ligion zuwider seyen; Herr W .... predigte sogar den folgen- den Sonntag über die Vorsicht und Pflichten, in Ansehung der häuslichen Erbauung, wobei er sich endlich gegen Stil- ling hinkehrte und ihm öffentlich zuredete, indem er in fol- gende Worte ausbrach: "Du aber, leidender Wanderer zum er- habenen Ziel der Christen und des wahren Weisen! sey ge- trost, dulde und wandle vorsichtig zwischen den Fallstricken, die Dir Widerwärtige legen! -- Du wirst siegen und Gott wird dich mit Segen krönen, Gott wird deine Feinde mit Schande begleiten, aber über dir wird glänzen die Krone der Ueberwindung; Hand an Hand wollen wir uns in dieser bren- nenden Sandwüste begleiten und Einer soll dem andern Trost zusprechen, wenn sein Herz nach Hülfe stöhnt, u. s. w." Die ganze Gemeinde blickte auf Stillingen hin, und segnete ihn.
Durch die Bemühung dieser vortrefflichen Männer wurde die ganze Gemeinde still, und da auch die Sache an den Churpfälzischen Kirchenrath berichtet wurde, so bekam auch der Oberbeamte die Weisung, nicht mehr von Einthürmen zu reden, bis wirklich polizeiwidrige Konventikel gehalten und in der Religion Excesse begangen würden. Indessen aber machinirten Tom und Spässel insgeheim am Hof zu München fort, und brachten es wirklich dahin, daß Stil- ling auf dem Punkt war, kassirt zu werden. Diesen gefähr- lichen Sturm erfuhr er aber nicht eher, bis er glücklich vor- bei war; denn auch hier war die göttliche Dazwischenkunft der hohen Vorsehung sichtbar: gerade in dem Augenblick, als der vornehme Geistliche ernstlich in den Churfürsten drang und ihm Stilling verdächtig machte, auch die Sache so gut als entschieden war, trat ein anderer, ebenfalls sehr an- sehnlicher Geistlicher, der aber ein warmer Gönner Stil- lings war, und die eigentliche Liegenheit der Rittersbur- ger Verfassung wußte, ins Kabinet. Dieser, da er hörte, wo- von die Rede war, nahm Stillings Parthei und verthei- digte sie so treffend und überzeugend, daß der Churfürst auf der Stelle den ersten intoleranten Prälaten zur Ruhe verwies, und dem Professor nunmehro nicht seine Gnade entzog. Wäre dieser edle Geistliche nicht von ungefähr dazu gekommen, so
ligion zuwider ſeyen; Herr W .... predigte ſogar den folgen- den Sonntag uͤber die Vorſicht und Pflichten, in Anſehung der haͤuslichen Erbauung, wobei er ſich endlich gegen Stil- ling hinkehrte und ihm oͤffentlich zuredete, indem er in fol- gende Worte ausbrach: „Du aber, leidender Wanderer zum er- habenen Ziel der Chriſten und des wahren Weiſen! ſey ge- troſt, dulde und wandle vorſichtig zwiſchen den Fallſtricken, die Dir Widerwaͤrtige legen! — Du wirſt ſiegen und Gott wird dich mit Segen kroͤnen, Gott wird deine Feinde mit Schande begleiten, aber uͤber dir wird glaͤnzen die Krone der Ueberwindung; Hand an Hand wollen wir uns in dieſer bren- nenden Sandwuͤſte begleiten und Einer ſoll dem andern Troſt zuſprechen, wenn ſein Herz nach Huͤlfe ſtoͤhnt, u. ſ. w.“ Die ganze Gemeinde blickte auf Stillingen hin, und ſegnete ihn.
