Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

gemalten Buchstaben geschrieben: Coeli enerrant gloriam
Dei.
(Die Himmel erzählen die Ehre Gottes.) Vor dem
Fenster war ein runder Spiegel befestigt, über welchen eine
Kreuzlinie mit Oelfarbe gezogen war; dieser Spiegel strahlte
dann oben unter, und zeigte nicht allein die Stunden des Ta-
ges, sondern auch ganz genau den Stand der Sonne in dem
Thierkreis. Vielleicht steht diese Uhr noch da, und jeder Schul-
meister kann sie benützen und dabei wahrnehmen, was für ei-
nen Antecessor er ehemals gehabt habe.

Um diese Zeit hatte er im historischen Fache noch nichts ge-
lesen, als Kirchenhistorien, Martergeschichten, Lebensbeschrei-
bungen frommer Menschen, deßgleichen auch alte Kriegshi-
storien vom dreißigjährigen Krieg und dergleichen. Im Poeti-
schen fehlte es ihm noch, da war er noch immer nicht weiter
gekommen, als vom Eulenspiegel bis auf den Kaiser Octa-
vianus
, den Reinike Fuchs mit eingeschlossen. Alle diese
vortrefflichen Werke der alten Deutschen hatte er wohl hun-
dertmal gelesen und wieder Andern erzählt; er sehnte sich nun
nach Neuem. Den Homer rechnete er nicht zu dieser Lectüre,
es war ihm um vaterländische Dichter zu thun. Stilling
fand, was er suchte. Herr Pastor Goldmann hatte einen
Eidam, der ein Chirurgus und zugleich Apotheker war; die-
ser Mann hatte einen Vorrath von schönen poetischen Schrif-
ten, besonders von Romanen; er lehnte sie dem Schulmeister
gern, und das erste Buch, welches er mit nach Hause nahm,
war die Asiatische Banise.

Dieses Buch fing er an einem Sonntag Nachmittag an zu
lesen. Die Schreibart war ihm neu und fremd. Er glaubte
in ein fremdes Land gekommen zu seyn und eine neue Sprache
zu hören, aber sie entzückte und rührte ihn bis auf den Grund
seines Herzens; Blitz, Donner und Hagel, als die
rächenden Werkzeuge des gerechten Himmels
--
war ein Ausdruck für ihn, dessen Schönheit er nicht genug zu
rühmen wußte. Goldbedeckte Thürme -- welche herr-
liche Kürze! und so bewunderte er das ganze Buch durch,
die Menge von Metaphern, in welchen der Styl des Herrn
von Ziegler gleichsam schwamm. Ueber alles aber schien

gemalten Buchſtaben geſchrieben: Coeli enerrant gloriam
Dei.
(Die Himmel erzaͤhlen die Ehre Gottes.) Vor dem
Fenſter war ein runder Spiegel befeſtigt, uͤber welchen eine
Kreuzlinie mit Oelfarbe gezogen war; dieſer Spiegel ſtrahlte
dann oben unter, und zeigte nicht allein die Stunden des Ta-
ges, ſondern auch ganz genau den Stand der Sonne in dem
Thierkreis. Vielleicht ſteht dieſe Uhr noch da, und jeder Schul-
meiſter kann ſie benuͤtzen und dabei wahrnehmen, was fuͤr ei-
nen Anteceſſor er ehemals gehabt habe.

Um dieſe Zeit hatte er im hiſtoriſchen Fache noch nichts ge-
leſen, als Kirchenhiſtorien, Martergeſchichten, Lebensbeſchrei-
bungen frommer Menſchen, deßgleichen auch alte Kriegshi-
ſtorien vom dreißigjaͤhrigen Krieg und dergleichen. Im Poeti-
ſchen fehlte es ihm noch, da war er noch immer nicht weiter
gekommen, als vom Eulenſpiegel bis auf den Kaiſer Octa-
vianus
, den Reinike Fuchs mit eingeſchloſſen. Alle dieſe
vortrefflichen Werke der alten Deutſchen hatte er wohl hun-
dertmal geleſen und wieder Andern erzaͤhlt; er ſehnte ſich nun
nach Neuem. Den Homer rechnete er nicht zu dieſer Lectuͤre,
es war ihm um vaterlaͤndiſche Dichter zu thun. Stilling
fand, was er ſuchte. Herr Paſtor Goldmann hatte einen
Eidam, der ein Chirurgus und zugleich Apotheker war; die-
ſer Mann hatte einen Vorrath von ſchoͤnen poetiſchen Schrif-
ten, beſonders von Romanen; er lehnte ſie dem Schulmeiſter
gern, und das erſte Buch, welches er mit nach Hauſe nahm,
war die Aſiatiſche Baniſe.

Dieſes Buch fing er an einem Sonntag Nachmittag an zu
leſen. Die Schreibart war ihm neu und fremd. Er glaubte
in ein fremdes Land gekommen zu ſeyn und eine neue Sprache
zu hoͤren, aber ſie entzuͤckte und ruͤhrte ihn bis auf den Grund
ſeines Herzens; Blitz, Donner und Hagel, als die
raͤchenden Werkzeuge des gerechten Himmels

war ein Ausdruck fuͤr ihn, deſſen Schoͤnheit er nicht genug zu
ruͤhmen wußte. Goldbedeckte Thuͤrme — welche herr-
liche Kuͤrze! und ſo bewunderte er das ganze Buch durch,
die Menge von Metaphern, in welchen der Styl des Herrn
von Ziegler gleichſam ſchwamm. Ueber alles aber ſchien

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0147" n="139"/>
gemalten Buch&#x017F;taben ge&#x017F;chrieben: <hi rendition="#aq">Coeli enerrant gloriam<lb/>
Dei.</hi> (Die Himmel erza&#x0364;hlen die Ehre Gottes.) Vor dem<lb/>
Fen&#x017F;ter war ein runder Spiegel befe&#x017F;tigt, u&#x0364;ber welchen eine<lb/>
Kreuzlinie mit Oelfarbe gezogen war; die&#x017F;er Spiegel &#x017F;trahlte<lb/>
dann oben unter, und zeigte nicht allein die Stunden des Ta-<lb/>
ges, &#x017F;ondern auch ganz genau den Stand der Sonne in dem<lb/>
Thierkreis. Vielleicht &#x017F;teht die&#x017F;e Uhr noch da, und jeder Schul-<lb/>
mei&#x017F;ter kann &#x017F;ie benu&#x0364;tzen und dabei wahrnehmen, was fu&#x0364;r ei-<lb/>
nen Antece&#x017F;&#x017F;or er ehemals gehabt habe.</p><lb/>
            <p>Um die&#x017F;e Zeit hatte er im hi&#x017F;tori&#x017F;chen Fache noch nichts ge-<lb/>
le&#x017F;en, als Kirchenhi&#x017F;torien, Marterge&#x017F;chichten, Lebensbe&#x017F;chrei-<lb/>
bungen frommer Men&#x017F;chen, deßgleichen auch alte Kriegshi-<lb/>
&#x017F;torien vom dreißigja&#x0364;hrigen Krieg und dergleichen. Im Poeti-<lb/>
&#x017F;chen fehlte es ihm noch, da war er noch immer nicht weiter<lb/>
gekommen, als vom Eulen&#x017F;piegel bis auf den Kai&#x017F;er <hi rendition="#g">Octa-<lb/>
vianus</hi>, den Reinike Fuchs mit einge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en. Alle die&#x017F;e<lb/>
vortrefflichen Werke der alten Deut&#x017F;chen hatte er wohl hun-<lb/>
dertmal gele&#x017F;en und wieder Andern erza&#x0364;hlt; er &#x017F;ehnte &#x017F;ich nun<lb/>
nach Neuem. Den <hi rendition="#g">Homer</hi> rechnete er nicht zu die&#x017F;er Lectu&#x0364;re,<lb/>
es war ihm um vaterla&#x0364;ndi&#x017F;che Dichter zu thun. <hi rendition="#g">Stilling</hi><lb/>
fand, was er &#x017F;uchte. Herr Pa&#x017F;tor <hi rendition="#g">Goldmann</hi> hatte einen<lb/>
Eidam, der ein Chirurgus und zugleich Apotheker war; die-<lb/>
&#x017F;er Mann hatte einen Vorrath von &#x017F;cho&#x0364;nen poeti&#x017F;chen Schrif-<lb/>
ten, be&#x017F;onders von Romanen; er lehnte &#x017F;ie dem Schulmei&#x017F;ter<lb/>
gern, und das er&#x017F;te Buch, welches er mit nach Hau&#x017F;e nahm,<lb/>
war die <hi rendition="#g">A&#x017F;iati&#x017F;che Bani&#x017F;e</hi>.</p><lb/>
            <p>Die&#x017F;es Buch fing er an einem Sonntag Nachmittag an zu<lb/>
le&#x017F;en. Die Schreibart war ihm neu und fremd. Er glaubte<lb/>
in ein fremdes Land gekommen zu &#x017F;eyn und eine neue Sprache<lb/>
zu ho&#x0364;ren, aber &#x017F;ie entzu&#x0364;ckte und ru&#x0364;hrte ihn bis auf den Grund<lb/>
&#x017F;eines Herzens; <hi rendition="#g">Blitz, Donner und Hagel, als die<lb/>
ra&#x0364;chenden Werkzeuge des gerechten Himmels</hi> &#x2014;<lb/>
war ein Ausdruck fu&#x0364;r ihn, de&#x017F;&#x017F;en Scho&#x0364;nheit er nicht genug zu<lb/>
ru&#x0364;hmen wußte. <hi rendition="#g">Goldbedeckte Thu&#x0364;rme</hi> &#x2014; welche herr-<lb/>
liche Ku&#x0364;rze! und &#x017F;o bewunderte er das ganze Buch durch,<lb/>
die Menge von Metaphern, in welchen der Styl des Herrn<lb/><hi rendition="#g">von Ziegler</hi> gleich&#x017F;am &#x017F;chwamm. Ueber alles aber &#x017F;chien<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[139/0147] gemalten Buchſtaben geſchrieben: Coeli enerrant gloriam Dei. (Die Himmel erzaͤhlen die Ehre Gottes.) Vor dem Fenſter war ein runder Spiegel befeſtigt, uͤber welchen eine Kreuzlinie mit Oelfarbe gezogen war; dieſer Spiegel ſtrahlte dann oben unter, und zeigte nicht allein die Stunden des Ta- ges, ſondern auch ganz genau den Stand der Sonne in dem Thierkreis. Vielleicht ſteht dieſe Uhr noch da, und jeder Schul- meiſter kann ſie benuͤtzen und dabei wahrnehmen, was fuͤr ei- nen Anteceſſor er ehemals gehabt habe. Um dieſe Zeit hatte er im hiſtoriſchen Fache noch nichts ge- leſen, als Kirchenhiſtorien, Martergeſchichten, Lebensbeſchrei- bungen frommer Menſchen, deßgleichen auch alte Kriegshi- ſtorien vom dreißigjaͤhrigen Krieg und dergleichen. