Kollege! Sie sind auf dem rechten Wege, ich hörte von Ihrem Ruf hieher, und stellte mir nun einen Mann vor, der im höchsten Modeputz mich besuchen, und wie gewöhnlich sich als Charlatan präsentiren würde, aber nun finde ich gerade das Gegentheil: Sie sind bescheiden, erscheinen in einem modesten Kleide, und sind also ein Mann, wie der seyn soll, der De- nen, die unter der Ruthe des Allmächtigen seufzen, beistehen muß. Gott segne Sie! es freut mich, daß ich am Ende mei- ner Tage noch Männer finde, die alle Hoffnung geben, das zu werden, was sie seyn sollen. Stilling seufzte und dachte: wolle Gott, ich wäre das, wofür mich der große Mann hält!
Dann besuchte er den Herrn Prediger Kraft: mit diesem theuren Mann stimmte seine Seele ganz überein, und es entstand eine innige Freundschaft zwischen Beiden, die auch noch nach diesem Leben fortdauern wird.
Indessen rückte der Zeitpunkt der Operation heran. Stil- ling machte sie in der Stille, ohne Jemand, außer ein paar Aerzten und Wundärzten, Etwas zu sagen. Diese waren denn auch alle gegenwärtig, damit er doch sachkundige Män- ner auf jeden Fall zu Zeugen haben möchte. Alles gelang nach Wunsch, der Patient sahe und erkannte nach der Opera- tion Jedermann: Das Gerücht erscholl durch die ganze Stadt, Freunde schrieben an auswärtige Freunde und Stilling erhielt von Schönenthal schon Glückwünschungsschreiben, noch ehe er Antwort auf die seinigen haben konnte. Der Fürst von Löwenstein-Wertheim, die Herzogin von Kurland, geborne Prinzessin von Waldeck, die sich da- mals in Frankfurt aufhielt, alle adelichen Familien daselbst, und überhaupt alle vornehmen Leute erkundigten sich nach dem Erfolg der Operation, und Alle ließen jeden Morgen fragen, wie sich der Patient befände.
Nie war Stilling zufriedener als jetzt; er sah, wie sehr diese Kur Aufsehen machen und wie vielen Ruhm, Beifall, Ansehen und Zulauf sie ihm verschaffen würde; schon wurde davon geredet, ihm mit dem Frankfurter Bürgerrecht ein Prä- sent zu machen und ihn dadurch hinzuziehen. In dieser Hoff- nung freute sich der gute Doktor über die Maßen, denn er
Kollege! Sie ſind auf dem rechten Wege, ich hoͤrte von Ihrem Ruf hieher, und ſtellte mir nun einen Mann vor, der im hoͤchſten Modeputz mich beſuchen, und wie gewoͤhnlich ſich als Charlatan praͤſentiren wuͤrde, aber nun finde ich gerade das Gegentheil: Sie ſind beſcheiden, erſcheinen in einem modeſten Kleide, und ſind alſo ein Mann, wie der ſeyn ſoll, der De- nen, die unter der Ruthe des Allmaͤchtigen ſeufzen, beiſtehen muß. Gott ſegne Sie! es freut mich, daß ich am Ende mei- ner Tage noch Maͤnner finde, die alle Hoffnung geben, das zu werden, was ſie ſeyn ſollen. Stilling ſeufzte und dachte: wolle Gott, ich waͤre das, wofuͤr mich der große Mann haͤlt!
Dann beſuchte er den Herrn Prediger Kraft: mit dieſem theuren Mann ſtimmte ſeine Seele ganz uͤberein, und es entſtand eine innige Freundſchaft zwiſchen Beiden, die auch noch nach dieſem Leben fortdauern wird.
