Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

Präsident winkte ihm, seinen Vortrag zu thun. Hierauf fing
der Schulmeister an: "Herr Inspektor! ich sehe, daß man
"mir mein Amt schwer zu machen sucht, ich begehre also aus
"Liebe zum Frieden meinen ehrlichen Abschied." Der Inspek-
tor sah ihn heiterlächelnd an und sagte:

"Brav! Schoolmaister! den sollt'r habä, und ain Attest
"derzu, das unverglaichlich is."

Nein, Herr Inspektor! kein Attest. Tief in meiner Seele
ist ein Attest und Ehrenrettung geschrieben, das kein Tod und
kein Feuer des jüngsten Tags auslöschen wird; und das wird
dereinst meinen Verfolgern ins Gesicht blitzen, daß sie erblin-
den möchten. Dieses sagte Stilling mit glühenden Wan-
gen und funkelnden Augen.

Der Präsident lächelte ihn an und winkte ihm mit den
Augen. Der Inspektor aber that, als hörte ers nicht, son-
dern las eine Schrift oder Protokoll durch.

Nun sagte der Präsident lächelnd zum Inspektor: Verur-
theilen gehört für Sie, aber für mich die Execution. Schreibt,
Sekretär:

"Heut erschien der Schulmeister Stilling zu Kleefeld
"und begehrte aus Liebe zum Frieden seinen ehrlichen Ab-
"schied, der ihm dann auch um dieser Ursache willen zuge-
"standen worden, doch mit dem Beding, daß er gehalten seyn
"soll, im Fall er wiederum berufen werden sollte, oder man
"ihn sonsten zu Geschäften brauchen wollte, seine herrlichen
"Talente zum Besten des Vaterlandes zu verwenden."

Arächt! sagte der Inspektor: No Schoolmaister, damit
'r doch wißt, daß wer Rächt hättä, aich Verweise z' gäbä,
so sag' ich aich: 'r habt das heiligä Nachtmahl prostituirt.
Wie r' am lätztä gegangen sayd, habt'r nach dem K'nuß
höhnisch k'lacht.

Stilling sah ihm ins Gesicht und sagte: Ob ich gelacht
habe, weiß ich nicht, das weiß ich aber wohl, daß ich nicht
höhnisch gelacht habe.

"Man soll auch bai solch ainer heiligä Handlungen nit
"lachä."

Stilling antwortete: der Mensch sieht, was vor Augen

Praͤſident winkte ihm, ſeinen Vortrag zu thun. Hierauf fing
der Schulmeiſter an: „Herr Inſpektor! ich ſehe, daß man
„mir mein Amt ſchwer zu machen ſucht, ich begehre alſo aus
„Liebe zum Frieden meinen ehrlichen Abſchied.“ Der Inſpek-
tor ſah ihn heiterlaͤchelnd an und ſagte:

„Brav! Schoolmaiſter! den ſollt’r habaͤ, und ain Atteſt
„derzu, das unverglaichlich is.“

Nein, Herr Inſpektor! kein Atteſt. Tief in meiner Seele
iſt ein Atteſt und Ehrenrettung geſchrieben, das kein Tod und
kein Feuer des juͤngſten Tags ausloͤſchen wird; und das wird
dereinſt meinen Verfolgern ins Geſicht blitzen, daß ſie erblin-
den moͤchten. Dieſes ſagte Stilling mit gluͤhenden Wan-
gen und funkelnden Augen.

Der Praͤſident laͤchelte ihn an und winkte ihm mit den
Augen. Der Inſpektor aber that, als hoͤrte ers nicht, ſon-
dern las eine Schrift oder Protokoll durch.

Nun ſagte der Praͤſident laͤchelnd zum Inſpektor: Verur-
theilen gehoͤrt fuͤr Sie, aber fuͤr mich die Execution. Schreibt,
Sekretaͤr:

„Heut erſchien der Schulmeiſter Stilling zu Kleefeld
„und begehrte aus Liebe zum Frieden ſeinen ehrlichen Ab-
„ſchied, der ihm dann auch um dieſer Urſache willen zuge-
„ſtanden worden, doch mit dem Beding, daß er gehalten ſeyn
„ſoll, im Fall er wiederum berufen werden ſollte, oder man
„ihn ſonſten zu Geſchaͤften brauchen wollte, ſeine herrlichen
„Talente zum Beſten des Vaterlandes zu verwenden.“

Araͤcht! ſagte der Inſpektor: No Schoolmaiſter, damit
’r doch wißt, daß wer Raͤcht haͤttaͤ, aich Verweiſe z’ gaͤbaͤ,
ſo ſag’ ich aich: ’r habt das heiligaͤ Nachtmahl proſtituirt.
Wie r’ am laͤtztaͤ gegangen ſayd, habt’r nach dem K’nuß
hoͤhniſch k’lacht.

