ses thaten sie und wanderten fort. Als sie hinkamen, fanden sie den Patienten mitten in der Stube auf einem Feldbett lie- gen; rundum längs der Wände standen allerhand junge Leute, männlichen und weiblichen Geschlechts, welche stille Thränen vergoßen und beteten. Stoi aber lag ruhig da, und zeigte nicht die mindeste Furcht. Meine Herren! fing er an, ich kann den Gestank nicht ertragen, nehmen Sie mir den Arm ab, und zwar über dem Ellenbogen, nahe an der Schulter, wo er gewiß noch gesund ist; ob der Stumpen hernach einen Zoll länger oder kürzer ist, darauf wird wohl nichts ankom- men. Stilling und Troost fanden das richtig und ver- sprachen bald fertig zu seyn.
Ob nun gleich bei der furchtbaren Zurüstung Alle zitterten, so zitterte doch Stoi nicht, er streifte und wickelte das Hemd hinauf bis über die Schulter, und zeigte den Ort, wo der Arm abgenommen werden sollte. Stilling und Troost konnten sich Beide des Lächelns nicht enthalten: als Letzterer die Klemm- schraube brachte, um die Pulsader zuzuschrauben, so half er sie ganz ruhig und gelassen anlegen, sogar wollte er den Arm bei dem Schnitt helfen halten; dieß verwehrte ihm aber Stil- ling, im Gegentheil bückte er sich auf das Angesicht des Greises, lenkte es von der Operation ab, und sprach mit ihm von andern Sachen; während der Zeit machte Troost den Schnitt durchs Fleisch bis auf den Knochen; Stoi that nur einen Seufzer und sprach fort. Nun wurde auch der Kno- chen abgesägt, und dann der Stumpe verbunden.
Dieser ganze Kasus war merkwürdig: Herr Troost ließ die Klemmschraube ein wenig nach, um zu sehen, ob die Puls- ader springen würde, allein sie sprang auch da nicht, als sie ganz weggenommen wurde; kurz, diese Frieselmaterie hatte sich oben am Arm in eine Geschwulst zusammengezogen, welche die Pulsader und Nerven fest zusammendrückte; das erfuhr man aber erst nach seinem Tode.
Alles ließ sich gut an, es erfolgte eine gute Eiterung, und man glaubte der Heilung gewiß zu seyn, als Stilling abermal schleunig gerufen wurde, er lief hin und fand nun den guten Stoi röchelnd, sehr schwer am Odem ziehen. Ich
ſes thaten ſie und wanderten fort. Als ſie hinkamen, fanden ſie den Patienten mitten in der Stube auf einem Feldbett lie- gen; rundum laͤngs der Waͤnde ſtanden allerhand junge Leute, maͤnnlichen und weiblichen Geſchlechts, welche ſtille Thraͤnen vergoßen und beteten. Stoi aber lag ruhig da, und zeigte nicht die mindeſte Furcht. Meine Herren! fing er an, ich kann den Geſtank nicht ertragen, nehmen Sie mir den Arm ab, und zwar uͤber dem Ellenbogen, nahe an der Schulter, wo er gewiß noch geſund iſt; ob der Stumpen hernach einen Zoll laͤnger oder kuͤrzer iſt, darauf wird wohl nichts ankom- men. Stilling und Trooſt fanden das richtig und ver- ſprachen bald fertig zu ſeyn.
Ob nun gleich bei der furchtbaren Zuruͤſtung Alle zitterten, ſo zitterte doch Stoi nicht, er ſtreifte und wickelte das Hemd hinauf bis uͤber die Schulter, und zeigte den Ort, wo der Arm abgenommen werden ſollte. Stilling und Trooſt konnten ſich Beide des Laͤchelns nicht enthalten: als Letzterer die Klemm- ſchraube brachte, um die Pulsader zuzuſchrauben, ſo half er ſie ganz ruhig und gelaſſen anlegen, ſogar wollte er den Arm bei dem Schnitt helfen halten; dieß verwehrte ihm aber Stil- ling, im Gegentheil buͤckte er ſich auf das Angeſicht des Greiſes, lenkte es von der Operation ab, und ſprach mit ihm von andern Sachen; waͤhrend der Zeit machte Trooſt den Schnitt durchs Fleiſch bis auf den Knochen; Stoi that nur einen Seufzer und ſprach fort. Nun wurde auch der Kno- chen abgeſaͤgt, und dann der Stumpe verbunden.
