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Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

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sondern ich gehe zu wichtigern Sachen über. Er war nun
schon eine geraume Zeit her mit der Information und Herrn
Spaniers Geschäften umgegangen; er rückte immer mehr
und mehr in seinen Jahren fort, und es begann ihm zuweilen
einzufallen: was doch wohl am Ende noch aus ihm werden
würde? -- Mit dem Handwerk war's nun gar aus, er hatte
es in einigen Jahren nicht mehr versucht, und die Unterwei-
sung der Jugend war ihm ebenfalls verdrießlich, er war ihrer
von Herzen müde, und er fühlte, daß er nicht dazu gemacht
war; denn er war geschäftig und wirksam. Die Kaufmann-
schaft gefiel ihm auch nicht, denn er sah wohl ein, daß er
sich gar nicht dazu schicken würde, beständig fort mit derglei-
chen Sachen umzugehen, dieser Beruf war seinem Grundtrieb
zuwider; doch wurde er weder verdrießlich noch melancholisch,
sondern er erwartete, was Gott aus ihm machen würde.

Einsmals an einem Frühlingsmorgen, im Jahr 1768, saß
er nach dem Kaffeetrinken am Tisch; die Kinder liefen noch
eine Weile im Hof herum, er griff hinter sich nach einem
Buch, und es fiel ihm just Reizens Historie der Wiederge-
bornen in die Hand, er blätterte ein wenig darinnen herum
ohne Absicht und ohne Nachdenken; indem fiel ihm die Ge-
schichte eines Mannes ins Gesicht, der in Griechenland gereist
war, um daselbst die Ueberbleibsel der ersten christlichen Gemein-
den zu untersuchen. Die Geschichte las er zum Zeitvertreib.
Als er dahin kam, wo der Mann auf seinem Todtbette noch
seine Lust an der griechischen Sprache bezeugte, und besonders
bei dem Wort Eilikrineia so ein vortreffliches Gefühl hatte,
so war es Stilling, als wenn er aus einem tiefen Schlaf
erwachte. Das Wort Eilikrineia stand vor ihm, als wenn
es in einem Glanz gelegen hätte, dabei fühlte er einen unwi-
derstehlichen Trieb, die griechische Sprache zu lernen, und ei-
nen verborgenen starken Zug zu Etwas, das er noch gar nicht
kannte, auch nicht zu sagen wußte, was es war. Er besann
sich, und dachte: Was will ich doch mit der griechischen
Sprache machen? wozu wird sie mir nutzen? welche ungeheure
Arbeit ist das für mich, in meinem 28sten Jahre noch eine so
schwere Sprache zu lernen, die ich noch nicht einmal lesen

ſondern ich gehe zu wichtigern Sachen uͤber. Er war nun
ſchon eine geraume Zeit her mit der Information und Herrn
Spaniers Geſchaͤften umgegangen; er ruͤckte immer mehr
und mehr in ſeinen Jahren fort, und es begann ihm zuweilen
einzufallen: was doch wohl am Ende noch aus ihm werden
wuͤrde? — Mit dem Handwerk war’s nun gar aus, er hatte
es in einigen Jahren nicht mehr verſucht, und die Unterwei-
ſung der Jugend war ihm ebenfalls verdrießlich, er war ihrer
von Herzen muͤde, und er fuͤhlte, daß er nicht dazu gemacht
war; denn er war geſchaͤftig und wirkſam. Die Kaufmann-
ſchaft gefiel ihm auch nicht, denn er ſah wohl ein, daß er
ſich gar nicht dazu ſchicken wuͤrde, beſtaͤndig fort mit derglei-
chen Sachen umzugehen, dieſer Beruf war ſeinem Grundtrieb
zuwider; doch wurde er weder verdrießlich noch melancholiſch,
ſondern er erwartete, was Gott aus ihm machen wuͤrde.

