dem Dinge werden wollte, und er selber wußte es nicht; die mehresten aber glaubten von ihm, er würde ein Prediger werden.
Endlich entwickelte sich die ganze Sache auf einmal. An einem Nachmittag im Junius spazierte Herr Spanier in der Stube auf und ab, wie er zu thun pflegte, wenn er eine wich- tige Sache überlegte; Stilling aber arbeitete an seinen Spra- chen und an der Information. "Hört, Präceptor! fing end- lich Spanier an: mir fällt da auf Einmal ein, was Ihr thun sollt, Ihr müßt Medicin studiren."
Ich kann's nicht aussprechen, wie Stilling bei diesem Vor- schlag zu Muthe war, er konnte sich fast nicht auf den Füßen halten, so daß Herr Spanier erschrack, ihn angriff und sagte: was fehlt Euch? "O Herr Spanier! was soll ich sagen, was soll ich denken? das ists, wozu ich bestimmt bin. Ja, ich fühle in meiner Seele, das ist das große Ding, das immer vor mir verborgen gewesen, das ich so lange gesucht, und nicht habe finden können! Dazu hat mich der himmlische Vater von Jugend auf durch schwere und scharfe Prüfungen vorbereiten wollen. Gelobet sey der barmherzige Gott, daß er mir doch endlich seinen Willen offenbaret hat, nun will ich auch ge- trost seinem Wink folgen.
Hierauf lief er nach seiner Schlafkammer, fiel auf seine Knie, dankte Gott, und bat den Vater der Menschen, daß er ihn nun den nächsten Weg zum bestimmten Zweck führen möchte. Er besann sich auf seine ganze Führung, und nun sah er klar ein, warum er eine so ausgesonderte Erziehung ge- nossen, warum er die lateinische Sprache so früh habe lernen müssen, warum sein Trieb zur Mathematik und zur Erkennt- niß der verborgenen Kräfte der Natur ihm eingeschaffen wor- den, warum er durch viele Leiden beugsam und bequem gemacht worden, allen Menschen zu dienen, warum eine Zeit her seine Lust zur Philosophie so gewachsen, daß er die Logik und Meta- physik habe studieren müssen, und warum er endlich zur griechi- schen Sprache solche Neigung bekommen? Nun wußte er seine Bestimmung, und von der Stunde an beschloß er für sich zu studieren, und so lange Materialien zu sammeln, bis es Gott gefallen würde, ihn nach der Universität zu schicken.
dem Dinge werden wollte, und er ſelber wußte es nicht; die mehreſten aber glaubten von ihm, er wuͤrde ein Prediger werden.
Endlich entwickelte ſich die ganze Sache auf einmal. An einem Nachmittag im Junius ſpazierte Herr Spanier in der Stube auf und ab, wie er zu thun pflegte, wenn er eine wich- tige Sache uͤberlegte; Stilling aber arbeitete an ſeinen Spra- chen und an der Information. „Hoͤrt, Praͤceptor! fing end- lich Spanier an: mir faͤllt da auf Einmal ein, was Ihr thun ſollt, Ihr muͤßt Medicin ſtudiren.“
Ich kann’s nicht ausſprechen, wie Stilling bei dieſem Vor- ſchlag zu Muthe war, er konnte ſich faſt nicht auf den Fuͤßen halten, ſo daß Herr Spanier erſchrack, ihn angriff und ſagte: was fehlt Euch? „O Herr Spanier! was ſoll ich ſagen, was ſoll ich denken? das iſts, wozu ich beſtimmt bin. Ja, ich fuͤhle in meiner Seele, das iſt das große Ding, das immer vor mir verborgen geweſen, das ich ſo lange geſucht, und nicht habe finden koͤnnen! Dazu hat mich der himmliſche Vater von Jugend auf durch ſchwere und ſcharfe Pruͤfungen vorbereiten wollen. Gelobet ſey der barmherzige Gott, daß er mir doch endlich ſeinen Willen offenbaret hat, nun will ich auch ge- troſt ſeinem Wink folgen.