Durch die Bemuͤhung dieſer vortrefflichen Maͤnner wurde die ganze Gemeinde ſtill, und da auch die Sache an den Churpfaͤlziſchen Kirchenrath berichtet wurde, ſo bekam auch der Oberbeamte die Weiſung, nicht mehr von Einthuͤrmen zu reden, bis wirklich polizeiwidrige Konventikel gehalten und in der Religion Exceſſe begangen wuͤrden. Indeſſen aber machinirten Tom und Spaͤſſel insgeheim am Hof zu Muͤnchen fort, und brachten es wirklich dahin, daß Stil- ling auf dem Punkt war, kaſſirt zu werden. Dieſen gefaͤhr- lichen Sturm erfuhr er aber nicht eher, bis er gluͤcklich vor- bei war; denn auch hier war die goͤttliche Dazwiſchenkunft der hohen Vorſehung ſichtbar: gerade in dem Augenblick, als der vornehme Geiſtliche ernſtlich in den Churfuͤrſten drang und ihm Stilling verdaͤchtig machte, auch die Sache ſo gut als entſchieden war, trat ein anderer, ebenfalls ſehr an- ſehnlicher Geiſtlicher, der aber ein warmer Goͤnner Stil- lings war, und die eigentliche Liegenheit der Rittersbur- ger Verfaſſung wußte, ins Kabinet. Dieſer, da er hoͤrte, wo- von die Rede war, nahm Stillings Parthei und verthei- digte ſie ſo treffend und uͤberzeugend, daß der Churfuͤrſt auf der Stelle den erſten intoleranten Praͤlaten zur Ruhe verwies, und dem Profeſſor nunmehro nicht ſeine Gnade entzog. Waͤre dieſer edle Geiſtliche nicht von ungefaͤhr dazu gekommen, ſo
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ligion zuwider ſeyen; Herr W .... predigte ſogar den folgen-
den Sonntag uͤber die Vorſicht und Pflichten, in Anſehung
der haͤuslichen Erbauung, wobei er ſich endlich gegen Stil-
ling hinkehrte und ihm oͤffentlich zuredete, indem er in fol-
gende Worte ausbrach: „Du aber, leidender Wanderer zum er-
habenen Ziel der Chriſten und des wahren Weiſen! ſey ge-
troſt, dulde und wandle vorſichtig zwiſchen den Fallſtricken,
die Dir Widerwaͤrtige legen! — Du wirſt ſiegen und Gott
wird dich mit Segen kroͤnen, Gott wird deine Feinde mit
Schande begleiten, aber uͤber dir wird glaͤnzen die Krone der
Ueberwindung; Hand an Hand wollen wir uns in dieſer bren-
nenden Sandwuͤſte begleiten und Einer ſoll dem andern Troſt
zuſprechen, wenn ſein Herz nach Huͤlfe ſtoͤhnt, u. ſ. w.“ Die
ganze Gemeinde blickte auf Stillingen hin, und ſegnete ihn.
Durch die Bemuͤhung dieſer vortrefflichen Maͤnner wurde
die ganze Gemeinde ſtill, und da auch die Sache an den
Churpfaͤlziſchen Kirchenrath berichtet wurde, ſo bekam auch
der Oberbeamte die Weiſung, nicht mehr von Einthuͤrmen
zu reden, bis wirklich polizeiwidrige Konventikel gehalten
und in der Religion Exceſſe begangen wuͤrden. Indeſſen aber
machinirten Tom und Spaͤſſel insgeheim am Hof zu
Muͤnchen fort, und brachten es wirklich dahin, daß Stil-
ling auf dem Punkt war, kaſſirt zu werden. Dieſen gefaͤhr-
lichen Sturm erfuhr er aber nicht eher, bis er gluͤcklich vor-
bei war; denn auch hier war die goͤttliche Dazwiſchenkunft
der hohen Vorſehung ſichtbar: gerade in dem Augenblick, als
der vornehme Geiſtliche ernſtlich in den Churfuͤrſten drang
und ihm Stilling verdaͤchtig machte, auch die Sache ſo
gut als entſchieden war, trat ein anderer, ebenfalls ſehr an-
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dieſer edle Geiſtliche nicht von ungefaͤhr dazu gekommen, ſo
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/389>, abgerufen am 24.11.2024.
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