Einsmals an einem Fruͤhlingsmorgen, im Jahr 1768, ſaß
er nach dem Kaffeetrinken am Tiſch; die Kinder liefen noch
eine Weile im Hof herum, er griff hinter ſich nach einem
Buch, und es fiel ihm juſt Reizens Hiſtorie der Wiederge-
bornen in die Hand, er blaͤtterte ein wenig darinnen herum
ohne Abſicht und ohne Nachdenken; indem fiel ihm die Ge-
ſchichte eines Mannes ins Geſicht, der in Griechenland gereist
war, um daſelbſt die Ueberbleibſel der erſten chriſtlichen Gemein-
den zu unterſuchen. Die Geſchichte las er zum Zeitvertreib.
Als er dahin kam, wo der Mann auf ſeinem Todtbette noch
ſeine Luſt an der griechiſchen Sprache bezeugte, und beſonders
bei dem Wort Eilikrineia ſo ein vortreffliches Gefuͤhl hatte,
ſo war es Stilling, als wenn er aus einem tiefen Schlaf
erwachte. Das Wort Eilikrineia ſtand vor ihm, als wenn
es in einem Glanz gelegen haͤtte, dabei fuͤhlte er einen unwi-
derſtehlichen Trieb, die griechiſche Sprache zu lernen, und ei-
nen verborgenen ſtarken Zug zu Etwas, das er noch gar nicht
kannte, auch nicht zu ſagen wußte, was es war. Er beſann
ſich, und dachte: Was will ich doch mit der griechiſchen
Sprache machen? wozu wird ſie mir nutzen? welche ungeheure
Arbeit iſt das fuͤr mich, in meinem 28ſten Jahre noch eine ſo
ſchwere Sprache zu lernen, die ich noch nicht einmal leſen

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[245/0253] ſondern ich gehe zu wichtigern Sachen uͤber. Er war nun ſchon eine geraume Zeit her mit der Information und Herrn Spaniers Geſchaͤften umgegangen; er ruͤckte immer mehr und mehr in ſeinen Jahren fort, und es begann ihm zuweilen einzufallen: was doch wohl am Ende noch aus ihm werden wuͤrde? — Mit dem Handwerk war’s nun gar aus, er hatte es in einigen Jahren nicht mehr verſucht, und die Unterwei- ſung der Jugend war ihm ebenfalls verdrießlich, er war ihrer von Herzen muͤde, und er fuͤhlte, daß er nicht dazu gemacht war; denn er war geſchaͤftig und wirkſam. Die Kaufmann- ſchaft gefiel ihm auch nicht, denn er ſah wohl ein, daß er ſich gar nicht dazu ſchicken wuͤrde, beſtaͤndig fort mit derglei- chen Sachen umzugehen, dieſer Beruf war ſeinem Grundtrieb zuwider; doch wurde er weder verdrießlich noch melancholiſch, ſondern er erwartete, was Gott aus ihm machen wuͤrde. Einsmals an einem Fruͤhlingsmorgen, im Jahr 1768, ſaß er nach dem Kaffeetrinken am Tiſch; die Kinder liefen noch eine Weile im Hof herum, er griff hinter ſich nach einem Buch, und es fiel ihm juſt Reizens Hiſtorie der Wiederge- bornen in die Hand, er blaͤtterte ein wenig darinnen herum ohne Abſicht und ohne Nachdenken; indem fiel ihm die Ge- ſchichte eines Mannes ins Geſicht, der in Griechenland gereist war, um daſelbſt die Ueberbleibſel der erſten chriſtlichen Gemein- den zu unterſuchen. Die Geſchichte las er zum Zeitvertreib. Als er dahin kam, wo der Mann auf ſeinem Todtbette noch ſeine Luſt an der griechiſchen Sprache bezeugte, und beſonders bei dem Wort Eilikrineia ſo ein vortreffliches Gefuͤhl hatte, ſo war es Stilling, als wenn er aus einem tiefen Schlaf erwachte. Das Wort Eilikrineia ſtand vor ihm, als wenn es in einem Glanz gelegen haͤtte, dabei fuͤhlte er einen unwi- derſtehlichen Trieb, die griechiſche Sprache zu lernen, und ei- nen verborgenen ſtarken Zug zu Etwas, das er noch gar nicht kannte, auch nicht zu ſagen wußte, was es war. Er beſann ſich, und dachte: Was will ich doch mit der griechiſchen Sprache machen? wozu wird ſie mir nutzen? welche ungeheure Arbeit iſt das fuͤr mich, in meinem 28ſten Jahre noch eine ſo ſchwere Sprache zu lernen, die ich noch nicht einmal leſen

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Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/253>, abgerufen am 22.11.2024.