haben, da wo ſie ihren ganzen Lebensgang vergeſſen haben, da ſind ſolche Spruͤche und Verſe Himmelsbrod, das zum Uebergang uͤber den ſchauerlichen Strom des Todes ſtaͤrkt.
Uebrigens ſind ſie in Kreuz und Truͤbfal, in Noth und Tod herrliche Staͤrkungs- und Troͤſtungsmittel.
In den Pfingſtferien dieſes 1797ſten Jahres erfuhren Stil- ling und Eliſe wieder eine merkwuͤrdige Probe der goͤttli- chen Vorſorge: er hatte allerdings einen anſehnlichen Gehalt, aber auch eben ſo anſehnliche und nothwendige Ausgaben, denn es war zu der Zeit in Marburg alles theuer; nun wird ſich jeder Hausvater ſolcher Zeitpunkte erinnern, wo gerade vie- lerlei Umſtaͤnde zuſammentrafen, die vereinigt eine Preſſe von Geldnoth verurſachten, aus der man ſich nicht zu retten wußte und wo man auch nicht in der Lage war, Schulden machen zu koͤnnen oder zu duͤrfen. Ungefaͤhr in dieſer Lage befand ſich Stilling, oder vielmehr Eliſe, als welche in Sel- ma’s Fußſtapfen getreten war und die Haushaltungsſorge nebſt der Verwaltung der Kaſſe ganz allein uͤbernommen hatte. Nun hatte aber eine ſehr wuͤrdige und anſehnliche Dame in der Schweiz einige Zeit vorher an Stilling geſchrieben und ihn wegen der Blindheit ihres Mannes zu Rath gezogen. Gerade jetzt in der Preſſe, als Stilling mit den Studen-
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ihm ſein Geiſt wieder, dann ſprach er zuſammenhaͤngend und
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Vorſtellungskraft noch an ein paar Bibelſpruͤchen von der
Vergebung der Suͤnden durch das Leiden und Sterben Chriſti,
die er unzaͤhligemal mit vielen Thraͤnen und Haͤnderingen
wiederholte und ſich damit in ſeinem Leiden troͤſtete. Aus
dieſem Beiſpiel kann man lernen, wie wichtig es ſey, wenn
man den Kindern fruͤhzeitig das Gedaͤchtniß mit erbaulichen
Spruͤchen aus der Bibel und Liederverſen anfuͤllt. Die erſten
Eindruͤcke im Gedaͤchhniß des Kindes ſind unausloͤſchbar. In
der Jugend helfen ihnen ſolche Spruͤche und Verſe wenig;
aber wenn ſie im hohen Alter Wilhelm Stillings Wuͤſte
durchpilgern muͤſſen, wo ſie einſam, von aller Empfindung
des geſellſchaftlichen Lebens und ihres eigenen Bewußtſeyns
entbloͤßt, nur noch einen kleinen Schimmer der Vernunft zum
Fuͤhrer haben, da wo ſie ihren ganzen Lebensgang vergeſſen
haben, da ſind ſolche Spruͤche und Verſe Himmelsbrod, das
zum Uebergang uͤber den ſchauerlichen Strom des Todes ſtaͤrkt.
Uebrigens ſind ſie in Kreuz und Truͤbfal, in Noth und Tod
herrliche Staͤrkungs- und Troͤſtungsmittel.
In den Pfingſtferien dieſes 1797ſten Jahres erfuhren Stil-
ling und Eliſe wieder eine merkwuͤrdige Probe der goͤttli-
chen Vorſorge: er hatte allerdings einen anſehnlichen Gehalt,
aber auch eben ſo anſehnliche und nothwendige Ausgaben,
denn es war zu der Zeit in Marburg alles theuer; nun wird
ſich jeder Hausvater ſolcher Zeitpunkte erinnern, wo gerade vie-
lerlei Umſtaͤnde zuſammentrafen, die vereinigt eine Preſſe von
Geldnoth verurſachten, aus der man ſich nicht zu retten wußte
und wo man auch nicht in der Lage war, Schulden machen
zu koͤnnen oder zu duͤrfen. Ungefaͤhr in dieſer Lage befand
ſich Stilling, oder vielmehr Eliſe, als welche in Sel-
ma’s Fußſtapfen getreten war und die Haushaltungsſorge
nebſt der Verwaltung der Kaſſe ganz allein uͤbernommen hatte.
Nun hatte aber eine ſehr wuͤrdige und anſehnliche Dame in
der Schweiz einige Zeit vorher an Stilling geſchrieben
und ihn wegen der Blindheit ihres Mannes zu Rath gezogen.
Gerade jetzt in der Preſſe, als Stilling mit den Studen-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 504. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/512>, abgerufen am 22.11.2024.
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