damals der Graf Maximilian von Degenfeld aufhielt. Beide wollten mit einander nach Neuwied reisen. In Ge- sellschaft dieses edlen Mannes besuchte er den, wegen seines musikalischen Instruments berühmten Herrn von Dünewald; sie besahen seinen niedlichen Garten mit der Kapelle und sei- nem Grab, und dann sahen und hörten sie auch das eben er- wähnte Instrument, auf welchem ihnen der Eigenthümer eine ganze Symphonie mit allen dazu gehörigen Instrumenten na- türlich und vortrefflich vorspielte. Wo dieß herrliche Stück im Krieg geblieben ist, und ob es nicht auf immer verstimmt worden, das weiß ich nicht.
Des andern Morgens fuhren sie in einem bedeckten Nachen den Rhein hinab. Es ging jetzt besser als im Jahr 1770, als auf der Reise nach Straßburg die Jacht umfiel, oder 1771, auf der Reise nach Haus, als Stilling auch diese Wasser- fahrt am Abend in einem dreibortigen Kähnchen machte, und sich mit seinem Begleiter auf eine Jacht rettete. Es war ein prächtiger Herbstmorgen, und die purpurne Morgenröthe bließ so stark in das Segel des bedeckten Nachens, daß sie die sechs Stunden von Mainz bis Bingen in dreien machten. Diese Wasserfahrt ist wegen der romantischen Ansichten weit und breit berühmt, aber Stillingen wegen oben bemerkter ge- gelittener Unfälle unvergeßlich. Nachmittags um vier Uhr kamen sie in Neuwied an, wo sie auch Raschmann mit seinen Grafen und den jetzigen Vicekanzler der Universität, damals Professor Erxleben, antrafen; mit diesem Freund wurde Stilling bei dem Pastor Minz einquartirt, die üb- rigen logirten zum Theil im Schloß.
Diese Reise Stillings nach Neuwied ist darum in sei- ner Geschichte merkwürdig, weil er hier zum Erstenmal in sei- nem Leben einen Herrnhuter Gemeinort kennen lernte und einer ihrer sonntäglichen Gottesverehrungen beiwohnte, in wel- cher Br. Du Vernoy eine herrliche Predigt hielt. Alles zu- sammen machte tiefen Eindruck auf Stilling, und brachte ihn der Brüdergemeinde näher, wozu auch Raschmann Vie- les beitrug, welcher, ob er gleich in Ansehung seiner religiösen Gesinnungen himmelweit von ihr verschieden war, doch mit
damals der Graf Maximilian von Degenfeld aufhielt. Beide wollten mit einander nach Neuwied reiſen. In Ge- ſellſchaft dieſes edlen Mannes beſuchte er den, wegen ſeines muſikaliſchen Inſtruments beruͤhmten Herrn von Duͤnewald; ſie beſahen ſeinen niedlichen Garten mit der Kapelle und ſei- nem Grab, und dann ſahen und hoͤrten ſie auch das eben er- waͤhnte Inſtrument, auf welchem ihnen der Eigenthuͤmer eine ganze Symphonie mit allen dazu gehoͤrigen Inſtrumenten na- tuͤrlich und vortrefflich vorſpielte. Wo dieß herrliche Stuͤck im Krieg geblieben iſt, und ob es nicht auf immer verſtimmt worden, das weiß ich nicht.
Des andern Morgens fuhren ſie in einem bedeckten Nachen den Rhein hinab. Es ging jetzt beſſer als im Jahr 1770, als auf der Reiſe nach Straßburg die Jacht umfiel, oder 1771, auf der Reiſe nach Haus, als Stilling auch dieſe Waſſer- fahrt am Abend in einem dreibortigen Kaͤhnchen machte, und ſich mit ſeinem Begleiter auf eine Jacht rettete. Es war ein praͤchtiger Herbſtmorgen, und die purpurne Morgenroͤthe bließ ſo ſtark in das Segel des bedeckten Nachens, daß ſie die ſechs Stunden von Mainz bis Bingen in dreien machten. Dieſe Waſſerfahrt iſt wegen der romantiſchen Anſichten weit und breit beruͤhmt, aber Stillingen wegen oben bemerkter ge- gelittener Unfaͤlle unvergeßlich. Nachmittags um vier Uhr kamen ſie in Neuwied an, wo ſie auch Raſchmann mit ſeinen Grafen und den jetzigen Vicekanzler der Univerſitaͤt, damals Profeſſor Erxleben, antrafen; mit dieſem Freund wurde Stilling bei dem Paſtor Minz einquartirt, die uͤb- rigen logirten zum Theil im Schloß.
