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Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

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kraut, ein Stück Speck dabei und darauf ein paar gebackene
Eier. Er ließ sichs gut schmecken und legte sich aufs Stroh,
das man ihm in der Stube bereitet hatte. Er schlief vor Mit-
ternacht, mehrentheils aus Angst, nicht viel. Der Wirth und
seine Frau schliefen auch in der Stube in einem Alkoven. Ge-
gen zwölf Uhr hörte er die Frau zum Manne sagen: Arnold,
schläfst du? Nein, antwortete er, ich schlafe nicht. Stilling
horchte, holte aber mit Fleiß stark Odem, damit sie glauben
sollten, er schliefe fest.

Was mag das wohl für ein Mensch seyn? sagte die Frau.
Arnold erwiederte: "Das mag Gott wissen! ich habe den
ganzen Abend nachgedacht, er sprach nicht viel; sollte es auch
wohl eine rechte Sache mit dem Menschen seyn?"

Denk doch nicht gleich was Arges von den Leuten! versetzte
Trine, er sieht so ehrlich aus, wer weiß, was er all für Un-
glück schon erlebt hat! gewiß er dauert mich; sobald als er
zur Thür hereintrat, kam er mir so traurig vor, unser Herr
Gott woll' ihm doch als beistehn; ich kann sehen, daß er et-
was auf dem Herzen hat.

"Du hast recht, Trine! antwortete Arnold, Gott verzeih
mir meinen Argwohn! ich dachte just an den Schulmeister
aus dem Salen'schen Land, der vor ein paar Jahren hier
schlief, der war just so gekleidet, und wir hörten hernach, daß
er ein Geldmünzer gewesen."

Arnold! sagte Trine, du kannst auch die Leute gar nicht
aus dem Gesicht kennen; Jener sah so schwarz und so finster
aus den Augen und durfte einen nicht ansehen, Dieser aber
sieht so freundlich und so gut aus, er hat wahrlich ein gut
Gewissen!

"Ja, ja! schloß Arnold, wir wollen ihn unserem Herr
Gott befehlen, der soll ihm wohl helfen, wenn er fromm ist."

Nun schliefen die guten Leute wieder; Stilling wurde
aber so vergnügt auf seinem Stroh, er fühlte den Stilling'-
schen Geist um sich wehen und schlief so sanft bis an den Mor-
gen, als wenn er in Eiderdunen gelegen hätte. Sobald er
erwachte, war schon sein Wirth und seine Wirthin am Anklei-
den; er sah sie Beide lächelnd an und wünschte ihnen einen

kraut, ein Stuͤck Speck dabei und darauf ein paar gebackene
Eier. Er ließ ſichs gut ſchmecken und legte ſich aufs Stroh,
das man ihm in der Stube bereitet hatte. Er ſchlief vor Mit-
ternacht, mehrentheils aus Angſt, nicht viel. Der Wirth und
ſeine Frau ſchliefen auch in der Stube in einem Alkoven. Ge-
gen zwoͤlf Uhr hoͤrte er die Frau zum Manne ſagen: Arnold,
ſchlaͤfſt du? Nein, antwortete er, ich ſchlafe nicht. Stilling
horchte, holte aber mit Fleiß ſtark Odem, damit ſie glauben
ſollten, er ſchliefe feſt.

Was mag das wohl fuͤr ein Menſch ſeyn? ſagte die Frau.
Arnold erwiederte: „Das mag Gott wiſſen! ich habe den
ganzen Abend nachgedacht, er ſprach nicht viel; ſollte es auch
wohl eine rechte Sache mit dem Menſchen ſeyn?“

Denk doch nicht gleich was Arges von den Leuten! verſetzte
Trine, er ſieht ſo ehrlich aus, wer weiß, was er all fuͤr Un-
gluͤck ſchon erlebt hat! gewiß er dauert mich; ſobald als er
zur Thuͤr hereintrat, kam er mir ſo traurig vor, unſer Herr
Gott woll’ ihm doch als beiſtehn; ich kann ſehen, daß er et-
was auf dem Herzen hat.

