acht Tage hernach des Samstags Abends seinen gewöhnlichen Gang nach Rasenheim ging. Je näher er dem Hause kam, je mehr klopfte sein Herz. Nun trat er zur Stubenthür herein. Christine hatte sich in Etwas erholt; sie war da- selbst mit ihren Eltern und einigen Kindern. Er ging, wie gewöhnlich, mit freudigem Blick auf Friedenberg zu, gab ihm die Hand, und dieser empfing ihn mit gewöhnlicher Freundschaft, so auch die Frau Friedenberg, und endlich auch Christine. Stilling ging nun wieder heraus, und hinauf nach seinem Schlafzimmer, um ein und anderes, das er bei sich hatte, abzulegen. Ihm war schon ein Band vom Herzen, denn sein Freund hatte entweder nichts gemerkt, oder er war mit der ganzen Sache zufrieden. Er ging nun wieder herunter, und erwartete, was ferner vorging. Als er unten auf die Treppe kam, so winkte ihm Christine, die gegen der Wohnstube über in einer Kammerthür stand; sie schloß die Kammerthür hinter ihm zu, und Beide setzten sich neben einander. Christine fing nun an:
"Ach! welchen Schrecken hast Du mir mit Deinen Brie- fen abgejagt! meine Eltern wissen Alles. Höre, ich will Dir alles sagen, wie es ergangen ist. Als die Briefe kamen, war ich in der Stube, mein Vater auch, meine Mutter aber war in der Kammer auf dem Bett. Mein Vater brach den Brief auf, er fand noch einen drinnen an mich, er reichte mir denselben mit den Worten: da ist auch ein Brief an dich. Ich wurde roth, nahm ihn an, und las ihn. Mein Vater las den seinigen auch, schüttelte zuweilen den Kopf, stand und bedachte sich, dann las er wieder. Endlich ging er in die Kammer zu meiner Mutter; ich konnte alles ver- stehen, was gesprochen wurde. Mein Vater las ihr den Brief vor. Als er ausgelesen hatte, so lachte meine Mutter, und sagte: Begreifst Du auch wohl, was der Brief bedeutet? er hat Absichten auf unsere Tochter. Mein Vater antwortete: Das ist nicht möglich, er ist ja nur eine Nacht mit meinem Sohn bei ihr gewesen, dazu ist sie krank, und doch kommt mir auch der Brief bedenklich vor. Ja, ja! sagte die Mut- ter: denke nicht anders, es ist so. Nun ging mein Vater
acht Tage hernach des Samſtags Abends ſeinen gewoͤhnlichen Gang nach Raſenheim ging. Je naͤher er dem Hauſe kam, je mehr klopfte ſein Herz. Nun trat er zur Stubenthuͤr herein. Chriſtine hatte ſich in Etwas erholt; ſie war da- ſelbſt mit ihren Eltern und einigen Kindern. Er ging, wie gewoͤhnlich, mit freudigem Blick auf Friedenberg zu, gab ihm die Hand, und dieſer empfing ihn mit gewoͤhnlicher Freundſchaft, ſo auch die Frau Friedenberg, und endlich auch Chriſtine. Stilling ging nun wieder heraus, und hinauf nach ſeinem Schlafzimmer, um ein und anderes, das er bei ſich hatte, abzulegen. Ihm war ſchon ein Band vom Herzen, denn ſein Freund hatte entweder nichts gemerkt, oder er war mit der ganzen Sache zufrieden. Er ging nun wieder herunter, und erwartete, was ferner vorging. Als er unten auf die Treppe kam, ſo winkte ihm Chriſtine, die gegen der Wohnſtube uͤber in einer Kammerthuͤr ſtand; ſie ſchloß die Kammerthuͤr hinter ihm zu, und Beide ſetzten ſich neben einander. Chriſtine fing nun an:
„Ach! welchen Schrecken haſt Du mir mit Deinen Brie- fen abgejagt! meine Eltern wiſſen Alles. Hoͤre, ich will Dir alles ſagen, wie es ergangen iſt. Als die Briefe kamen, war ich in der Stube, mein Vater auch, meine Mutter aber war in der Kammer auf dem Bett. Mein Vater brach den Brief auf, er fand noch einen drinnen an mich, er reichte mir denſelben mit den Worten: da iſt auch ein Brief an dich. Ich wurde roth, nahm ihn an, und las ihn. Mein Vater las den ſeinigen auch, ſchuͤttelte zuweilen den Kopf, ſtand und bedachte ſich, dann las er wieder. Endlich ging er in die Kammer zu meiner Mutter; ich konnte alles ver- ſtehen, was geſprochen wurde. Mein Vater las ihr den Brief vor. Als er ausgeleſen hatte, ſo lachte meine Mutter, und ſagte: Begreifſt Du auch wohl, was der Brief bedeutet? er hat Abſichten auf unſere Tochter. Mein Vater antwortete: Das iſt nicht moͤglich, er iſt ja nur eine Nacht mit meinem Sohn bei ihr geweſen, dazu iſt ſie krank, und doch kommt mir auch der Brief bedenklich vor. Ja, ja! ſagte die Mut- ter: denke nicht anders, es iſt ſo. Nun ging mein Vater
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acht Tage hernach des Samſtags Abends ſeinen gewoͤhnlichen
Gang nach Raſenheim ging. Je naͤher er dem Hauſe
kam, je mehr klopfte ſein Herz. Nun trat er zur Stubenthuͤr
herein. Chriſtine hatte ſich in Etwas erholt; ſie war da-
ſelbſt mit ihren Eltern und einigen Kindern. Er ging, wie
gewoͤhnlich, mit freudigem Blick auf Friedenberg zu, gab
ihm die Hand, und dieſer empfing ihn mit gewoͤhnlicher
Freundſchaft, ſo auch die Frau Friedenberg, und endlich
auch Chriſtine. Stilling ging nun wieder heraus, und
hinauf nach ſeinem Schlafzimmer, um ein und anderes, das
er bei ſich hatte, abzulegen. Ihm war ſchon ein Band vom
Herzen, denn ſein Freund hatte entweder nichts gemerkt, oder
er war mit der ganzen Sache zufrieden. Er ging nun wieder
herunter, und erwartete, was ferner vorging. Als er unten
auf die Treppe kam, ſo winkte ihm Chriſtine, die gegen
der Wohnſtube uͤber in einer Kammerthuͤr ſtand; ſie ſchloß
die Kammerthuͤr hinter ihm zu, und Beide ſetzten ſich neben
einander. Chriſtine fing nun an:
„Ach! welchen Schrecken haſt Du mir mit Deinen Brie-
fen abgejagt! meine Eltern wiſſen Alles. Hoͤre, ich will Dir
alles ſagen, wie es ergangen iſt. Als die Briefe kamen,
war ich in der Stube, mein Vater auch, meine Mutter aber
war in der Kammer auf dem Bett. Mein Vater brach den
Brief auf, er fand noch einen drinnen an mich, er reichte
mir denſelben mit den Worten: da iſt auch ein Brief an
dich. Ich wurde roth, nahm ihn an, und las ihn. Mein
Vater las den ſeinigen auch, ſchuͤttelte zuweilen den Kopf,
ſtand und bedachte ſich, dann las er wieder. Endlich ging
er in die Kammer zu meiner Mutter; ich konnte alles ver-
ſtehen, was geſprochen wurde. Mein Vater las ihr den Brief
vor. Als er ausgeleſen hatte, ſo lachte meine Mutter, und
ſagte: Begreifſt Du auch wohl, was der Brief bedeutet? er
hat Abſichten auf unſere Tochter. Mein Vater antwortete:
Das iſt nicht moͤglich, er iſt ja nur eine Nacht mit meinem
Sohn bei ihr geweſen, dazu iſt ſie krank, und doch kommt
mir auch der Brief bedenklich vor. Ja, ja! ſagte die Mut-
ter: denke nicht anders, es iſt ſo. Nun ging mein Vater
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/268>, abgerufen am 22.11.2024.
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