nem braven Bruder endlich auch, er fand ihn und brachte ihn mit Freuden in Sicherheit; das kränkte nun die gute Schwä- gerin, daß sie die Auszehrung bekam und zu großer Freude meines Bruders starb."
"Er hielt ehrlich die Trauerzeit aus, suchte sich aber unter der Hand eine junge, die ungefähr so schwer seyn mochte, als er ganz unschuldiger Weise geworden war; diese nahm er und nun fing er an, mit seinem Geld zu wuchern, und zwar auf meine Unkosten; denn er handelte mit wollen Tuch, und so stach er mir alle meine Handlungsfreunde ab, indem er immer die Waaren wohlfeiler umschlug, als ich. Hierüber fing ich an, zurückzugehen, und meine Sachen verschlimmerten sich von Tag zu Tag. Dieses sah er wohl, er fing an, freundlich ge- gen mich zu seyn, und versprach mir Geld vorzuschießen, so viel ich nöthig haben würde; ich war so thöricht, ihm zu glan- ben; als es ihm Zeit däuchte, nahm er mir alles, was ich auf der Welt hatte; meine Frau kränkte sich zu todt und ich lebe in Elend, Hunger und Kummer; meinen seligen Bruder hier im Haus hat er auf eben die Weise aufgefressen."
Ja, das ist wahr! sagten die drei Kinder und weinten.
Stilling hörte diese Geschichte mit Entsetzen; er sagte: das ist wohl einer von den abscheulichsten Menschen unter der Sonne, dem wird's in jener Welt sauer eingetränkt werden.
Ja, sagte der alte Brauer, darauf lassen's solche Leute ankommen.
Nach dem Essen ging Stilling an ein Clavier, das an der Wand stand, spielte und sang dazu: Wer nur den lie- ben Gott läßt walten. Der Alte faltete die Hände und sang aus vollem Halse mit, so daß ihm die Thränen über die Wangen herab rollten, deßgleichen thaten auch die drei jungen Leute.
Nun bezahlte Stilling, was er verzehrt hatte, gab einem jeden die Hand und nahm Abschied. Alle waren vertraulich mit ihm und begleiteten ihn vor die Hausthüre, wo sie ihm noch einmal alle Viere die Hand gaben und ihn dem Schutz Gottes empfahlen.
Er wanderte also wiederum die Schönenthaler Landstraße fort
nem braven Bruder endlich auch, er fand ihn und brachte ihn mit Freuden in Sicherheit; das kraͤnkte nun die gute Schwaͤ- gerin, daß ſie die Auszehrung bekam und zu großer Freude meines Bruders ſtarb.“
„Er hielt ehrlich die Trauerzeit aus, ſuchte ſich aber unter der Hand eine junge, die ungefaͤhr ſo ſchwer ſeyn mochte, als er ganz unſchuldiger Weiſe geworden war; dieſe nahm er und nun fing er an, mit ſeinem Geld zu wuchern, und zwar auf meine Unkoſten; denn er handelte mit wollen Tuch, und ſo ſtach er mir alle meine Handlungsfreunde ab, indem er immer die Waaren wohlfeiler umſchlug, als ich. Hieruͤber fing ich an, zuruͤckzugehen, und meine Sachen verſchlimmerten ſich von Tag zu Tag. Dieſes ſah er wohl, er fing an, freundlich ge- gen mich zu ſeyn, und verſprach mir Geld vorzuſchießen, ſo viel ich noͤthig haben wuͤrde; ich war ſo thoͤricht, ihm zu glan- ben; als es ihm Zeit daͤuchte, nahm er mir alles, was ich auf der Welt hatte; meine Frau kraͤnkte ſich zu todt und ich lebe in Elend, Hunger und Kummer; meinen ſeligen Bruder hier im Haus hat er auf eben die Weiſe aufgefreſſen.“
Ja, das iſt wahr! ſagten die drei Kinder und weinten.
Stilling hoͤrte dieſe Geſchichte mit Entſetzen; er ſagte: das iſt wohl einer von den abſcheulichſten Menſchen unter der Sonne, dem wird’s in jener Welt ſauer eingetraͤnkt werden.
Ja, ſagte der alte Brauer, darauf laſſen’s ſolche Leute ankommen.
Nach dem Eſſen ging Stilling an ein Clavier, das an der Wand ſtand, ſpielte und ſang dazu: Wer nur den lie- ben Gott laͤßt walten. Der Alte faltete die Haͤnde und ſang aus vollem Halſe mit, ſo daß ihm die Thraͤnen uͤber die Wangen herab rollten, deßgleichen thaten auch die drei jungen Leute.
Nun bezahlte Stilling, was er verzehrt hatte, gab einem jeden die Hand und nahm Abſchied. Alle waren vertraulich mit ihm und begleiteten ihn vor die Hausthuͤre, wo ſie ihm noch einmal alle Viere die Hand gaben und ihn dem Schutz Gottes empfahlen.
Er wanderte alſo wiederum die Schoͤnenthaler Landſtraße fort
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nem braven Bruder endlich auch, er fand ihn und brachte ihn
mit Freuden in Sicherheit; das kraͤnkte nun die gute Schwaͤ-
gerin, daß ſie die Auszehrung bekam und zu großer Freude
meines Bruders ſtarb.“
„Er hielt ehrlich die Trauerzeit aus, ſuchte ſich aber unter
der Hand eine junge, die ungefaͤhr ſo ſchwer ſeyn mochte, als
er ganz unſchuldiger Weiſe geworden war; dieſe nahm er und
nun fing er an, mit ſeinem Geld zu wuchern, und zwar auf
meine Unkoſten; denn er handelte mit wollen Tuch, und ſo
ſtach er mir alle meine Handlungsfreunde ab, indem er immer
die Waaren wohlfeiler umſchlug, als ich. Hieruͤber fing ich
an, zuruͤckzugehen, und meine Sachen verſchlimmerten ſich von
Tag zu Tag. Dieſes ſah er wohl, er fing an, freundlich ge-
gen mich zu ſeyn, und verſprach mir Geld vorzuſchießen, ſo
viel ich noͤthig haben wuͤrde; ich war ſo thoͤricht, ihm zu glan-
ben; als es ihm Zeit daͤuchte, nahm er mir alles, was ich auf
der Welt hatte; meine Frau kraͤnkte ſich zu todt und ich lebe
in Elend, Hunger und Kummer; meinen ſeligen Bruder hier
im Haus hat er auf eben die Weiſe aufgefreſſen.“
Ja, das iſt wahr! ſagten die drei Kinder und weinten.
Stilling hoͤrte dieſe Geſchichte mit Entſetzen; er ſagte:
das iſt wohl einer von den abſcheulichſten Menſchen unter der
Sonne, dem wird’s in jener Welt ſauer eingetraͤnkt werden.
Ja, ſagte der alte Brauer, darauf laſſen’s ſolche Leute
ankommen.
Nach dem Eſſen ging Stilling an ein Clavier, das an
der Wand ſtand, ſpielte und ſang dazu: Wer nur den lie-
ben Gott laͤßt walten. Der Alte faltete die Haͤnde und
ſang aus vollem Halſe mit, ſo daß ihm die Thraͤnen uͤber die
Wangen herab rollten, deßgleichen thaten auch die drei jungen
Leute.
Nun bezahlte Stilling, was er verzehrt hatte, gab einem
jeden die Hand und nahm Abſchied. Alle waren vertraulich
mit ihm und begleiteten ihn vor die Hausthuͤre, wo ſie ihm
noch einmal alle Viere die Hand gaben und ihn dem Schutz
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Er wanderte alſo wiederum die Schoͤnenthaler Landſtraße fort
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/213>, abgerufen am 27.11.2024.
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