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Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

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ein Mann von einem vortrefflichen Charakter, voll Feuer und
Leben. Auf der andern Seite des Tisches saß der Inspektor
Meinhold, ein dicker Mann mit einem vollen länglichten
Gesicht; das große Unterkinn ruhte sehr majestätisch auf dem
feinen, wohlgeglätteten und gesteiften Kragen, damit er nicht
so leicht wund werden möchte; er hatte eine vortreffliche weiße
und schöne Perücke auf dem Haupt, und ein seidener schwar-
zer Mantel hing seinen Rücken herunter; er hatte hohe Augen-
braunen, und wenn er Jemand ansah, so zog er die untern
Augenlider hoch in die Höhe, so daß er beständig blinzelte.
Die Absätze an seinen Schuhen krachten, wenn er darauf trat,
und er hatte sich angewöhnt, er mochte stehen oder sitzen, im-
merfort wechselsweise auf die Absätze zu treten und sie krachen
zu lassen. So saßen die beiden Herren da, als die Partheien
hereintraten. Der Sekretarius aber saß hinter einem langen
Tisch und guckte über einen Haufen Papier hervor. Stil-
ling
stellte sich unten an den Tisch, die beiden Männer aber
standen gegenüber an der Wand.

Der Inspektor räusperte sich, drehte sich gegen die Män-
ner und sprach:

"Ist das air Schoolmaister?"

Ja, Herr Oberhofprediger!

"So! arächt! Ihr sayd also der Schoolmaister von
"Kleefeld?"

Ja! sagte Stilling.

"'r sayd mer ain schöner Kerl! wär't wärth, daß man aich
"aus dem Land paitschte!"

Sachte! sachte! redete der Präsident ein, audiatur et
altera pars!

"Herr Präsident! das k'hört ad forum ecclesiasticum.
"Sie habä da nichts z' sagä."

Der Präsident ergrimmte und schwieg. Der Inspektor sah
Stilling verächtlich an und sagte:

"Wie 'r da stäht, der schlechte Mensch!"

Die Männer lachten ihn höhnisch aus. Stilling konnte
das gar nicht ertragen, er hatte auf der Zunge, er wolle
sagen: wie Christus vor dem Hohenpriester! allein

ein Mann von einem vortrefflichen Charakter, voll Feuer und
Leben. Auf der andern Seite des Tiſches ſaß der Inſpektor
Meinhold, ein dicker Mann mit einem vollen laͤnglichten
Geſicht; das große Unterkinn ruhte ſehr majeſtaͤtiſch auf dem
feinen, wohlgeglaͤtteten und geſteiften Kragen, damit er nicht
ſo leicht wund werden moͤchte; er hatte eine vortreffliche weiße
und ſchoͤne Peruͤcke auf dem Haupt, und ein ſeidener ſchwar-
zer Mantel hing ſeinen Ruͤcken herunter; er hatte hohe Augen-
braunen, und wenn er Jemand anſah, ſo zog er die untern
Augenlider hoch in die Hoͤhe, ſo daß er beſtaͤndig blinzelte.
Die Abſaͤtze an ſeinen Schuhen krachten, wenn er darauf trat,
und er hatte ſich angewoͤhnt, er mochte ſtehen oder ſitzen, im-
merfort wechſelsweiſe auf die Abſaͤtze zu treten und ſie krachen
zu laſſen. So ſaßen die beiden Herren da, als die Partheien
hereintraten. Der Sekretarius aber ſaß hinter einem langen
Tiſch und guckte uͤber einen Haufen Papier hervor. Stil-
ling
ſtellte ſich unten an den Tiſch, die beiden Maͤnner aber
ſtanden gegenuͤber an der Wand.

Der Inſpektor raͤuſperte ſich, drehte ſich gegen die Maͤn-
ner und ſprach:

„Iſt das air Schoolmaiſter?“

Ja, Herr Oberhofprediger!

„So! araͤcht! Ihr ſayd alſo der Schoolmaiſter von
Kleefeld?“

Ja! ſagte Stilling.

„’r ſayd mer ain ſchoͤner Kerl! waͤr’t waͤrth, daß man aich
„aus dem Land paitſchte!“

Sachte! ſachte! redete der Praͤſident ein, audiatur et
altera pars!

„Herr Praͤſident! das k’hoͤrt ad forum ecclesiasticum.
„Sie habaͤ da nichts z’ ſagaͤ.“

Der Praͤſident ergrimmte und ſchwieg. Der Inſpektor ſah
Stilling veraͤchtlich an und ſagte:

„Wie ’r da ſtaͤht, der ſchlechte Menſch!“

Die Maͤnner lachten ihn hoͤhniſch aus. Stilling konnte
das gar nicht ertragen, er hatte auf der Zunge, er wolle
ſagen: wie Chriſtus vor dem Hohenprieſter! allein

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[160/0168] ein Mann von einem vortrefflichen Charakter, voll Feuer und Leben. Auf der andern Seite des Tiſches ſaß der Inſpektor Meinhold, ein dicker Mann mit einem vollen laͤnglichten Geſicht; das große Unterkinn ruhte ſehr majeſtaͤtiſch auf dem feinen, wohlgeglaͤtteten und geſteiften Kragen, damit er nicht ſo leicht wund werden moͤchte; er hatte eine vortreffliche weiße und ſchoͤne Peruͤcke auf dem Haupt, und ein ſeidener ſchwar- zer Mantel hing ſeinen Ruͤcken herunter; er hatte hohe Augen- braunen, und wenn er Jemand anſah, ſo zog er die untern Augenlider hoch in die Hoͤhe, ſo daß er beſtaͤndig blinzelte. Die Abſaͤtze an ſeinen Schuhen krachten, wenn er darauf trat, und er hatte ſich angewoͤhnt, er mochte ſtehen oder ſitzen, im- merfort wechſelsweiſe auf die Abſaͤtze zu treten und ſie krachen zu laſſen. So ſaßen die beiden Herren da, als die Partheien hereintraten. Der Sekretarius aber ſaß hinter einem langen Tiſch und guckte uͤber einen Haufen Papier hervor. Stil- ling ſtellte ſich unten an den Tiſch, die beiden Maͤnner aber ſtanden gegenuͤber an der Wand. Der Inſpektor raͤuſperte ſich, drehte ſich gegen die Maͤn- ner und ſprach: „Iſt das air Schoolmaiſter?“ Ja, Herr Oberhofprediger! „So! araͤcht! Ihr ſayd alſo der Schoolmaiſter von „Kleefeld?“ Ja! ſagte Stilling. „’r ſayd mer ain ſchoͤner Kerl! waͤr’t waͤrth, daß man aich „aus dem Land paitſchte!“ Sachte! ſachte! redete der Praͤſident ein, audiatur et altera pars! „Herr Praͤſident! das k’hoͤrt ad forum ecclesiasticum. „Sie habaͤ da nichts z’ ſagaͤ.“ Der Praͤſident ergrimmte und ſchwieg. Der Inſpektor ſah Stilling veraͤchtlich an und ſagte: „Wie ’r da ſtaͤht, der ſchlechte Menſch!“ Die Maͤnner lachten ihn hoͤhniſch aus. Stilling konnte das gar nicht ertragen, er hatte auf der Zunge, er wolle ſagen: wie Chriſtus vor dem Hohenprieſter! allein

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Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/168>, abgerufen am 28.11.2024.