schafft, er hatte auch schon deßfalls vergebliche Versuche ge- macht; als er nun merkte, daß der Fürst eine besondere Nei- gung zu Stilling äußerte, so lag er diesem an, er möchte Weckherlin losbitten, denn er habe schon lange genug für seinen Muthwillen gebüßt.
Es gibt Fälle, in welchen der Christ nicht mit sich selbst aufs Reine kommen kann -- dieser war von der Art: einen Mann los zu bitten, der die Freiheit zum Nachtheil seines Nebenmenschen, und besonders der Obrigkeit mißbraucht, hat seine Bedenklichkeit; und auf der andern Seite ist doch auch die Gefangenschaft, besonders für einen Mann wie Weckher- lin, ein schweres Leiden. -- Der Gedanke, daß man ja allent- halben Mittel habe, einem Menschen, der seine Freiheit miß- braucht, das Handwerk zu legen, überwog Stillings Be- denklichkeit; er wagte es also, während der Tafel, den Für- sten zu bitten, Er möchte Weckherlin loslassen. -- Der Fürst lächelte, und versetzte: laß ich ihn los, so geht er in ein ander Land, und dann geht es über mich her; über das hat er ja an nichts Mangel, und er kann auf dem Schloß spazieren gehen und der freien Luft genießen, so wie er will. Nicht lange nachher erhielt denn doch der Gefangene seine Freiheit wieder.
Nach einem angenehmen Aufenthalt von zehn Tagen reiste Stilling von Wallerstein wieder ab; die Verwandten begleiteten ihn bis Dinkelsbühl, wohin auch Schwester So- phie kam; hier blieben sie des Nachts beisammen; des Mor- gens nahm Stilling von ihnen allen einen zärtlichen Ab- schied, und setzte dann seine Reise bis Frankfurt fort. Hier traf er seine Tochter Hannchen bei Freund Kraft an; sie war eine Zeitlang bei ihren Verwandten in den Niederlanden gewesen; sie war nun erwachsen. Der Vater freute sich der Tochter, und die Tochter des Vaters. Beide fuhren nun zu- sammen nach Marburg. Selma kam ihnen, in Beglei- tung des Freundes Coing und ihrer Freundin Elise, bis Gießen entgegen, und so kamen sie denn alle zusammen froh und zufrieden in Marburg wieder an.
Wer Stillings Lage jetzt leidenlos glaubt, der irrt sehr:
ſchafft, er hatte auch ſchon deßfalls vergebliche Verſuche ge- macht; als er nun merkte, daß der Fuͤrſt eine beſondere Nei- gung zu Stilling aͤußerte, ſo lag er dieſem an, er moͤchte Weckherlin losbitten, denn er habe ſchon lange genug fuͤr ſeinen Muthwillen gebuͤßt.
Es gibt Faͤlle, in welchen der Chriſt nicht mit ſich ſelbſt aufs Reine kommen kann — dieſer war von der Art: einen Mann los zu bitten, der die Freiheit zum Nachtheil ſeines Nebenmenſchen, und beſonders der Obrigkeit mißbraucht, hat ſeine Bedenklichkeit; und auf der andern Seite iſt doch auch die Gefangenſchaft, beſonders fuͤr einen Mann wie Weckher- lin, ein ſchweres Leiden. — Der Gedanke, daß man ja allent- halben Mittel habe, einem Menſchen, der ſeine Freiheit miß- braucht, das Handwerk zu legen, uͤberwog Stillings Be- denklichkeit; er wagte es alſo, waͤhrend der Tafel, den Fuͤr- ſten zu bitten, Er moͤchte Weckherlin loslaſſen. — Der Fuͤrſt laͤchelte, und verſetzte: laß ich ihn los, ſo geht er in ein ander Land, und dann geht es uͤber mich her; uͤber das hat er ja an nichts Mangel, und er kann auf dem Schloß ſpazieren gehen und der freien Luft genießen, ſo wie er will. Nicht lange nachher erhielt denn doch der Gefangene ſeine Freiheit wieder.
Nach einem angenehmen Aufenthalt von zehn Tagen reiste Stilling von Wallerſtein wieder ab; die Verwandten begleiteten ihn bis Dinkelsbuͤhl, wohin auch Schweſter So- phie kam; hier blieben ſie des Nachts beiſammen; des Mor- gens nahm Stilling von ihnen allen einen zaͤrtlichen Ab- ſchied, und ſetzte dann ſeine Reiſe bis Frankfurt fort. Hier traf er ſeine Tochter Hannchen bei Freund Kraft an; ſie war eine Zeitlang bei ihren Verwandten in den Niederlanden geweſen; ſie war nun erwachſen. Der Vater freute ſich der Tochter, und die Tochter des Vaters. Beide fuhren nun zu- ſammen nach Marburg. Selma kam ihnen, in Beglei- tung des Freundes Coing und ihrer Freundin Eliſe, bis Gießen entgegen, und ſo kamen ſie denn alle zuſammen froh und zufrieden in Marburg wieder an.
Wer Stillings Lage jetzt leidenlos glaubt, der irrt ſehr:
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gung zu Stilling aͤußerte, ſo lag er dieſem an, er moͤchte
Weckherlin losbitten, denn er habe ſchon lange genug fuͤr
ſeinen Muthwillen gebuͤßt.
Es gibt Faͤlle, in welchen der Chriſt nicht mit ſich ſelbſt
aufs Reine kommen kann — dieſer war von der Art: einen
Mann los zu bitten, der die Freiheit zum Nachtheil ſeines
Nebenmenſchen, und beſonders der Obrigkeit mißbraucht, hat
ſeine Bedenklichkeit; und auf der andern Seite iſt doch auch
die Gefangenſchaft, beſonders fuͤr einen Mann wie Weckher-
lin, ein ſchweres Leiden. — Der Gedanke, daß man ja allent-
halben Mittel habe, einem Menſchen, der ſeine Freiheit miß-
braucht, das Handwerk zu legen, uͤberwog Stillings Be-
denklichkeit; er wagte es alſo, waͤhrend der Tafel, den Fuͤr-
ſten zu bitten, Er moͤchte Weckherlin loslaſſen. — Der
Fuͤrſt laͤchelte, und verſetzte: laß ich ihn los, ſo geht er in
ein ander Land, und dann geht es uͤber mich her; uͤber das
hat er ja an nichts Mangel, und er kann auf dem Schloß
ſpazieren gehen und der freien Luft genießen, ſo wie er will.
Nicht lange nachher erhielt denn doch der Gefangene ſeine
Freiheit wieder.
Nach einem angenehmen Aufenthalt von zehn Tagen reiste
Stilling von Wallerſtein wieder ab; die Verwandten
begleiteten ihn bis Dinkelsbuͤhl, wohin auch Schweſter So-
phie kam; hier blieben ſie des Nachts beiſammen; des Mor-
gens nahm Stilling von ihnen allen einen zaͤrtlichen Ab-
ſchied, und ſetzte dann ſeine Reiſe bis Frankfurt fort. Hier
traf er ſeine Tochter Hannchen bei Freund Kraft an; ſie
war eine Zeitlang bei ihren Verwandten in den Niederlanden
geweſen; ſie war nun erwachſen. Der Vater freute ſich der
Tochter, und die Tochter des Vaters. Beide fuhren nun zu-
ſammen nach Marburg. Selma kam ihnen, in Beglei-
tung des Freundes Coing und ihrer Freundin Eliſe, bis
Gießen entgegen, und ſo kamen ſie denn alle zuſammen froh
und zufrieden in Marburg wieder an.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 442. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/450>, abgerufen am 22.11.2024.
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