Stilling ſah ihm ins Geſicht und ſagte: Ob ich gelacht
habe, weiß ich nicht, das weiß ich aber wohl, daß ich nicht
hoͤhniſch gelacht habe.

„Man ſoll auch bai ſolch ainer heiligaͤ Handlungen nit
„lachaͤ.“

Stilling antwortete: der Menſch ſieht, was vor Augen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0173" n="165"/>
Pra&#x0364;&#x017F;ident winkte ihm, &#x017F;einen Vortrag zu thun. Hierauf fing<lb/>
der Schulmei&#x017F;ter an: &#x201E;Herr In&#x017F;pektor! ich &#x017F;ehe, daß man<lb/>
&#x201E;mir mein Amt &#x017F;chwer zu machen &#x017F;ucht, ich begehre al&#x017F;o aus<lb/>
&#x201E;Liebe zum Frieden meinen ehrlichen Ab&#x017F;chied.&#x201C; Der In&#x017F;pek-<lb/>
tor &#x017F;ah ihn heiterla&#x0364;chelnd an und &#x017F;agte:</p><lb/>
            <p>&#x201E;Brav! Schoolmai&#x017F;ter! den &#x017F;ollt&#x2019;r haba&#x0364;, und ain Atte&#x017F;t<lb/>
&#x201E;derzu, das unverglaichlich is.&#x201C;</p><lb/>
            <p>Nein, Herr In&#x017F;pektor! kein Atte&#x017F;t. Tief in meiner Seele<lb/>
i&#x017F;t ein Atte&#x017F;t und Ehrenrettung ge&#x017F;chrieben, das kein Tod und<lb/>
kein Feuer des ju&#x0364;ng&#x017F;ten Tags auslo&#x0364;&#x017F;chen wird; und das wird<lb/>
derein&#x017F;t meinen Verfolgern ins Ge&#x017F;icht blitzen, daß &#x017F;ie erblin-<lb/>
den mo&#x0364;chten. Die&#x017F;es &#x017F;agte <hi rendition="#g">Stilling</hi> mit glu&#x0364;henden Wan-<lb/>
gen und funkelnden Augen.</p><lb/>
            <p>Der Pra&#x0364;&#x017F;ident la&#x0364;chelte ihn an und winkte ihm mit den<lb/>
Augen. Der In&#x017F;pektor aber that, als ho&#x0364;rte ers nicht, &#x017F;on-<lb/>
dern las eine Schrift oder Protokoll durch.</p><lb/>
            <p>Nun &#x017F;agte der Pra&#x0364;&#x017F;ident la&#x0364;chelnd zum In&#x017F;pektor: Verur-<lb/>
theilen geho&#x0364;rt fu&#x0364;r Sie, aber fu&#x0364;r mich die Execution. Schreibt,<lb/>
Sekreta&#x0364;r:</p><lb/>
            <p>&#x201E;Heut er&#x017F;chien der Schulmei&#x017F;ter <hi rendition="#g">Stilling</hi> zu <hi rendition="#g">Kleefeld</hi><lb/>
&#x201E;und begehrte aus Liebe zum Frieden &#x017F;einen ehrlichen Ab-<lb/>
&#x201E;&#x017F;chied, der ihm dann auch um die&#x017F;er Ur&#x017F;ache willen zuge-<lb/>
&#x201E;&#x017F;tanden worden, doch mit dem Beding, daß er gehalten &#x017F;eyn<lb/>
&#x201E;&#x017F;oll, im Fall er wiederum berufen werden &#x017F;ollte, oder man<lb/>
&#x201E;ihn &#x017F;on&#x017F;ten zu Ge&#x017F;cha&#x0364;ften brauchen wollte, &#x017F;eine herrlichen<lb/>
&#x201E;Talente zum Be&#x017F;ten des Vaterlandes zu verwenden.&#x201C;</p><lb/>
            <p>Ara&#x0364;cht! &#x017F;agte der In&#x017F;pektor: No Schoolmai&#x017F;ter, damit<lb/>
&#x2019;r doch wißt, daß wer Ra&#x0364;cht ha&#x0364;tta&#x0364;, aich Verwei&#x017F;e z&#x2019; ga&#x0364;ba&#x0364;,<lb/>