Dieſe Reiſe Stillings nach Neuwied iſt darum in ſei- ner Geſchichte merkwuͤrdig, weil er hier zum Erſtenmal in ſei- nem Leben einen Herrnhuter Gemeinort kennen lernte und einer ihrer ſonntaͤglichen Gottesverehrungen beiwohnte, in wel- cher Br. Du Vernoy eine herrliche Predigt hielt. Alles zu- ſammen machte tiefen Eindruck auf Stilling, und brachte ihn der Bruͤdergemeinde naͤher, wozu auch Raſchmann Vie- les beitrug, welcher, ob er gleich in Anſehung ſeiner religioͤſen Geſinnungen himmelweit von ihr verſchieden war, doch mit
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damals der Graf Maximilian von Degenfeld aufhielt.
Beide wollten mit einander nach Neuwied reiſen. In Ge-
ſellſchaft dieſes edlen Mannes beſuchte er den, wegen ſeines
muſikaliſchen Inſtruments beruͤhmten Herrn von Duͤnewald;
ſie beſahen ſeinen niedlichen Garten mit der Kapelle und ſei-
nem Grab, und dann ſahen und hoͤrten ſie auch das eben er-
waͤhnte Inſtrument, auf welchem ihnen der Eigenthuͤmer eine
ganze Symphonie mit allen dazu gehoͤrigen Inſtrumenten na-
tuͤrlich und vortrefflich vorſpielte. Wo dieß herrliche Stuͤck
im Krieg geblieben iſt, und ob es nicht auf immer verſtimmt
worden, das weiß ich nicht.
Des andern Morgens fuhren ſie in einem bedeckten Nachen
den Rhein hinab. Es ging jetzt beſſer als im Jahr 1770,
als auf der Reiſe nach Straßburg die Jacht umfiel, oder 1771,
auf der Reiſe nach Haus, als Stilling auch dieſe Waſſer-
fahrt am Abend in einem dreibortigen Kaͤhnchen machte, und
ſich mit ſeinem Begleiter auf eine Jacht rettete. Es war ein
praͤchtiger Herbſtmorgen, und die purpurne Morgenroͤthe bließ
ſo ſtark in das Segel des bedeckten Nachens, daß ſie die ſechs
Stunden von Mainz bis Bingen in dreien machten. Dieſe
Waſſerfahrt iſt wegen der romantiſchen Anſichten weit und
breit beruͤhmt, aber Stillingen wegen oben bemerkter ge-
gelittener Unfaͤlle unvergeßlich. Nachmittags um vier Uhr
kamen ſie in Neuwied an, wo ſie auch Raſchmann mit
ſeinen Grafen und den jetzigen Vicekanzler der Univerſitaͤt,
damals Profeſſor Erxleben, antrafen; mit dieſem Freund
wurde Stilling bei dem Paſtor Minz einquartirt, die uͤb-
rigen logirten zum Theil im Schloß.
Dieſe Reiſe Stillings nach Neuwied iſt darum in ſei-
ner Geſchichte merkwuͤrdig, weil er hier zum Erſtenmal in ſei-
nem Leben einen Herrnhuter Gemeinort kennen lernte und
einer ihrer ſonntaͤglichen Gottesverehrungen beiwohnte, in wel-
cher Br. Du Vernoy eine herrliche Predigt hielt. Alles zu-
ſammen machte tiefen Eindruck auf Stilling, und brachte
ihn der Bruͤdergemeinde naͤher, wozu auch Raſchmann Vie-
les beitrug, welcher, ob er gleich in Anſehung ſeiner religioͤſen
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 451. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/459>, abgerufen am 25.11.2024.
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