stete sich zum Mittags-Essen. Nun führte er Göthe hin- aus auf einen Hügel, um ihm die schöne Aussicht über die Stadt und das Thal hinauf zu zeigen.
Gerade zu dieser Zeit waren die Gebrüder Vollkraft wieder auf Kommission da: sie hatten einen Freund bei sich, der sich durch schöne Schriften sehr berühmt gemacht hat, den aber Stilling wegen seiner satyrischen und juvenalischen Geißel nicht leiden mochte; er besuchte also jetzt seine Freunde wenig, denn Juvenal (so will ich den Mann einstweilen nennen) neckte ihn immer wegen seiner Anhänglichkeit an die Religion. Während der Zeit, daß Stilling mit Göthe spazieren ging, kam Herr Hofkammerrath Vollkraft zu Pferde an Stillings Thür gesprengt, und rief der Magd zu, sie sollte ihrem Herrn sagen, er sey plötzlich nach Rüsselstein abgereist, weil Göthe dort wäre; Christine war gerade nicht bei der Hand, um ihn von der Lage der Sache zu be- nachrichtigen. Vollkraft trabte also eiligst fort. So wie Göthe und Stilling nach Haus kamen, und ihnen die Magd den Vorfall erzählte, so bedauerten sie Beide den Irr- thum; indessen wars nun nicht zu ändern.
Göthen's Veranlassung zu dieser Reise war eigentlich fol- gende: Lavater besuchte das Emserbad und von da machte er eine Reise nach Mühlheim am Rhein, um dort einen Freund zu besuchen; Göthe war ihm bis Ems gefolgt, und um allerhand Merkwürdigkeiten und berühmte Männer zu se- hen, hatte er ihn bis Mühlheim begleitet; hier ließ nun Göthe Lavater zurück, und machte einen Streifzug über Rüsselstein nach Schönenthal, um auch seinen alten Freund Stilling heimzusuchen; zugleich aber hatte er Lava- tern versprochen, auf eine bestimmte Zeit wieder nach Mühl- heim zu kommen, und mit ihm zurück zu reisen. Während Göthen's Abwesenheit aber bekommt Lavater Veranlas- sung, auch nach Rüsselstein und von da nach Schönen- thal zu gehen, von dem allen aber wußte Göthe kein Wort. Als er daher mit Stilling zu Mittag gegessen hatte, machte er sich mit obigem Juvenal zu Pferde wieder auf den Weg nach Rüsselstein, um dort Vollkraften anzutref-
ſtete ſich zum Mittags-Eſſen. Nun fuͤhrte er Goͤthe hin- aus auf einen Huͤgel, um ihm die ſchoͤne Ausſicht uͤber die Stadt und das Thal hinauf zu zeigen.
Gerade zu dieſer Zeit waren die Gebruͤder Vollkraft wieder auf Kommiſſion da: ſie hatten einen Freund bei ſich, der ſich durch ſchoͤne Schriften ſehr beruͤhmt gemacht hat, den aber Stilling wegen ſeiner ſatyriſchen und juvenaliſchen Geißel nicht leiden mochte; er beſuchte alſo jetzt ſeine Freunde wenig, denn Juvenal (ſo will ich den Mann einſtweilen nennen) neckte ihn immer wegen ſeiner Anhaͤnglichkeit an die Religion. Waͤhrend der Zeit, daß Stilling mit Goͤthe ſpazieren ging, kam Herr Hofkammerrath Vollkraft zu Pferde an Stillings Thuͤr geſprengt, und rief der Magd zu, ſie ſollte ihrem Herrn ſagen, er ſey ploͤtzlich nach Ruͤſſelſtein abgereist, weil Goͤthe dort waͤre; Chriſtine war gerade nicht bei der Hand, um ihn von der Lage der Sache zu be- nachrichtigen. Vollkraft trabte alſo eiligſt fort. So wie Goͤthe und Stilling nach Haus kamen, und ihnen die Magd den Vorfall erzaͤhlte, ſo bedauerten ſie Beide den Irr- thum; indeſſen wars nun nicht zu aͤndern.
