Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

nicht einwilligen würde, der ihre Engelsseele ganz zeigte, wie
sie ist; allein Bescheidenheit und andere wichtigen Gründe
verbieten mir, ihn zu entdecken.

In dem Zeitpunkt, als Stillings Angst aufs höchste
gestiegen war, trat Herr von St. Florintin mit seiner
Schwester zur Thüre herein. Sophie griff den Consulenten
am Arm, und führte ihn ins Nebenzimmer, und Stilling
zog Selma neben sich auf den Sopha.

War das Kaltsinn, oder was wars, fing er an, daß Sie
mich so ängstlich harren ließen?

"Nicht Kaltsinn -- (die Thränen traten ihr in die Augen)
"ich mußte in eine Visite gehen, und da wurde ich aufgehal-
"ten; meine Empfindung -- ist unaussprechlich."

Sie entschließen sich also wohl, die Meinige zu werden?

"Wenn meine Mutter einwilligt, so bin ich ewig die Ihrige!"

Ja, aber Ihre Frau Mutter?

"Die wird nichts einwenden."

Mit unaussprechlicher Freude umarmte und küßte er sie,
und indem trat Sophie mit dem Consulenten ins Zimmer.
Diese standen da, schauten hin und starrten!

So weit sind Sie schon? rief Sophie mit hoher Freude.

Ja! -- Ja! im Arm führte er sie ihr entgegen.

Nun umfaßte die erhabene Seele Beide, schaute in die
Höhe, und sagte mit Thränen und innigster Bewegung: "Gott
"segne euch, meine Kinder! mit himmlischer Wonne wird
"die verklärte Christine jetzt auf ihren Stilling herabse-
"hen, denn sie hat dir, mein Sohn, diesen Engel zum Weibe
"erbeten."

Dieser Auftritt war Herz und Seelen erschütternd; Sel-
ma's
Bruder hing sich auch an diese Gruppe an, weinte,
segnete, und schwur Stillingen ewige Brudertreue.

Nun setzte sich Sophie, sie nahm ihre Selma auf ihren
Schooß, die ihr Gesicht in Sophiens Busen verbarg, und
ihn mit Thränen netzte.

Endlich ermannten sich Alle; Stillings Zug zu dieser
vortrefflichen Seele, seiner nunmehrigen Braut, war unbe-
gränzt, ob er gleich ihre Lebensgeschichte noch nicht wußte.

nicht einwilligen wuͤrde, der ihre Engelsſeele ganz zeigte, wie
ſie iſt; allein Beſcheidenheit und andere wichtigen Gruͤnde
verbieten mir, ihn zu entdecken.

In dem Zeitpunkt, als Stillings Angſt aufs hoͤchſte
geſtiegen war, trat Herr von St. Florintin mit ſeiner
Schweſter zur Thuͤre herein. Sophie griff den Conſulenten
am Arm, und fuͤhrte ihn ins Nebenzimmer, und Stilling
zog Selma neben ſich auf den Sopha.

War das Kaltſinn, oder was wars, fing er an, daß Sie
mich ſo aͤngſtlich harren ließen?

„Nicht Kaltſinn — (die Thraͤnen traten ihr in die Augen)
„ich mußte in eine Viſite gehen, und da wurde ich aufgehal-
„ten; meine Empfindung — iſt unausſprechlich.“

Sie entſchließen ſich alſo wohl, die Meinige zu werden?

„Wenn meine Mutter einwilligt, ſo bin ich ewig die Ihrige!“

Ja, aber Ihre Frau Mutter?

„Die wird nichts einwenden.“

Mit unausſprechlicher Freude umarmte und kuͤßte er ſie,
und indem trat Sophie mit dem Conſulenten ins Zimmer.
Dieſe ſtanden da, ſchauten hin und ſtarrten!

So weit ſind Sie ſchon? rief Sophie mit hoher Freude.

Ja! — Ja! im Arm fuͤhrte er ſie ihr entgegen.

