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Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

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er nahm's wieder zurück, trat näher und sagte: was hab'
ich gethan? Gott ist mein Zeuge, ich bin unschuldig! Der
Inspektor lachte höhnisch und erwiederte:

"Als wenn 'r nit wützt, was 'r selbstan begangä hat!
"fragt air K'wissä!"

Herr Inspektor! mein Gewissen spricht mich frei und der,
der da recht richtet, auch; was hier geschehen wird, weiß
ich nicht.

"Schwaigt, 'r Gottloser! -- sagt mer, Kirchäältester, was
"ist eure Klage?"

Herr Oberhofprediger! wir habens heut vierzehn Tage pro-
tocolliren lassen.

"Arächt's is wahr!"

Und dieses Protokoll, sagte Stilling, muß ich haben!

"Was wollt'r? Nain! sollt's nie habä!"

C'est contre l'ordre du prince! versetzte der Präsident
und ging fort.

Der Inspektor diktirte nun und sagte: "Schraibt, Sekre-
"tär! Hait erschienä N. N. Kirchäältester von Kleefeld und
"N. N. Ainwahner daselbst, cantra ihren Schoolmaister
"Stilling. Kläger beziehä sich of variges Protocoll. Der
"Schoolmaister begehrte extractum Protocolli, wir'm aber
"aus giltigä Ohrsachä abk'schlagä."

Nun krachte der Inspektor noch ein paarmal auf den Ab-
sätzen, stemmte die Hände in die Seiten und sprach:

"Könnt nu nacher Haus geh!" Sie gingen alle Drei fort.

Gott weiß es, daß die Erzählung wahr und wirklich so
passirt ist. Schande wär's für mich, der protestantischen
Kirche einen solchen Theologen anzudichten. Schande für
mich, wenn Meinhold noch eine gute Seite gehabt hätte.
-- Aber! -- Ein jeder junge Theologe spiegle sich doch an
diesem Exempel und denke: Wer da will unter euch der
Größte seyn, der sey der Geringste
!

Stilling war ganz betäubt, er begriff von allem, was
er gehört hatte, nicht ein Wort. Die ganze Scene war ihm
wie ein Traum, er kam nach Kleefeld, ohne zu wissen wie.
Sobald er da anlangte, ging er in die Kapelle und zog die

Stillings sämmtl. Schriften. I. Band. 11

er nahm’s wieder zuruͤck, trat naͤher und ſagte: was hab’
ich gethan? Gott iſt mein Zeuge, ich bin unſchuldig! Der
Inſpektor lachte hoͤhniſch und erwiederte:

„Als wenn ’r nit wuͤtzt, was ’r ſelbſtan begangaͤ hat!
„fragt air K’wiſſaͤ!“

Herr Inſpektor! mein Gewiſſen ſpricht mich frei und der,
der da recht richtet, auch; was hier geſchehen wird, weiß
ich nicht.

„Schwaigt, ’r Gottloſer! — ſagt mer, Kirchaͤaͤlteſter, was
„iſt eure Klage?“

Herr Oberhofprediger! wir habens heut vierzehn Tage pro-
tocolliren laſſen.

„Araͤcht’s is wahr!“

Und dieſes Protokoll, ſagte Stilling, muß ich haben!

„Was wollt’r? Nain! ſollt’s nie habaͤ!“

C’est contre l’ordre du prince! verſetzte der Praͤſident
und ging fort.

Der Inſpektor diktirte nun und ſagte: „Schraibt, Sekre-
„taͤr! Hait erſchienaͤ N. N. Kirchaͤaͤlteſter von Kleefeld und
N. N. Ainwahner daſelbſt, cantra ihren Schoolmaiſter
Stilling. Klaͤger beziehaͤ ſich of variges Protocoll. Der
„Schoolmaiſter begehrte extractum Protocolli, wir’m aber
„aus giltigaͤ Ohrſachaͤ abk’ſchlagaͤ.“

Nun krachte der Inſpektor noch ein paarmal auf den Ab-
ſaͤtzen, ſtemmte die Haͤnde in die Seiten und ſprach:

„Koͤnnt nu nacher Haus geh!“ Sie gingen alle Drei fort.

