Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Augen, und er sagte: Der vortreffliche Mensch! das soll er
mir entgelten, nie soll er Mangel haben. Nun gab er ihm
einige Lonisd'ors mit dem Bedeuten, Isaac davon zu bezah-
len, und mit dem übrigen hauszuhalten; wenns all wäre, sollte
er mehr haben, nur dieß er alles hübsch berechnete, wozu es
verwendet worden.

Stilling freute sich aus der Massen; so einen Mann
hatte er noch nicht angetroffen. Er bezahlte also Meister Isaac
mit dem Gelde, und nun gestand ihm dieser: daß er wirklich
alle Kleider für ihn geborgt hätte. Das ging Stilling
durchs Herz, er konnte sich des Weinens nicht enthalten, und
dachte bei sich selbst: Wenn jemals ein Mann ein marmornes
Monument verdient hat, so ists dieser; nicht daß er ganze
Völker glücklich gemacht hat, sondern darum, daß ers würde
gethan haben, wenn er gekonnt hätte.

Nochmals! -- gesegnet sey deine Asche, mein Freund! aus-
erkohren unter Tausenden, -- da Du liegst und schläfst; diese hei-
ligen Thränen auf dein Grab -- du wahrer Nachfolger Christi!!!

Des Sonntags nahm also Stilling Abschied von seinen
Freunden zu Waldstätt, und reiste über Rosenheim nach
Schönenthal, um einen guten Sprachmeister zu suchen.
Als er nahe bei letzterer Stadt kam, so erinnerte er sich, daß
er vor einem Jahr und etlichen Wochen diesen Weg zuerst ge-
reist hatte; er überdachte alle seine Schicksale in dieser kurzen
Zeit, und nun wieder seinen Zustand, er fiel nieder auf seine
Knie, und dankte Gott herzlich für eine strenge aber heilige und
gute Führung, bat aber zugleich, nunmehr auch seine Gnaden-
sonne über ihn scheinen zu lassen. Als er auf die Höhe kam,
wo er ganz Schönenthal und das herrliche Thal hinauf
übersehen konnte, so wurde er begeistert, setzte sich hin unter
das Gesträuche, zog seine Schreibtafel heraus und schrieb:

Ich fühl ein sanftes Liebewallen,
Es säuselt kühlend um mich her.
Ich fühl des Vaters Wohlgefallen,
Der reinen Wonne Wiederkehr.
Die Wolken ziehen sanft herüber,
Tief unten braun, licht oben drüber.

Augen, und er ſagte: Der vortreffliche Menſch! das ſoll er
mir entgelten, nie ſoll er Mangel haben. Nun gab er ihm
einige Lonisd’ors mit dem Bedeuten, Iſaac davon zu bezah-
len, und mit dem uͤbrigen hauszuhalten; wenns all waͤre, ſollte
er mehr haben, nur dieß er alles huͤbſch berechnete, wozu es
verwendet worden.

Stilling freute ſich aus der Maſſen; ſo einen Mann
hatte er noch nicht angetroffen. Er bezahlte alſo Meiſter Iſaac
mit dem Gelde, und nun geſtand ihm dieſer: daß er wirklich
alle Kleider fuͤr ihn geborgt haͤtte. Das ging Stilling
durchs Herz, er konnte ſich des Weinens nicht enthalten, und
dachte bei ſich ſelbſt: Wenn jemals ein Mann ein marmornes
Monument verdient hat, ſo iſts dieſer; nicht daß er ganze
Voͤlker gluͤcklich gemacht hat, ſondern darum, daß ers wuͤrde
gethan haben, wenn er gekonnt haͤtte.

Nochmals! — geſegnet ſey deine Aſche, mein Freund! aus-
erkohren unter Tauſenden, — da Du liegſt und ſchlaͤfſt; dieſe hei-
ligen Thraͤnen auf dein Grab — du wahrer Nachfolger Chriſti!!!