Dieſer ganze Kaſus war merkwuͤrdig: Herr Trooſt ließ die Klemmſchraube ein wenig nach, um zu ſehen, ob die Puls- ader ſpringen wuͤrde, allein ſie ſprang auch da nicht, als ſie ganz weggenommen wurde; kurz, dieſe Frieſelmaterie hatte ſich oben am Arm in eine Geſchwulſt zuſammengezogen, welche die Pulsader und Nerven feſt zuſammendruͤckte; das erfuhr man aber erſt nach ſeinem Tode.
Alles ließ ſich gut an, es erfolgte eine gute Eiterung, und man glaubte der Heilung gewiß zu ſeyn, als Stilling abermal ſchleunig gerufen wurde, er lief hin und fand nun den guten Stoi roͤchelnd, ſehr ſchwer am Odem ziehen. Ich
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maͤnnlichen und weiblichen Geſchlechts, welche ſtille Thraͤnen
vergoßen und beteten. Stoi aber lag ruhig da, und zeigte
nicht die mindeſte Furcht. Meine Herren! fing er an, ich
kann den Geſtank nicht ertragen, nehmen Sie mir den Arm
ab, und zwar uͤber dem Ellenbogen, nahe an der Schulter,
wo er gewiß noch geſund iſt; ob der Stumpen hernach einen
Zoll laͤnger oder kuͤrzer iſt, darauf wird wohl nichts ankom-
men. Stilling und Trooſt fanden das richtig und ver-
ſprachen bald fertig zu ſeyn.
Ob nun gleich bei der furchtbaren Zuruͤſtung Alle zitterten,
ſo zitterte doch Stoi nicht, er ſtreifte und wickelte das Hemd
hinauf bis uͤber die Schulter, und zeigte den Ort, wo der Arm
abgenommen werden ſollte. Stilling und Trooſt konnten
ſich Beide des Laͤchelns nicht enthalten: als Letzterer die Klemm-
ſchraube brachte, um die Pulsader zuzuſchrauben, ſo half er
ſie ganz ruhig und gelaſſen anlegen, ſogar wollte er den Arm
bei dem Schnitt helfen halten; dieß verwehrte ihm aber Stil-
ling, im Gegentheil buͤckte er ſich auf das Angeſicht des
Greiſes, lenkte es von der Operation ab, und ſprach mit ihm
von andern Sachen; waͤhrend der Zeit machte Trooſt den
Schnitt durchs Fleiſch bis auf den Knochen; Stoi that nur
einen Seufzer und ſprach fort. Nun wurde auch der Kno-
chen abgeſaͤgt, und dann der Stumpe verbunden.
Dieſer ganze Kaſus war merkwuͤrdig: Herr Trooſt ließ
die Klemmſchraube ein wenig nach, um zu ſehen, ob die Puls-
ader ſpringen wuͤrde, allein ſie ſprang auch da nicht, als ſie
ganz weggenommen wurde; kurz, dieſe Frieſelmaterie hatte
ſich oben am Arm in eine Geſchwulſt zuſammengezogen,
welche die Pulsader und Nerven feſt zuſammendruͤckte; das
erfuhr man aber erſt nach ſeinem Tode.
Alles ließ ſich gut an, es erfolgte eine gute Eiterung, und
man glaubte der Heilung gewiß zu ſeyn, als Stilling
abermal ſchleunig gerufen wurde, er lief hin und fand nun
den guten Stoi roͤchelnd, ſehr ſchwer am Odem ziehen. Ich
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/369>, abgerufen am 24.11.2024.
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