&#x017F;o &#x017F;ag&#x2019; ich aich: &#x2019;r habt das heiliga&#x0364; Nachtmahl pro&#x017F;tituirt.<lb/>
Wie r&#x2019; am la&#x0364;tzta&#x0364; gegangen &#x017F;ayd, habt&#x2019;r nach dem K&#x2019;nuß<lb/>
ho&#x0364;hni&#x017F;ch k&#x2019;lacht.</p><lb/>
            <p><hi rendition="#g">Stilling</hi> &#x017F;ah ihm ins Ge&#x017F;icht und &#x017F;agte: Ob ich gelacht<lb/>
habe, weiß ich nicht, das weiß ich aber wohl, daß ich nicht<lb/>
ho&#x0364;hni&#x017F;ch gelacht habe.</p><lb/>
            <p>&#x201E;Man &#x017F;oll auch bai &#x017F;olch ainer heiliga&#x0364; Handlungen nit<lb/>
&#x201E;lacha&#x0364;.&#x201C;</p><lb/>
            <p><hi rendition="#g">Stilling</hi> antwortete: der Men&#x017F;ch &#x017F;ieht, was vor Augen<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[165/0173] Praͤſident winkte ihm, ſeinen Vortrag zu thun. Hierauf fing der Schulmeiſter an: „Herr Inſpektor! ich ſehe, daß man „mir mein Amt ſchwer zu machen ſucht, ich begehre alſo aus „Liebe zum Frieden meinen ehrlichen Abſchied.“ Der Inſpek- tor ſah ihn heiterlaͤchelnd an und ſagte: „Brav! Schoolmaiſter! den ſollt’r habaͤ, und ain Atteſt „derzu, das unverglaichlich is.“ Nein, Herr Inſpektor! kein Atteſt. Tief in meiner Seele iſt ein Atteſt und Ehrenrettung geſchrieben, das kein Tod und kein Feuer des juͤngſten Tags ausloͤſchen wird; und das wird dereinſt meinen Verfolgern ins Geſicht blitzen, daß ſie erblin- den moͤchten. Dieſes ſagte Stilling mit gluͤhenden Wan- gen und funkelnden Augen. Der Praͤſident laͤchelte ihn an und winkte ihm mit den Augen. Der Inſpektor aber that, als hoͤrte ers nicht, ſon- dern las eine Schrift oder Protokoll durch. Nun ſagte der Praͤſident laͤchelnd zum Inſpektor: Verur- theilen gehoͤrt fuͤr Sie, aber fuͤr mich die Execution. Schreibt, Sekretaͤr: „Heut erſchien der Schulmeiſter Stilling zu Kleefeld „und begehrte aus Liebe zum Frieden ſeinen ehrlichen Ab- „ſchied, der ihm dann auch um dieſer Urſache willen zuge- „ſtanden worden, doch mit dem Beding, daß er gehalten ſeyn „ſoll, im Fall er wiederum berufen werden ſollte, oder man „ihn ſonſten zu Geſchaͤften brauchen wollte, ſeine herrlichen „Talente zum Beſten des Vaterlandes zu verwenden.“ Araͤcht! ſagte der Inſpektor: No Schoolmaiſter, damit ’r doch wißt, daß wer Raͤcht haͤttaͤ, aich Verweiſe z’ gaͤbaͤ, ſo ſag’ ich aich: ’r habt das heiligaͤ Nachtmahl proſtituirt. Wie r’ am laͤtztaͤ gegangen ſayd, habt’r nach dem K’nuß hoͤhniſch k’lacht. Stilling ſah ihm ins Geſicht und ſagte: Ob ich gelacht habe, weiß ich nicht, das weiß ich aber wohl, daß ich nicht hoͤhniſch gelacht habe. „Man ſoll auch bai ſolch ainer heiligaͤ Handlungen nit „lachaͤ.“ Stilling antwortete: der Menſch ſieht, was vor Augen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/173
Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/173>, abgerufen am 24.11.2024.