Nun umfaßte die erhabene Seele Beide, ſchaute in die
Hoͤhe, und ſagte mit Thraͤnen und innigſter Bewegung: „Gott
„ſegne euch, meine Kinder! mit himmliſcher Wonne wird
„die verklaͤrte Chriſtine jetzt auf ihren Stilling herabſe-
„hen, denn ſie hat dir, mein Sohn, dieſen Engel zum Weibe
„erbeten.“

Dieſer Auftritt war Herz und Seelen erſchuͤtternd; Sel-
ma’s
Bruder hing ſich auch an dieſe Gruppe an, weinte,
ſegnete, und ſchwur Stillingen ewige Brudertreue.

Nun ſetzte ſich Sophie, ſie nahm ihre Selma auf ihren
Schooß, die ihr Geſicht in Sophiens Buſen verbarg, und
ihn mit Thraͤnen netzte.

Endlich ermannten ſich Alle; Stillings Zug zu dieſer
vortrefflichen Seele, ſeiner nunmehrigen Braut, war unbe-
graͤnzt, ob er gleich ihre Lebensgeſchichte noch nicht wußte.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0409" n="401"/>
nicht einwilligen wu&#x0364;rde, der ihre Engels&#x017F;eele ganz zeigte, wie<lb/>
&#x017F;ie i&#x017F;t; allein Be&#x017F;cheidenheit und andere wichtigen Gru&#x0364;nde<lb/>
verbieten mir, ihn zu entdecken.</p><lb/>
            <p>In dem Zeitpunkt, als <hi rendition="#g">Stillings</hi> Ang&#x017F;t aufs ho&#x0364;ch&#x017F;te<lb/>
ge&#x017F;tiegen war, trat Herr von <hi rendition="#g">St. Florintin</hi> mit &#x017F;einer<lb/>
Schwe&#x017F;ter zur Thu&#x0364;re herein. <hi rendition="#g">Sophie</hi> griff den Con&#x017F;ulenten<lb/>
am Arm, und fu&#x0364;hrte ihn ins Nebenzimmer, und <hi rendition="#g">Stilling</hi><lb/>
zog <hi rendition="#g">Selma</hi> neben &#x017F;ich auf den Sopha.</p><lb/>
            <p>War das Kalt&#x017F;inn, oder was wars, fing er an, daß Sie<lb/>
mich &#x017F;o a&#x0364;ng&#x017F;tlich harren ließen?</p><lb/>
            <p>&#x201E;Nicht Kalt&#x017F;inn &#x2014; (die Thra&#x0364;nen traten ihr in die Augen)<lb/>
&#x201E;ich mußte in eine Vi&#x017F;ite gehen, und da wurde ich aufgehal-<lb/>
&#x201E;ten; meine Empfindung &#x2014; i&#x017F;t unaus&#x017F;prechlich.&#x201C;</p><lb/>
            <p>Sie ent&#x017F;chließen &#x017F;ich al&#x017F;o wohl, die Meinige zu werden?</p><lb/>
            <p>&#x201E;Wenn meine Mutter einwilligt, &#x017F;o bin ich ewig die Ihrige!&#x201C;</p><lb/>
            <p>Ja, aber Ihre Frau Mutter?</p><lb/>
            <p>&#x201E;Die wird nichts einwenden.&#x201C;</p><lb/>
            <p>Mit unaus&#x017F;prechlicher Freude umarmte und ku&#x0364;ßte er &#x017F;ie,<lb/>
und indem trat <hi rendition="#g">Sophie</hi> mit dem Con&#x017F;ulenten ins Zimmer.<lb/>
Die&#x017F;e &#x017F;tanden da, &#x017F;chauten hin und &#x017F;tarrten!</p><lb/>
            <p>So weit &#x017F;ind Sie &#x017F;chon? rief <hi rendition="#g">Sophie</hi> mit hoher Freude.</p><lb/>
            <p>Ja! &#x2014; Ja! im Arm fu&#x0364;hrte er &#x017F;ie ihr entgegen.</p><lb/>
            <p>Nun umfaßte die erhabene Seele Beide, &#x017F;chaute in die<lb/>
Ho&#x0364;he, und &#x017F;agte mit Thra&#x0364;nen und innig&#x017F;ter Bewegung: &#x201E;Gott<lb/>
&#x201E;&#x017F;egne euch, meine Kinder! mit himmli&#x017F;cher Wonne wird<lb/>
&#x201E;die verkla&#x0364;rte <hi rendition="#g">Chri&#x017F;tine</hi> jetzt auf ihren <hi rendition="#g">Stilling</hi> herab&#x017F;e-<lb/>