Des Sonntags nahm alſo Stilling Abſchied von ſeinen
Freunden zu Waldſtaͤtt, und reiste uͤber Roſenheim nach
Schoͤnenthal, um einen guten Sprachmeiſter zu ſuchen.
Als er nahe bei letzterer Stadt kam, ſo erinnerte er ſich, daß
er vor einem Jahr und etlichen Wochen dieſen Weg zuerſt ge-
reist hatte; er uͤberdachte alle ſeine Schickſale in dieſer kurzen
Zeit, und nun wieder ſeinen Zuſtand, er fiel nieder auf ſeine
Knie, und dankte Gott herzlich fuͤr eine ſtrenge aber heilige und
gute Fuͤhrung, bat aber zugleich, nunmehr auch ſeine Gnaden-
ſonne uͤber ihn ſcheinen zu laſſen. Als er auf die Hoͤhe kam,
wo er ganz Schoͤnenthal und das herrliche Thal hinauf
uͤberſehen konnte, ſo wurde er begeiſtert, ſetzte ſich hin unter
das Geſtraͤuche, zog ſeine Schreibtafel heraus und ſchrieb:

Ich fühl ein ſanftes Liebewallen,
Es ſäuſelt kühlend um mich her.
Ich fühl des Vaters Wohlgefallen,
Der reinen Wonne Wiederkehr.
Die Wolken ziehen ſanft herüber,
Tief unten braun, licht oben drüber.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0242" n="234"/>
Augen, und er &#x017F;agte: Der vortreffliche Men&#x017F;ch! das &#x017F;oll er<lb/>
mir entgelten, nie &#x017F;oll er Mangel haben. Nun gab er ihm<lb/>
einige Lonisd&#x2019;ors mit dem Bedeuten, <hi rendition="#g">I&#x017F;aac</hi> davon zu bezah-<lb/>
len, und mit dem u&#x0364;brigen hauszuhalten; wenns all wa&#x0364;re, &#x017F;ollte<lb/>
er mehr haben, nur dieß er alles hu&#x0364;b&#x017F;ch berechnete, wozu es<lb/>
verwendet worden.</p><lb/>
            <p><hi rendition="#g">Stilling</hi> freute &#x017F;ich aus der Ma&#x017F;&#x017F;en; &#x017F;o einen Mann<lb/>
hatte er noch nicht angetroffen. Er bezahlte al&#x017F;o Mei&#x017F;ter <hi rendition="#g">I&#x017F;aac</hi><lb/>
mit dem Gelde, und nun ge&#x017F;tand ihm die&#x017F;er: daß er wirklich<lb/>
alle Kleider fu&#x0364;r ihn geborgt ha&#x0364;tte. Das ging <hi rendition="#g">Stilling</hi><lb/>
durchs Herz, er konnte &#x017F;ich des Weinens nicht enthalten, und<lb/>
dachte bei &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t: Wenn jemals ein Mann ein marmornes<lb/>
Monument verdient hat, &#x017F;o i&#x017F;ts die&#x017F;er; nicht daß er ganze<lb/>
Vo&#x0364;lker glu&#x0364;cklich gemacht hat, &#x017F;ondern darum, daß ers wu&#x0364;rde<lb/>
gethan haben, wenn er gekonnt ha&#x0364;tte.</p><lb/>
            <p>Nochmals! &#x2014; ge&#x017F;egnet &#x017F;ey deine A&#x017F;che, mein Freund! aus-<lb/>
erkohren unter Tau&#x017F;enden, &#x2014; da Du lieg&#x017F;t und &#x017F;chla&#x0364;f&#x017F;t; die&#x017F;e hei-<lb/>
ligen Thra&#x0364;nen auf dein Grab &#x2014; du wahrer Nachfolger Chri&#x017F;ti!!!</p><lb/>
            <p>Des Sonntags nahm al&#x017F;o <hi rendition="#g">Stilling</hi> Ab&#x017F;chied von &#x017F;einen<lb/>
Freunden zu <hi rendition="#g">Wald&#x017F;ta&#x0364;tt</hi>, und reiste u&#x0364;ber <hi rendition="#g">Ro&#x017F;enheim</hi> nach<lb/><hi rendition="#g">Scho&#x0364;nenthal</hi>, um einen guten Sprachmei&#x017F;ter zu &#x017F;uchen.<lb/>
Als er nahe bei letzterer Stadt kam, &#x017F;o erinnerte er &#x017F;ich, daß<lb/>
er vor einem Jahr und etlichen Wochen die&#x017F;en Weg zuer&#x017F;t ge-<lb/>
reist hatte; er u&#x0364;berdachte alle &#x017F;eine Schick&#x017F;ale in die&#x017F;er kurzen<lb/>