Hierauf lief er nach ſeiner Schlafkammer, fiel auf ſeine Knie, dankte Gott, und bat den Vater der Menſchen, daß er ihn nun den naͤchſten Weg zum beſtimmten Zweck fuͤhren moͤchte. Er beſann ſich auf ſeine ganze Fuͤhrung, und nun ſah er klar ein, warum er eine ſo ausgeſonderte Erziehung ge- noſſen, warum er die lateiniſche Sprache ſo fruͤh habe lernen muͤſſen, warum ſein Trieb zur Mathematik und zur Erkennt- niß der verborgenen Kraͤfte der Natur ihm eingeſchaffen wor- den, warum er durch viele Leiden beugſam und bequem gemacht worden, allen Menſchen zu dienen, warum eine Zeit her ſeine Luſt zur Philoſophie ſo gewachſen, daß er die Logik und Meta- phyſik habe ſtudieren muͤſſen, und warum er endlich zur griechi- ſchen Sprache ſolche Neigung bekommen? Nun wußte er ſeine Beſtimmung, und von der Stunde an beſchloß er fuͤr ſich zu ſtudieren, und ſo lange Materialien zu ſammeln, bis es Gott gefallen wuͤrde, ihn nach der Univerſitaͤt zu ſchicken.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0255"n="247"/>
dem Dinge werden wollte, und er ſelber wußte es nicht; die<lb/>
mehreſten aber glaubten von ihm, er wuͤrde ein Prediger werden.</p><lb/><p>Endlich entwickelte ſich die ganze Sache auf einmal. An<lb/>
einem Nachmittag im Junius ſpazierte Herr Spanier in der<lb/>
Stube auf und ab, wie er zu thun pflegte, wenn er eine wich-<lb/>
tige Sache uͤberlegte; <hirendition="#g">Stilling</hi> aber arbeitete an ſeinen Spra-<lb/>
chen und an der Information. „Hoͤrt, Praͤceptor! fing end-<lb/>
lich <hirendition="#g">Spanier</hi> an: mir faͤllt da auf Einmal ein, was Ihr<lb/>
thun ſollt, Ihr muͤßt Medicin ſtudiren.“</p><lb/><p>Ich kann’s nicht ausſprechen, wie Stilling bei dieſem Vor-<lb/>ſchlag zu Muthe war, er konnte ſich faſt nicht auf den Fuͤßen<lb/>
halten, ſo daß Herr <hirendition="#g">Spanier</hi> erſchrack, ihn angriff und ſagte:<lb/>
was fehlt Euch? „O Herr Spanier! was ſoll ich ſagen, was<lb/>ſoll ich denken? <hirendition="#g">das</hi> iſts, wozu ich beſtimmt bin. Ja, ich<lb/>
fuͤhle in meiner Seele, <hirendition="#g">das</hi> iſt das große Ding, das immer<lb/>
vor mir verborgen geweſen, <hirendition="#g">das</hi> ich ſo lange geſucht, und nicht<lb/>
habe finden koͤnnen! Dazu hat mich der himmliſche Vater von<lb/>
Jugend auf durch ſchwere und ſcharfe Pruͤfungen vorbereiten<lb/>
wollen. Gelobet ſey der barmherzige Gott, daß er mir doch<lb/>
endlich ſeinen Willen offenbaret hat, nun will ich auch ge-<lb/>
troſt ſeinem Wink folgen.</p><lb/><p>Hierauf lief er nach ſeiner Schlafkammer, fiel auf ſeine Knie,<lb/>
dankte Gott, und bat den Vater der Menſchen, daß er<lb/>
ihn nun den naͤchſten Weg zum beſtimmten Zweck fuͤhren<lb/>
moͤchte. Er beſann ſich auf ſeine ganze Fuͤhrung, und nun<lb/>ſah er klar ein, warum er eine ſo ausgeſonderte Erziehung ge-<lb/>
noſſen, warum er die lateiniſche Sprache ſo fruͤh habe lernen<lb/>
muͤſſen, warum ſein Trieb zur Mathematik und zur Erkennt-<lb/>
niß der verborgenen Kraͤfte der Natur ihm eingeſchaffen wor-<lb/>
den, warum er durch viele Leiden beugſam und bequem gemacht<lb/>
worden, allen Menſchen zu dienen, warum eine Zeit her ſeine<lb/>
Luſt zur Philoſophie ſo gewachſen, daß er die Logik und Meta-<lb/>
phyſik habe ſtudieren muͤſſen, und warum er endlich zur griechi-<lb/>ſchen Sprache ſolche Neigung bekommen? Nun wußte er ſeine<lb/>
Beſtimmung, und von der Stunde an beſchloß er fuͤr ſich zu<lb/>ſtudieren, und ſo lange Materialien zu ſammeln, bis es Gott<lb/>
gefallen wuͤrde, ihn nach der Univerſitaͤt zu ſchicken.</p><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[247/0255]
dem Dinge werden wollte, und er ſelber wußte es nicht; die
mehreſten aber glaubten von ihm, er wuͤrde ein Prediger werden.
