faßte ihn an der Hand, und sprach: Freund Stilling! ich werde sterben, und eine Frau mit vier Kindern hinterlassen, für ihren Unterhalt sorge ich nicht, denn der Herr wird sie versorgen; aber, ob sie in des Herrn Wege wandeln werden, das weiß ich nicht, und darum trage ich Ihnen die Aufsicht über sie auf, stehen Sie ihnen mit Rath und That bei, der Herr wirds Ihnen vergelten. Stilling versprach das von Herzen gerne, so lange als seine Aufsicht möglich seyn würde. Isaac fuhr fort: wenn Sie von Herrn Spanier wegzie- hen werden, so entlasse ich Sie Ihres Versprechens, -- jetzt aber bitte ich Sie: denken Sie immer in Liebe an mich, und leben Sie so, daß wir im Himmel ewig vereint seyn können. Stilling vergoß Thränen, und sagte: Bitten Sie für mich um Gnade und Kraft! Ja! sagte Isaac: das werde ich erst thun, wenn ich werde vollendet haben, jetzt hab' ich mit mir selber genug zu schaffen. Stilling ver- muthete sein Ende noch so gar nahe nicht, daher ging er von ihm weg, und versprach morgen wieder zu kommen; allein diese Nacht starb er. Stilling ging bei seinem Leichen-Con- duct der Vorderste, weil er keine Anverwandten hatte; er weinte über seinem Grabe, und betrauerte ihn als einen Bru- der. Seine Frau starb nicht lange nach ihm, seine Kinder aber sind alle recht wohl versorgt.
Nachdem nun Stilling beinahe sechs Jahre bei Herrn Spanier in Condition gewesen war, und dabei die Augen- kuren fortsetzte, so trug es sich bisweilen zu, daß sein Herr mit ihm von einem bequemen Plan redete, nach welchem er sich mit seinem Studiren zu richten hätte. Herr Spauier schlug ihm vor: er sollte noch einige Jahre bei ihm bleiben, und so für sich studiren, alsdann wolle er ihm ein paar hundert Reichsthaler geben, damit könne er nach einer Uni- versität reisen, sich examiniren und promoviren lassen, und nach einem Vierteljahr wieder kommen, und so bei Herrn Spanier ferner wohnen bleiben. Was er dann weiter mit ihm vor hatte, ist mir nicht bekannt worden.
Dieser Plan gefiel Stilling ganz, zumalen aber nicht. Sein Zweck war, die Medicin auf einer Universität aus dem
faßte ihn an der Hand, und ſprach: Freund Stilling! ich werde ſterben, und eine Frau mit vier Kindern hinterlaſſen, fuͤr ihren Unterhalt ſorge ich nicht, denn der Herr wird ſie verſorgen; aber, ob ſie in des Herrn Wege wandeln werden, das weiß ich nicht, und darum trage ich Ihnen die Aufſicht uͤber ſie auf, ſtehen Sie ihnen mit Rath und That bei, der Herr wirds Ihnen vergelten. Stilling verſprach das von Herzen gerne, ſo lange als ſeine Aufſicht moͤglich ſeyn wuͤrde. Iſaac fuhr fort: wenn Sie von Herrn Spanier wegzie- hen werden, ſo entlaſſe ich Sie Ihres Verſprechens, — jetzt aber bitte ich Sie: denken Sie immer in Liebe an mich, und leben Sie ſo, daß wir im Himmel ewig vereint ſeyn koͤnnen. Stilling vergoß Thraͤnen, und ſagte: Bitten Sie fuͤr mich um Gnade und Kraft! Ja! ſagte Iſaac: das werde ich erſt thun, wenn ich werde vollendet haben, jetzt hab’ ich mit mir ſelber genug zu ſchaffen. Stilling ver- muthete ſein Ende noch ſo gar nahe nicht, daher ging er von ihm weg, und verſprach morgen wieder zu kommen; allein dieſe Nacht ſtarb er. Stilling ging bei ſeinem Leichen-Con- duct der Vorderſte, weil er keine Anverwandten hatte; er weinte uͤber ſeinem Grabe, und betrauerte ihn als einen Bru- der. Seine Frau ſtarb nicht lange nach ihm, ſeine Kinder aber ſind alle recht wohl verſorgt.