&#x201E;hen, denn &#x017F;ie hat dir, mein Sohn, die&#x017F;en Engel zum Weibe<lb/>
&#x201E;erbeten.&#x201C;</p><lb/>
            <p>Die&#x017F;er Auftritt war Herz und Seelen er&#x017F;chu&#x0364;tternd; <hi rendition="#g">Sel-<lb/>
ma&#x2019;s</hi> Bruder hing &#x017F;ich auch an die&#x017F;e Gruppe an, weinte,<lb/>
&#x017F;egnete, und &#x017F;chwur <hi rendition="#g">Stillingen</hi> ewige Brudertreue.</p><lb/>
            <p>Nun &#x017F;etzte &#x017F;ich <hi rendition="#g">Sophie</hi>, &#x017F;ie nahm ihre <hi rendition="#g">Selma</hi> auf ihren<lb/>
Schooß, die ihr Ge&#x017F;icht in <hi rendition="#g">Sophiens</hi> Bu&#x017F;en verbarg, und<lb/>
ihn mit Thra&#x0364;nen netzte.</p><lb/>
            <p>Endlich ermannten &#x017F;ich Alle; <hi rendition="#g">Stillings</hi> Zug zu die&#x017F;er<lb/>
vortrefflichen Seele, &#x017F;einer nunmehrigen Braut, war unbe-<lb/>
gra&#x0364;nzt, ob er gleich ihre Lebensge&#x017F;chichte noch nicht wußte.<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[401/0409] nicht einwilligen wuͤrde, der ihre Engelsſeele ganz zeigte, wie ſie iſt; allein Beſcheidenheit und andere wichtigen Gruͤnde verbieten mir, ihn zu entdecken. In dem Zeitpunkt, als Stillings Angſt aufs hoͤchſte geſtiegen war, trat Herr von St. Florintin mit ſeiner Schweſter zur Thuͤre herein. Sophie griff den Conſulenten am Arm, und fuͤhrte ihn ins Nebenzimmer, und Stilling zog Selma neben ſich auf den Sopha. War das Kaltſinn, oder was wars, fing er an, daß Sie mich ſo aͤngſtlich harren ließen? „Nicht Kaltſinn — (die Thraͤnen traten ihr in die Augen) „ich mußte in eine Viſite gehen, und da wurde ich aufgehal- „ten; meine Empfindung — iſt unausſprechlich.“ Sie entſchließen ſich alſo wohl, die Meinige zu werden? „Wenn meine Mutter einwilligt, ſo bin ich ewig die Ihrige!“ Ja, aber Ihre Frau Mutter? „Die wird nichts einwenden.“ Mit unausſprechlicher Freude umarmte und kuͤßte er ſie, und indem trat Sophie mit dem Conſulenten ins Zimmer. Dieſe ſtanden da, ſchauten hin und ſtarrten! So weit ſind Sie ſchon? rief Sophie mit hoher Freude. Ja! — Ja! im Arm fuͤhrte er ſie ihr entgegen. Nun umfaßte die erhabene Seele Beide, ſchaute in die Hoͤhe, und ſagte mit Thraͤnen und innigſter Bewegung: „Gott „ſegne euch, meine Kinder! mit himmliſcher Wonne wird „die verklaͤrte Chriſtine jetzt auf ihren Stilling herabſe- „hen, denn ſie hat dir, mein Sohn, dieſen Engel zum Weibe „erbeten.“ Dieſer Auftritt war Herz und Seelen erſchuͤtternd; Sel- ma’s Bruder hing ſich auch an dieſe Gruppe an, weinte, ſegnete, und ſchwur Stillingen ewige Brudertreue. Nun ſetzte ſich Sophie, ſie nahm ihre Selma auf ihren Schooß, die ihr Geſicht in Sophiens Buſen verbarg, und ihn mit Thraͤnen netzte. Endlich ermannten ſich Alle; Stillings Zug zu dieſer vortrefflichen Seele, ſeiner nunmehrigen Braut, war unbe- graͤnzt, ob er gleich ihre Lebensgeſchichte noch nicht wußte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/409
Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 401. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/409>, abgerufen am 17.06.2024.