Zeit, und nun wieder &#x017F;einen Zu&#x017F;tand, er fiel nieder auf &#x017F;eine<lb/>
Knie, und dankte Gott herzlich fu&#x0364;r eine &#x017F;trenge aber heilige und<lb/>
gute Fu&#x0364;hrung, bat aber zugleich, nunmehr auch &#x017F;eine Gnaden-<lb/>
&#x017F;onne u&#x0364;ber ihn &#x017F;cheinen zu la&#x017F;&#x017F;en. Als er auf die Ho&#x0364;he kam,<lb/>
wo er ganz <hi rendition="#g">Scho&#x0364;nenthal</hi> und das herrliche Thal hinauf<lb/>
u&#x0364;ber&#x017F;ehen konnte, &#x017F;o wurde er begei&#x017F;tert, &#x017F;etzte &#x017F;ich hin unter<lb/>
das Ge&#x017F;tra&#x0364;uche, zog &#x017F;eine Schreibtafel heraus und &#x017F;chrieb:</p><lb/>
            <lg type="poem">
              <lg n="1">
                <l>Ich fühl ein &#x017F;anftes Liebewallen,</l><lb/>
                <l>Es &#x017F;äu&#x017F;elt kühlend um mich her.</l><lb/>
                <l>Ich fühl des Vaters Wohlgefallen,</l><lb/>
                <l>Der reinen Wonne Wiederkehr.</l><lb/>
                <l>Die Wolken ziehen &#x017F;anft herüber,</l><lb/>
                <l>Tief unten braun, licht oben drüber.</l>
              </lg><lb/>
              <l>
</l>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[234/0242] Augen, und er ſagte: Der vortreffliche Menſch! das ſoll er mir entgelten, nie ſoll er Mangel haben. Nun gab er ihm einige Lonisd’ors mit dem Bedeuten, Iſaac davon zu bezah- len, und mit dem uͤbrigen hauszuhalten; wenns all waͤre, ſollte er mehr haben, nur dieß er alles huͤbſch berechnete, wozu es verwendet worden. Stilling freute ſich aus der Maſſen; ſo einen Mann hatte er noch nicht angetroffen. Er bezahlte alſo Meiſter Iſaac mit dem Gelde, und nun geſtand ihm dieſer: daß er wirklich alle Kleider fuͤr ihn geborgt haͤtte. Das ging Stilling durchs Herz, er konnte ſich des Weinens nicht enthalten, und dachte bei ſich ſelbſt: Wenn jemals ein Mann ein marmornes Monument verdient hat, ſo iſts dieſer; nicht daß er ganze Voͤlker gluͤcklich gemacht hat, ſondern darum, daß ers wuͤrde gethan haben, wenn er gekonnt haͤtte. Nochmals! — geſegnet ſey deine Aſche, mein Freund! aus- erkohren unter Tauſenden, — da Du liegſt und ſchlaͤfſt; dieſe hei- ligen Thraͤnen auf dein Grab — du wahrer Nachfolger Chriſti!!! Des Sonntags nahm alſo Stilling Abſchied von ſeinen Freunden zu Waldſtaͤtt, und reiste uͤber Roſenheim nach Schoͤnenthal, um einen guten Sprachmeiſter zu ſuchen. Als er nahe bei letzterer Stadt kam, ſo erinnerte er ſich, daß er vor einem Jahr und etlichen Wochen dieſen Weg zuerſt ge- reist hatte; er uͤberdachte alle ſeine Schickſale in dieſer kurzen Zeit, und nun wieder ſeinen Zuſtand, er fiel nieder auf ſeine Knie, und dankte Gott herzlich fuͤr eine ſtrenge aber heilige und gute Fuͤhrung, bat aber zugleich, nunmehr auch ſeine Gnaden- ſonne uͤber ihn ſcheinen zu laſſen. Als er auf die Hoͤhe kam, wo er ganz Schoͤnenthal und das herrliche Thal hinauf uͤberſehen konnte, ſo wurde er begeiſtert, ſetzte ſich hin unter das Geſtraͤuche, zog ſeine Schreibtafel heraus und ſchrieb: Ich fühl ein ſanftes Liebewallen, Es ſäuſelt kühlend um mich her. Ich fühl des Vaters Wohlgefallen, Der reinen Wonne Wiederkehr. Die Wolken ziehen ſanft herüber, Tief unten braun, licht oben drüber.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/242
Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/242>, abgerufen am 27.11.2024.