er mit Leuten umging, von denen er vermuthete, daß sie La- tein verstünden; das setzte dann Alle in Erstaunen, nicht daß er eben ein Wunder von Gelehrsamkeit gewesen wäre, sondern weil er da saß und nähte und doch so sprach, welches in Ei- ner Person vereinigt, besonders in Schauberg, etwas Uner- hörtes war. Alle Menschen, vornehme und geringe, kamen und liebten ihn, und dieses war eigentlich Stillings Element; wo man ihn nicht kannte, war er still, und wo man ihn nicht liebte, traurig. Meister Nagel und alle seine Leute ehrten ihn dergestalt, daß er mehr Herr als Geselle im Hause war.
Die vergnügtesten Stunden hatten sie Alle zusammen des Sonntags Nachmittags; dann gingen sie oben ins Haus auf eine schöne Kammer, deren Aussicht ganz herrlich war; hier las ihnen Stilling aus einem Buche vor, das die Frau Na- gel geerbt hatte; es war ein alter Foliant mit vielen Holz- schnitten, das Titelblatt war verloren, es handelte von den niederländischen Geschichten und Kriegen, unter der Statthal- terschaft der Herzogin von Parma, des Herzogs von Alba, des großen Commeters u. s. w., nebst den wunderbaren Schick- salen des Prinzen Moritz von Nassau; hiebei verhielt sich nun Stilling wie ein Professor, der Lehrstunden hält; er erklärte, er erzählte ein und anderes dazwischen, und seine Zuhörer waren ganz Ohr. Erzählen ist immer seine Sache gewesen, und Uebung macht endlich den Meister.
Gegen Abend ging er alsdann mit seinem Meister, oder vielmehr mit seinem Freund Nagel um die Stadt spazieren, und weil dieselbe auf einer Höhe, kaum fünf Stunden vom Rhein abliegt, so war dieser Spaziergang wegen der herrlichen Aussicht unvergleichlich. Westwärts sah man eine große Strecke hin diesen prächtigen Strom im Schimmer der Abendsonne majestätisch auf die Niederlande zueilen; rund umher lagen tausend buschigte Hügel, wo überall entweder blühende Bauern- höfe, oder prächtige Kaufmannspalläste zwischen den grünen Bäumen hervorguckten; dann waren Nagels und Stillings Gespräche herzlich und vertraulich, sie ergoßen sich in einan- der, und Stilling ging eben so vergnügt schlafen, als er auch ehmalen zu Zellberg gethan hatte.
er mit Leuten umging, von denen er vermuthete, daß ſie La- tein verſtuͤnden; das ſetzte dann Alle in Erſtaunen, nicht daß er eben ein Wunder von Gelehrſamkeit geweſen waͤre, ſondern weil er da ſaß und naͤhte und doch ſo ſprach, welches in Ei- ner Perſon vereinigt, beſonders in Schauberg, etwas Uner- hoͤrtes war. Alle Menſchen, vornehme und geringe, kamen und liebten ihn, und dieſes war eigentlich Stillings Element; wo man ihn nicht kannte, war er ſtill, und wo man ihn nicht liebte, traurig. Meiſter Nagel und alle ſeine Leute ehrten ihn dergeſtalt, daß er mehr Herr als Geſelle im Hauſe war.
Die vergnuͤgteſten Stunden hatten ſie Alle zuſammen des Sonntags Nachmittags; dann gingen ſie oben ins Haus auf eine ſchoͤne Kammer, deren Ausſicht ganz herrlich war; hier las ihnen Stilling aus einem Buche vor, das die Frau Na- gel geerbt hatte; es war ein alter Foliant mit vielen Holz- ſchnitten, das Titelblatt war verloren, es handelte von den niederlaͤndiſchen Geſchichten und Kriegen, unter der Statthal- terſchaft der Herzogin von Parma, des Herzogs von Alba, des großen Commeters u. ſ. w., nebſt den wunderbaren Schick- ſalen des Prinzen Moritz von Naſſau; hiebei verhielt ſich nun Stilling wie ein Profeſſor, der Lehrſtunden haͤlt; er erklaͤrte, er erzaͤhlte ein und anderes dazwiſchen, und ſeine Zuhoͤrer waren ganz Ohr. Erzaͤhlen iſt immer ſeine Sache geweſen, und Uebung macht endlich den Meiſter.