Nachdem nun Stilling beinahe ſechs Jahre bei Herrn Spanier in Condition geweſen war, und dabei die Augen- kuren fortſetzte, ſo trug es ſich bisweilen zu, daß ſein Herr mit ihm von einem bequemen Plan redete, nach welchem er ſich mit ſeinem Studiren zu richten haͤtte. Herr Spauier ſchlug ihm vor: er ſollte noch einige Jahre bei ihm bleiben, und ſo fuͤr ſich ſtudiren, alsdann wolle er ihm ein paar hundert Reichsthaler geben, damit koͤnne er nach einer Uni- verſitaͤt reiſen, ſich examiniren und promoviren laſſen, und nach einem Vierteljahr wieder kommen, und ſo bei Herrn Spanier ferner wohnen bleiben. Was er dann weiter mit ihm vor hatte, iſt mir nicht bekannt worden.
Dieſer Plan gefiel Stilling ganz, zumalen aber nicht. Sein Zweck war, die Medicin auf einer Univerſitaͤt aus dem
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faßte ihn an der Hand, und ſprach: Freund Stilling!
ich werde ſterben, und eine Frau mit vier Kindern hinterlaſſen,
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verſorgen; aber, ob ſie in des Herrn Wege wandeln werden,
das weiß ich nicht, und darum trage ich Ihnen die Aufſicht
uͤber ſie auf, ſtehen Sie ihnen mit Rath und That bei, der
Herr wirds Ihnen vergelten. Stilling verſprach das von
Herzen gerne, ſo lange als ſeine Aufſicht moͤglich ſeyn wuͤrde.
Iſaac fuhr fort: wenn Sie von Herrn Spanier wegzie-
hen werden, ſo entlaſſe ich Sie Ihres Verſprechens, — jetzt
aber bitte ich Sie: denken Sie immer in Liebe an mich,
und leben Sie ſo, daß wir im Himmel ewig vereint ſeyn
koͤnnen. Stilling vergoß Thraͤnen, und ſagte: Bitten Sie
fuͤr mich um Gnade und Kraft! Ja! ſagte Iſaac: das
werde ich erſt thun, wenn ich werde vollendet haben, jetzt
hab’ ich mit mir ſelber genug zu ſchaffen. Stilling ver-
muthete ſein Ende noch ſo gar nahe nicht, daher ging er von
ihm weg, und verſprach morgen wieder zu kommen; allein
dieſe Nacht ſtarb er. Stilling ging bei ſeinem Leichen-Con-
duct der Vorderſte, weil er keine Anverwandten hatte; er
weinte uͤber ſeinem Grabe, und betrauerte ihn als einen Bru-
der. Seine Frau ſtarb nicht lange nach ihm, ſeine Kinder
aber ſind alle recht wohl verſorgt.
Nachdem nun Stilling beinahe ſechs Jahre bei Herrn
Spanier in Condition geweſen war, und dabei die Augen-
kuren fortſetzte, ſo trug es ſich bisweilen zu, daß ſein Herr
mit ihm von einem bequemen Plan redete, nach welchem er
ſich mit ſeinem Studiren zu richten haͤtte. Herr Spauier
ſchlug ihm vor: er ſollte noch einige Jahre bei ihm bleiben,
und ſo fuͤr ſich ſtudiren, alsdann wolle er ihm ein paar
hundert Reichsthaler geben, damit koͤnne er nach einer Uni-
verſitaͤt reiſen, ſich examiniren und promoviren laſſen, und
nach einem Vierteljahr wieder kommen, und ſo bei Herrn
Spanier ferner wohnen bleiben. Was er dann weiter mit
ihm vor hatte, iſt mir nicht bekannt worden.
Dieſer Plan gefiel Stilling ganz, zumalen aber nicht.
Sein Zweck war, die Medicin auf einer Univerſitaͤt aus dem
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/261>, abgerufen am 25.11.2024.
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