Kinder! euer Schwager hat noch so viel Geld nöthig, was dünkt euch, wolltet ihr ihm wohl das schicken, wenn ihr's hättet? Sie antworteten alle einhellig: Ja! und wenn wir auch unsre Kleider ausziehen und versetzen sollten!" Das rührte die Eltern bis zu Thränen, und Stilling schwur ihnen ewige Liebe und Treue, sobald ers hörte. Mit Einem Wort, es kam ein Wechsel nach Straßburg, der hinläng- lich war.
Nun disputirte Stilling mit Ruhm und Ehre. Herr Spielmann war Dekanus. Als ihm der nach geendigter Disputation die Licenz gab, so brach er in Lobsprüche aus und sagte: daß er lange Niemand die Licenz freudiger gege- ben habe, als gegenwärtigem Kandidaten: denn er habe mehr in so kurzer Zeit gethan, als viele Andere in fünf bis sechs Jahren u. s. w.
Stilling stand da auf dem Katheder; die Thränen flos- sen ihm häufig über die Wangen herunter. Nun war seine Seele lauter Dank gegen Den, der ihn aus dem Staube hervorgezogen und zu einem Beruf geholfen hatte, worin er, seinem Trieb gemäß, Gott zu Ehren und dem Nächsten zum Nutzen leben und sterben konnte.
Den 24. März 1772 nahm er von allen Freunden zu Straßburg Abschied, und reiste fort. Zu Mannheim überreichte er seinem Durchlauchtigsten Chur- und Landes-Fürsten seine Probschrift, deßgleichen auch allen de- nen Herren Ministern. Er wurde bei dieser Gelegenheit Correspon- dent der Churpfälzischen Gesellschaft der Wissenschaften, und darauf reiste er bis nach Cölln, wo ihn Herr Frieden- berg mit tausend Freuden empfing; unterwegens begegneten ihm auch seine Schwäger zu Pferde und holten ihn ab. Den 5. April kam er, in Gesellschaft gemeldter Freunde, zu Ra- senheim an. Seine Christine war oben auf ihrem Zim- mer. Sie lag mit dem Angesicht auf dem Tisch, und weinte mit lauter Stimme. Stilling drückte sie an seine Brust, herzte und küßte sie. Er fragte, warum sie jetzt weine? "Ach! antwortete sie: ich weine, daß ich nicht Kraft genug habe, Gott für alle seine Güte zu danken." Du hast Recht,
Kinder! euer Schwager hat noch ſo viel Geld noͤthig, was duͤnkt euch, wolltet ihr ihm wohl das ſchicken, wenn ihr’s haͤttet? Sie antworteten alle einhellig: Ja! und wenn wir auch unſre Kleider ausziehen und verſetzen ſollten!“ Das ruͤhrte die Eltern bis zu Thraͤnen, und Stilling ſchwur ihnen ewige Liebe und Treue, ſobald ers hoͤrte. Mit Einem Wort, es kam ein Wechſel nach Straßburg, der hinlaͤng- lich war.
Nun diſputirte Stilling mit Ruhm und Ehre. Herr Spielmann war Dekanus. Als ihm der nach geendigter Diſputation die Licenz gab, ſo brach er in Lobſpruͤche aus und ſagte: daß er lange Niemand die Licenz freudiger gege- ben habe, als gegenwaͤrtigem Kandidaten: denn er habe mehr in ſo kurzer Zeit gethan, als viele Andere in fuͤnf bis ſechs Jahren u. ſ. w.
Stilling ſtand da auf dem Katheder; die Thraͤnen floſ- ſen ihm haͤufig uͤber die Wangen herunter. Nun war ſeine Seele lauter Dank gegen Den, der ihn aus dem Staube hervorgezogen und zu einem Beruf geholfen hatte, worin er, ſeinem Trieb gemaͤß, Gott zu Ehren und dem Naͤchſten zum Nutzen leben und ſterben konnte.