Gott weiß es, daß die Erzaͤhlung wahr und wirklich ſo
paſſirt iſt. Schande waͤr’s fuͤr mich, der proteſtantiſchen
Kirche einen ſolchen Theologen anzudichten. Schande fuͤr
mich, wenn Meinhold noch eine gute Seite gehabt haͤtte.
— Aber! — Ein jeder junge Theologe ſpiegle ſich doch an
dieſem Exempel und denke: Wer da will unter euch der
Groͤßte ſeyn, der ſey der Geringſte
!

Stilling war ganz betaͤubt, er begriff von allem, was
er gehoͤrt hatte, nicht ein Wort. Die ganze Scene war ihm
wie ein Traum, er kam nach Kleefeld, ohne zu wiſſen wie.
Sobald er da anlangte, ging er in die Kapelle und zog die

Stillings ſämmtl. Schriften. I. Band. 11
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[161/0169] er nahm’s wieder zuruͤck, trat naͤher und ſagte: was hab’ ich gethan? Gott iſt mein Zeuge, ich bin unſchuldig! Der Inſpektor lachte hoͤhniſch und erwiederte: „Als wenn ’r nit wuͤtzt, was ’r ſelbſtan begangaͤ hat! „fragt air K’wiſſaͤ!“ Herr Inſpektor! mein Gewiſſen ſpricht mich frei und der, der da recht richtet, auch; was hier geſchehen wird, weiß ich nicht. „Schwaigt, ’r Gottloſer! — ſagt mer, Kirchaͤaͤlteſter, was „iſt eure Klage?“ Herr Oberhofprediger! wir habens heut vierzehn Tage pro- tocolliren laſſen. „Araͤcht’s is wahr!“ Und dieſes Protokoll, ſagte Stilling, muß ich haben! „Was wollt’r? Nain! ſollt’s nie habaͤ!“ C’est contre l’ordre du prince! verſetzte der Praͤſident und ging fort. Der Inſpektor diktirte nun und ſagte: „Schraibt, Sekre- „taͤr! Hait erſchienaͤ N. N. Kirchaͤaͤlteſter von Kleefeld und „N. N. Ainwahner daſelbſt, cantra ihren Schoolmaiſter „Stilling. Klaͤger beziehaͤ ſich of variges Protocoll. Der „Schoolmaiſter begehrte extractum Protocolli, wir’m aber „aus giltigaͤ Ohrſachaͤ abk’ſchlagaͤ.“ Nun krachte der Inſpektor noch ein paarmal auf den Ab- ſaͤtzen, ſtemmte die Haͤnde in die Seiten und ſprach: „Koͤnnt nu nacher Haus geh!“ Sie gingen alle Drei fort. Gott weiß es, daß die Erzaͤhlung wahr und wirklich ſo paſſirt iſt. Schande waͤr’s fuͤr mich, der proteſtantiſchen Kirche einen ſolchen Theologen anzudichten. Schande fuͤr mich, wenn Meinhold noch eine gute Seite gehabt haͤtte. — Aber! — Ein jeder junge Theologe ſpiegle ſich doch an dieſem Exempel und denke: Wer da will unter euch der Groͤßte ſeyn, der ſey der Geringſte! Stilling war ganz betaͤubt, er begriff von allem, was er gehoͤrt hatte, nicht ein Wort. Die ganze Scene war ihm wie ein Traum, er kam nach Kleefeld, ohne zu wiſſen wie. Sobald er da anlangte, ging er in die Kapelle und zog die Stillings ſämmtl. Schriften. I. Band. 11

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Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/169>, abgerufen am 18.05.2024.