Goͤthen’s Veranlaſſung zu dieſer Reiſe war eigentlich fol- gende: Lavater beſuchte das Emſerbad und von da machte er eine Reiſe nach Muͤhlheim am Rhein, um dort einen Freund zu beſuchen; Goͤthe war ihm bis Ems gefolgt, und um allerhand Merkwuͤrdigkeiten und beruͤhmte Maͤnner zu ſe- hen, hatte er ihn bis Muͤhlheim begleitet; hier ließ nun Goͤthe Lavater zuruͤck, und machte einen Streifzug uͤber Ruͤſſelſtein nach Schoͤnenthal, um auch ſeinen alten Freund Stilling heimzuſuchen; zugleich aber hatte er Lava- tern verſprochen, auf eine beſtimmte Zeit wieder nach Muͤhl- heim zu kommen, und mit ihm zuruͤck zu reiſen. Waͤhrend Goͤthen’s Abweſenheit aber bekommt Lavater Veranlaſ- ſung, auch nach Ruͤſſelſtein und von da nach Schoͤnen- thal zu gehen, von dem allen aber wußte Goͤthe kein Wort. Als er daher mit Stilling zu Mittag gegeſſen hatte, machte er ſich mit obigem Juvenal zu Pferde wieder auf den Weg nach Ruͤſſelſtein, um dort Vollkraften anzutref-
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ſtete ſich zum Mittags-Eſſen. Nun fuͤhrte er Goͤthe hin-
aus auf einen Huͤgel, um ihm die ſchoͤne Ausſicht uͤber die
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Gerade zu dieſer Zeit waren die Gebruͤder Vollkraft
wieder auf Kommiſſion da: ſie hatten einen Freund bei ſich,
der ſich durch ſchoͤne Schriften ſehr beruͤhmt gemacht hat, den
aber Stilling wegen ſeiner ſatyriſchen und juvenaliſchen
Geißel nicht leiden mochte; er beſuchte alſo jetzt ſeine Freunde
wenig, denn Juvenal (ſo will ich den Mann einſtweilen
nennen) neckte ihn immer wegen ſeiner Anhaͤnglichkeit an die
Religion. Waͤhrend der Zeit, daß Stilling mit Goͤthe
ſpazieren ging, kam Herr Hofkammerrath Vollkraft zu Pferde
an Stillings Thuͤr geſprengt, und rief der Magd zu, ſie
ſollte ihrem Herrn ſagen, er ſey ploͤtzlich nach Ruͤſſelſtein
abgereist, weil Goͤthe dort waͤre; Chriſtine war gerade
nicht bei der Hand, um ihn von der Lage der Sache zu be-
nachrichtigen. Vollkraft trabte alſo eiligſt fort. So wie
Goͤthe und Stilling nach Haus kamen, und ihnen die
Magd den Vorfall erzaͤhlte, ſo bedauerten ſie Beide den Irr-
thum; indeſſen wars nun nicht zu aͤndern.
Goͤthen’s Veranlaſſung zu dieſer Reiſe war eigentlich fol-
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er eine Reiſe nach Muͤhlheim am Rhein, um dort einen
Freund zu beſuchen; Goͤthe war ihm bis Ems gefolgt, und
um allerhand Merkwuͤrdigkeiten und beruͤhmte Maͤnner zu ſe-
hen, hatte er ihn bis Muͤhlheim begleitet; hier ließ nun
Goͤthe Lavater zuruͤck, und machte einen Streifzug uͤber
Ruͤſſelſtein nach Schoͤnenthal, um auch ſeinen alten
Freund Stilling heimzuſuchen; zugleich aber hatte er Lava-
tern verſprochen, auf eine beſtimmte Zeit wieder nach Muͤhl-
heim zu kommen, und mit ihm zuruͤck zu reiſen. Waͤhrend
Goͤthen’s Abweſenheit aber bekommt Lavater Veranlaſ-
ſung, auch nach Ruͤſſelſtein und von da nach Schoͤnen-
thal zu gehen, von dem allen aber wußte Goͤthe kein Wort.
Als er daher mit Stilling zu Mittag gegeſſen hatte, machte
er ſich mit obigem Juvenal zu Pferde wieder auf den
Weg nach Ruͤſſelſtein, um dort Vollkraften anzutref-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/330>, abgerufen am 22.11.2024.
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