Indeſſen ruͤckte der Zeitpunkt der Operation heran. Stil- ling machte ſie in der Stille, ohne Jemand, außer ein paar Aerzten und Wundaͤrzten, Etwas zu ſagen. Dieſe waren denn auch alle gegenwaͤrtig, damit er doch ſachkundige Maͤn- ner auf jeden Fall zu Zeugen haben moͤchte. Alles gelang nach Wunſch, der Patient ſahe und erkannte nach der Opera- tion Jedermann: Das Geruͤcht erſcholl durch die ganze Stadt, Freunde ſchrieben an auswaͤrtige Freunde und Stilling erhielt von Schoͤnenthal ſchon Gluͤckwuͤnſchungsſchreiben, noch ehe er Antwort auf die ſeinigen haben konnte. Der Fuͤrſt von Loͤwenſtein-Wertheim, die Herzogin von Kurland, geborne Prinzeſſin von Waldeck, die ſich da- mals in Frankfurt aufhielt, alle adelichen Familien daſelbſt, und uͤberhaupt alle vornehmen Leute erkundigten ſich nach dem Erfolg der Operation, und Alle ließen jeden Morgen fragen, wie ſich der Patient befaͤnde.
Nie war Stilling zufriedener als jetzt; er ſah, wie ſehr dieſe Kur Aufſehen machen und wie vielen Ruhm, Beifall, Anſehen und Zulauf ſie ihm verſchaffen wuͤrde; ſchon wurde davon geredet, ihm mit dem Frankfurter Buͤrgerrecht ein Praͤ- ſent zu machen und ihn dadurch hinzuziehen. In dieſer Hoff- nung freute ſich der gute Doktor uͤber die Maßen, denn er
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Kollege! Sie ſind auf dem rechten Wege, ich hoͤrte von Ihrem
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hoͤchſten Modeputz mich beſuchen, und wie gewoͤhnlich ſich als
Charlatan praͤſentiren wuͤrde, aber nun finde ich gerade das
Gegentheil: Sie ſind beſcheiden, erſcheinen in einem modeſten
Kleide, und ſind alſo ein Mann, wie der ſeyn ſoll, der De-
nen, die unter der Ruthe des Allmaͤchtigen ſeufzen, beiſtehen
muß. Gott ſegne Sie! es freut mich, daß ich am Ende mei-
ner Tage noch Maͤnner finde, die alle Hoffnung geben, das
zu werden, was ſie ſeyn ſollen. Stilling ſeufzte und dachte:
wolle Gott, ich waͤre das, wofuͤr mich der große Mann haͤlt!
Dann beſuchte er den Herrn Prediger Kraft: mit dieſem
theuren Mann ſtimmte ſeine Seele ganz uͤberein, und es
entſtand eine innige Freundſchaft zwiſchen Beiden, die auch
noch nach dieſem Leben fortdauern wird.
Indeſſen ruͤckte der Zeitpunkt der Operation heran. Stil-
ling machte ſie in der Stille, ohne Jemand, außer ein paar
Aerzten und Wundaͤrzten, Etwas zu ſagen. Dieſe waren
denn auch alle gegenwaͤrtig, damit er doch ſachkundige Maͤn-
ner auf jeden Fall zu Zeugen haben moͤchte. Alles gelang
nach Wunſch, der Patient ſahe und erkannte nach der Opera-
tion Jedermann: Das Geruͤcht erſcholl durch die ganze Stadt,
Freunde ſchrieben an auswaͤrtige Freunde und Stilling
erhielt von Schoͤnenthal ſchon Gluͤckwuͤnſchungsſchreiben,
noch ehe er Antwort auf die ſeinigen haben konnte. Der
Fuͤrſt von Loͤwenſtein-Wertheim, die Herzogin von
Kurland, geborne Prinzeſſin von Waldeck, die ſich da-
mals in Frankfurt aufhielt, alle adelichen Familien daſelbſt,
und uͤberhaupt alle vornehmen Leute erkundigten ſich nach dem
Erfolg der Operation, und Alle ließen jeden Morgen fragen,
wie ſich der Patient befaͤnde.
Nie war Stilling zufriedener als jetzt; er ſah, wie ſehr
dieſe Kur Aufſehen machen und wie vielen Ruhm, Beifall,
Anſehen und Zulauf ſie ihm verſchaffen wuͤrde; ſchon wurde
davon geredet, ihm mit dem Frankfurter Buͤrgerrecht ein Praͤ-
ſent zu machen und ihn dadurch hinzuziehen. In dieſer Hoff-
nung freute ſich der gute Doktor uͤber die Maßen, denn er
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/343>, abgerufen am 25.11.2024.
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