Den 24. Maͤrz 1772 nahm er von allen Freunden zu Straßburg Abſchied, und reiste fort. Zu Mannheim uͤberreichte er ſeinem Durchlauchtigſten Chur- und Landes-Fuͤrſten ſeine Probſchrift, deßgleichen auch allen de- nen Herren Miniſtern. Er wurde bei dieſer Gelegenheit Correſpon- dent der Churpfaͤlziſchen Geſellſchaft der Wiſſenſchaften, und darauf reiste er bis nach Coͤlln, wo ihn Herr Frieden- berg mit tauſend Freuden empfing; unterwegens begegneten ihm auch ſeine Schwaͤger zu Pferde und holten ihn ab. Den 5. April kam er, in Geſellſchaft gemeldter Freunde, zu Ra- ſenheim an. Seine Chriſtine war oben auf ihrem Zim- mer. Sie lag mit dem Angeſicht auf dem Tiſch, und weinte mit lauter Stimme. Stilling druͤckte ſie an ſeine Bruſt, herzte und kuͤßte ſie. Er fragte, warum ſie jetzt weine? „Ach! antwortete ſie: ich weine, daß ich nicht Kraft genug habe, Gott fuͤr alle ſeine Guͤte zu danken.“ Du haſt Recht,
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Kinder! euer Schwager hat noch ſo viel Geld noͤthig, was
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haͤttet? Sie antworteten alle einhellig: Ja! und wenn wir
auch unſre Kleider ausziehen und verſetzen ſollten!“ Das
ruͤhrte die Eltern bis zu Thraͤnen, und Stilling ſchwur
ihnen ewige Liebe und Treue, ſobald ers hoͤrte. Mit Einem
Wort, es kam ein Wechſel nach Straßburg, der hinlaͤng-
lich war.
Nun diſputirte Stilling mit Ruhm und Ehre. Herr
Spielmann war Dekanus. Als ihm der nach geendigter
Diſputation die Licenz gab, ſo brach er in Lobſpruͤche aus
und ſagte: daß er lange Niemand die Licenz freudiger gege-
ben habe, als gegenwaͤrtigem Kandidaten: denn er habe mehr
in ſo kurzer Zeit gethan, als viele Andere in fuͤnf bis ſechs
Jahren u. ſ. w.
Stilling ſtand da auf dem Katheder; die Thraͤnen floſ-
ſen ihm haͤufig uͤber die Wangen herunter. Nun war ſeine
Seele lauter Dank gegen Den, der ihn aus dem Staube
hervorgezogen und zu einem Beruf geholfen hatte, worin
er, ſeinem Trieb gemaͤß, Gott zu Ehren und dem Naͤchſten
zum Nutzen leben und ſterben konnte.
Den 24. Maͤrz 1772 nahm er von allen Freunden zu
Straßburg Abſchied, und reiste fort. Zu Mannheim
uͤberreichte er ſeinem Durchlauchtigſten Chur- und
Landes-Fuͤrſten ſeine Probſchrift, deßgleichen auch allen de-
nen Herren Miniſtern. Er wurde bei dieſer Gelegenheit Correſpon-
dent der Churpfaͤlziſchen Geſellſchaft der Wiſſenſchaften, und
darauf reiste er bis nach Coͤlln, wo ihn Herr Frieden-
berg mit tauſend Freuden empfing; unterwegens begegneten
ihm auch ſeine Schwaͤger zu Pferde und holten ihn ab. Den
5. April kam er, in Geſellſchaft gemeldter Freunde, zu Ra-
ſenheim an. Seine Chriſtine war oben auf ihrem Zim-
mer. Sie lag mit dem Angeſicht auf dem Tiſch, und weinte
mit lauter Stimme. Stilling druͤckte ſie an ſeine Bruſt,
herzte und kuͤßte ſie. Er fragte, warum ſie jetzt weine?
„Ach! antwortete ſie: ich weine, daß ich nicht Kraft genug
habe, Gott fuͤr alle ſeine Guͤte zu danken.“ Du haſt Recht,
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/299>, abgerufen am 22.11.2024.
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