Endlich entwickelte ſich die ganze Sache auf einmal. An
einem Nachmittag im Junius ſpazierte Herr Spanier in der
Stube auf und ab, wie er zu thun pflegte, wenn er eine wich-
tige Sache uͤberlegte; Stilling aber arbeitete an ſeinen Spra-
chen und an der Information. „Hoͤrt, Praͤceptor! fing end-
lich Spanier an: mir faͤllt da auf Einmal ein, was Ihr
thun ſollt, Ihr muͤßt Medicin ſtudiren.“
Ich kann’s nicht ausſprechen, wie Stilling bei dieſem Vor-
ſchlag zu Muthe war, er konnte ſich faſt nicht auf den Fuͤßen
halten, ſo daß Herr Spanier erſchrack, ihn angriff und ſagte:
was fehlt Euch? „O Herr Spanier! was ſoll ich ſagen, was
ſoll ich denken? das iſts, wozu ich beſtimmt bin. Ja, ich
fuͤhle in meiner Seele, das iſt das große Ding, das immer
vor mir verborgen geweſen, das ich ſo lange geſucht, und nicht
habe finden koͤnnen! Dazu hat mich der himmliſche Vater von
Jugend auf durch ſchwere und ſcharfe Pruͤfungen vorbereiten
wollen. Gelobet ſey der barmherzige Gott, daß er mir doch
endlich ſeinen Willen offenbaret hat, nun will ich auch ge-
troſt ſeinem Wink folgen.
Hierauf lief er nach ſeiner Schlafkammer, fiel auf ſeine Knie,
dankte Gott, und bat den Vater der Menſchen, daß er
ihn nun den naͤchſten Weg zum beſtimmten Zweck fuͤhren
moͤchte. Er beſann ſich auf ſeine ganze Fuͤhrung, und nun
ſah er klar ein, warum er eine ſo ausgeſonderte Erziehung ge-
noſſen, warum er die lateiniſche Sprache ſo fruͤh habe lernen
muͤſſen, warum ſein Trieb zur Mathematik und zur Erkennt-
niß der verborgenen Kraͤfte der Natur ihm eingeſchaffen wor-
den, warum er durch viele Leiden beugſam und bequem gemacht
worden, allen Menſchen zu dienen, warum eine Zeit her ſeine
Luſt zur Philoſophie ſo gewachſen, daß er die Logik und Meta-
phyſik habe ſtudieren muͤſſen, und warum er endlich zur griechi-
ſchen Sprache ſolche Neigung bekommen? Nun wußte er ſeine
Beſtimmung, und von der Stunde an beſchloß er fuͤr ſich zu
ſtudieren, und ſo lange Materialien zu ſammeln, bis es Gott
gefallen wuͤrde, ihn nach der Univerſitaͤt zu ſchicken.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/255>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.