Gegen Abend ging er alsdann mit ſeinem Meiſter, oder vielmehr mit ſeinem Freund Nagel um die Stadt ſpazieren, und weil dieſelbe auf einer Hoͤhe, kaum fuͤnf Stunden vom Rhein abliegt, ſo war dieſer Spaziergang wegen der herrlichen Ausſicht unvergleichlich. Weſtwaͤrts ſah man eine große Strecke hin dieſen praͤchtigen Strom im Schimmer der Abendſonne majeſtaͤtiſch auf die Niederlande zueilen; rund umher lagen tauſend buſchigte Huͤgel, wo uͤberall entweder bluͤhende Bauern- hoͤfe, oder praͤchtige Kaufmannspallaͤſte zwiſchen den gruͤnen Baͤumen hervorguckten; dann waren Nagels und Stillings Geſpraͤche herzlich und vertraulich, ſie ergoßen ſich in einan- der, und Stilling ging eben ſo vergnuͤgt ſchlafen, als er auch ehmalen zu Zellberg gethan hatte.
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er mit Leuten umging, von denen er vermuthete, daß ſie La-
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er eben ein Wunder von Gelehrſamkeit geweſen waͤre, ſondern
weil er da ſaß und naͤhte und doch ſo ſprach, welches in Ei-
ner Perſon vereinigt, beſonders in Schauberg, etwas Uner-
hoͤrtes war. Alle Menſchen, vornehme und geringe, kamen
und liebten ihn, und dieſes war eigentlich Stillings Element;
wo man ihn nicht kannte, war er ſtill, und wo man ihn nicht
liebte, traurig. Meiſter Nagel und alle ſeine Leute ehrten
ihn dergeſtalt, daß er mehr Herr als Geſelle im Hauſe war.
Die vergnuͤgteſten Stunden hatten ſie Alle zuſammen des
Sonntags Nachmittags; dann gingen ſie oben ins Haus auf
eine ſchoͤne Kammer, deren Ausſicht ganz herrlich war; hier
las ihnen Stilling aus einem Buche vor, das die Frau Na-
gel geerbt hatte; es war ein alter Foliant mit vielen Holz-
ſchnitten, das Titelblatt war verloren, es handelte von den
niederlaͤndiſchen Geſchichten und Kriegen, unter der Statthal-
terſchaft der Herzogin von Parma, des Herzogs von Alba,
des großen Commeters u. ſ. w., nebſt den wunderbaren Schick-
ſalen des Prinzen Moritz von Naſſau; hiebei verhielt ſich nun
Stilling wie ein Profeſſor, der Lehrſtunden haͤlt; er erklaͤrte,
er erzaͤhlte ein und anderes dazwiſchen, und ſeine Zuhoͤrer
waren ganz Ohr. Erzaͤhlen iſt immer ſeine Sache geweſen,
und Uebung macht endlich den Meiſter.
Gegen Abend ging er alsdann mit ſeinem Meiſter, oder
vielmehr mit ſeinem Freund Nagel um die Stadt ſpazieren,
und weil dieſelbe auf einer Hoͤhe, kaum fuͤnf Stunden vom
Rhein abliegt, ſo war dieſer Spaziergang wegen der herrlichen
Ausſicht unvergleichlich. Weſtwaͤrts ſah man eine große Strecke
hin dieſen praͤchtigen Strom im Schimmer der Abendſonne
majeſtaͤtiſch auf die Niederlande zueilen; rund umher lagen
tauſend buſchigte Huͤgel, wo uͤberall entweder bluͤhende Bauern-
hoͤfe, oder praͤchtige Kaufmannspallaͤſte zwiſchen den gruͤnen
Baͤumen hervorguckten; dann waren Nagels und Stillings
Geſpraͤche herzlich und vertraulich, ſie ergoßen ſich in einan-
der, und Stilling ging eben ſo vergnuͤgt ſchlafen, als er auch
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/218>, abgerufen am 27.11.2024.
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