„Du haſt recht, Trine! antwortete Arnold, Gott verzeih
mir meinen Argwohn! ich dachte juſt an den Schulmeiſter
aus dem Salen’ſchen Land, der vor ein paar Jahren hier
ſchlief, der war juſt ſo gekleidet, und wir hoͤrten hernach, daß
er ein Geldmuͤnzer geweſen.“

Arnold! ſagte Trine, du kannſt auch die Leute gar nicht
aus dem Geſicht kennen; Jener ſah ſo ſchwarz und ſo finſter
aus den Augen und durfte einen nicht anſehen, Dieſer aber
ſieht ſo freundlich und ſo gut aus, er hat wahrlich ein gut
Gewiſſen!

„Ja, ja! ſchloß Arnold, wir wollen ihn unſerem Herr
Gott befehlen, der ſoll ihm wohl helfen, wenn er fromm iſt.“

Nun ſchliefen die guten Leute wieder; Stilling wurde
aber ſo vergnuͤgt auf ſeinem Stroh, er fuͤhlte den Stilling’-
ſchen Geiſt um ſich wehen und ſchlief ſo ſanft bis an den Mor-
gen, als wenn er in Eiderdunen gelegen haͤtte. Sobald er
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den; er ſah ſie Beide laͤchelnd an und wuͤnſchte ihnen einen

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[202/0210] kraut, ein Stuͤck Speck dabei und darauf ein paar gebackene Eier. Er ließ ſichs gut ſchmecken und legte ſich aufs Stroh, das man ihm in der Stube bereitet hatte. Er ſchlief vor Mit- ternacht, mehrentheils aus Angſt, nicht viel. Der Wirth und ſeine Frau ſchliefen auch in der Stube in einem Alkoven. Ge- gen zwoͤlf Uhr hoͤrte er die Frau zum Manne ſagen: Arnold, ſchlaͤfſt du? Nein, antwortete er, ich ſchlafe nicht. Stilling horchte, holte aber mit Fleiß ſtark Odem, damit ſie glauben ſollten, er ſchliefe feſt. Was mag das wohl fuͤr ein Menſch ſeyn? ſagte die Frau. Arnold erwiederte: „Das mag Gott wiſſen! ich habe den ganzen Abend nachgedacht, er ſprach nicht viel; ſollte es auch wohl eine rechte Sache mit dem Menſchen ſeyn?“ Denk doch nicht gleich was Arges von den Leuten! verſetzte Trine, er ſieht ſo ehrlich aus, wer weiß, was er all fuͤr Un- gluͤck ſchon erlebt hat! gewiß er dauert mich; ſobald als er zur Thuͤr hereintrat, kam er mir ſo traurig vor, unſer Herr Gott woll’ ihm doch als beiſtehn; ich kann ſehen, daß er et- was auf dem Herzen hat. „Du haſt recht, Trine! antwortete Arnold, Gott verzeih mir meinen Argwohn! ich dachte juſt an den Schulmeiſter aus dem Salen’ſchen Land, der vor ein paar Jahren hier ſchlief, der war juſt ſo gekleidet, und wir hoͤrten hernach, daß er ein Geldmuͤnzer geweſen.“ Arnold! ſagte Trine, du kannſt auch die Leute gar nicht aus dem Geſicht kennen; Jener ſah ſo ſchwarz und ſo finſter aus den Augen und durfte einen nicht anſehen, Dieſer aber ſieht ſo freundlich und ſo gut aus, er hat wahrlich ein gut Gewiſſen! „Ja, ja! ſchloß Arnold, wir wollen ihn unſerem Herr Gott befehlen, der ſoll ihm wohl helfen, wenn er fromm iſt.“ Nun ſchliefen die guten Leute wieder; Stilling wurde aber ſo vergnuͤgt auf ſeinem Stroh, er fuͤhlte den Stilling’- ſchen Geiſt um ſich wehen und ſchlief ſo ſanft bis an den Mor- gen, als wenn er in Eiderdunen gelegen haͤtte. Sobald er erwachte, war ſchon ſein Wirth und ſeine Wirthin am Anklei- den; er ſah ſie Beide laͤchelnd an und wuͤnſchte ihnen einen

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Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/210>, abgerufen am 27.11.2024.