ven verwebt, daß er noch auf die heutige Stunde zusammen- fährt, wenn des Nachts an seine Thüre geklopfet wird, ob er gleich gewiß weiß, daß man ihn nicht mehr zu Kindbet- terinnen ruft.
Dieser Vorfall erweckte ihm zum Erstenmal bei allen Schö- nenthalern Hochachtung, jetzt sahe er freundliche Gesichter in Menge, aber es währte nicht lange, denn etwa drei Wo- chen hernach kam ein Rescript vom Medizinal-Collegium zu Rüsselstein, in welchem ihm befohlen wurde, sich vor der Hand aller Geburtshülfe zu enthalten und sich vor dem Kolle- gium zum Examen in diesem Fach zu melden. Stilling stand wie vom Donner gerührt, er begriff von dem allem kein Wort, bis er endlich erfuhr, daß Jemand seine Geburts- hülfe bei obiger Kindbetterin in einem sehr nachtheiligen Lichte berichtet habe.
Er machte sich also auf den Weg nach Rüsselstein, wo er bei seinem Freund Vollkraft, seinem edlen Weibe, die Wenige ihres Gleichen hatte, und bei seinen vortrefflichen Geschwistern einkehrte; diese Erquickung war ihm bei seinen traurigen Umständen auch nöthig. Nun verfügte er sich zu einem von den Medizinalräthen, der ihn sehr höhnisch mit den Worten empfing: Ich höre, Sie stechen auch den Leuten die Augen aus? Nein, antwortete Stilling, aber ich habe verschiedene glücklich am Staar operirt.
Das ist nicht wahr, sagte der Rath trotzig; Sie lügen das! Nein, versetzte Stilling, mit Feuer und Gluth in den Augen, ich lüge nicht, ich kann Zeugen auftreten lassen, die das unwidersprechlich beweisen; überdieß kenne ich den Re- spekt, den ich Ihnen als einem meiner Vorgesetzten schuldig bin, sonst würde ich Ihnen in dem nämlichen Ton antwor- ten. Eine graduirte Person, die allenthalben ihre Pflicht zu erfüllen sucht, verdient auch von ihrer Obrigkeit Achtung. Der Medizinalrath lachte ihm unter die Augen und sagte: heißt das seine Pflichten erfüllen, wenn man Kinder umbringt!
Jetzt ward es Stillingen dunkel vor den Augen, er wurde blaß, trat näher und versetzte: Herr! -- sagen Sie das nicht noch einmal -- damit aber fühlte er seine ganze
ven verwebt, daß er noch auf die heutige Stunde zuſammen- faͤhrt, wenn des Nachts an ſeine Thuͤre geklopfet wird, ob er gleich gewiß weiß, daß man ihn nicht mehr zu Kindbet- terinnen ruft.
Dieſer Vorfall erweckte ihm zum Erſtenmal bei allen Schoͤ- nenthalern Hochachtung, jetzt ſahe er freundliche Geſichter in Menge, aber es waͤhrte nicht lange, denn etwa drei Wo- chen hernach kam ein Reſcript vom Medizinal-Collegium zu Ruͤſſelſtein, in welchem ihm befohlen wurde, ſich vor der Hand aller Geburtshuͤlfe zu enthalten und ſich vor dem Kolle- gium zum Examen in dieſem Fach zu melden. Stilling ſtand wie vom Donner geruͤhrt, er begriff von dem allem kein Wort, bis er endlich erfuhr, daß Jemand ſeine Geburts- huͤlfe bei obiger Kindbetterin in einem ſehr nachtheiligen Lichte berichtet habe.
Er machte ſich alſo auf den Weg nach Ruͤſſelſtein, wo er bei ſeinem Freund Vollkraft, ſeinem edlen Weibe, die Wenige ihres Gleichen hatte, und bei ſeinen vortrefflichen Geſchwiſtern einkehrte; dieſe Erquickung war ihm bei ſeinen traurigen Umſtaͤnden auch noͤthig. Nun verfuͤgte er ſich zu einem von den Medizinalraͤthen, der ihn ſehr hoͤhniſch mit den Worten empfing: Ich hoͤre, Sie ſtechen auch den Leuten die Augen aus? Nein, antwortete Stilling, aber ich habe verſchiedene gluͤcklich am Staar operirt.
Das iſt nicht wahr, ſagte der Rath trotzig; Sie luͤgen das! Nein, verſetzte Stilling, mit Feuer und Gluth in den Augen, ich luͤge nicht, ich kann Zeugen auftreten laſſen, die das unwiderſprechlich beweiſen; uͤberdieß kenne ich den Re- ſpekt, den ich Ihnen als einem meiner Vorgeſetzten ſchuldig bin, ſonſt wuͤrde ich Ihnen in dem naͤmlichen Ton antwor- ten. Eine graduirte Perſon, die allenthalben ihre Pflicht zu erfuͤllen ſucht, verdient auch von ihrer Obrigkeit Achtung. Der Medizinalrath lachte ihm unter die Augen und ſagte: heißt das ſeine Pflichten erfuͤllen, wenn man Kinder umbringt!
Jetzt ward es Stillingen dunkel vor den Augen, er wurde blaß, trat naͤher und verſetzte: Herr! — ſagen Sie das nicht noch einmal — damit aber fuͤhlte er ſeine ganze
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ven verwebt, daß er noch auf die heutige Stunde zuſammen-
faͤhrt, wenn des Nachts an ſeine Thuͤre geklopfet wird, ob
er gleich gewiß weiß, daß man ihn nicht mehr zu Kindbet-
terinnen ruft.
Dieſer Vorfall erweckte ihm zum Erſtenmal bei allen Schoͤ-
nenthalern Hochachtung, jetzt ſahe er freundliche Geſichter
in Menge, aber es waͤhrte nicht lange, denn etwa drei Wo-
chen hernach kam ein Reſcript vom Medizinal-Collegium zu
Ruͤſſelſtein, in welchem ihm befohlen wurde, ſich vor der
Hand aller Geburtshuͤlfe zu enthalten und ſich vor dem Kolle-
gium zum Examen in dieſem Fach zu melden. Stilling
ſtand wie vom Donner geruͤhrt, er begriff von dem allem
kein Wort, bis er endlich erfuhr, daß Jemand ſeine Geburts-
huͤlfe bei obiger Kindbetterin in einem ſehr nachtheiligen Lichte
berichtet habe.
Er machte ſich alſo auf den Weg nach Ruͤſſelſtein,
wo er bei ſeinem Freund Vollkraft, ſeinem edlen Weibe,
die Wenige ihres Gleichen hatte, und bei ſeinen vortrefflichen
Geſchwiſtern einkehrte; dieſe Erquickung war ihm bei ſeinen
traurigen Umſtaͤnden auch noͤthig. Nun verfuͤgte er ſich zu
einem von den Medizinalraͤthen, der ihn ſehr hoͤhniſch mit
den Worten empfing: Ich hoͤre, Sie ſtechen auch den Leuten
die Augen aus? Nein, antwortete Stilling, aber ich habe
verſchiedene gluͤcklich am Staar operirt.
Das iſt nicht wahr, ſagte der Rath trotzig; Sie luͤgen
das! Nein, verſetzte Stilling, mit Feuer und Gluth in den
Augen, ich luͤge nicht, ich kann Zeugen auftreten laſſen, die
das unwiderſprechlich beweiſen; uͤberdieß kenne ich den Re-
ſpekt, den ich Ihnen als einem meiner Vorgeſetzten ſchuldig
bin, ſonſt wuͤrde ich Ihnen in dem naͤmlichen Ton antwor-
ten. Eine graduirte Perſon, die allenthalben ihre Pflicht zu
erfuͤllen ſucht, verdient auch von ihrer Obrigkeit Achtung.
Der Medizinalrath lachte ihm unter die Augen und ſagte:
heißt das ſeine Pflichten erfuͤllen, wenn man Kinder umbringt!
Jetzt ward es Stillingen dunkel vor den Augen, er
wurde blaß, trat naͤher und verſetzte: Herr! — ſagen Sie
das nicht noch einmal — damit aber fuͤhlte er ſeine ganze
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/325>, abgerufen am 22.11.2024.
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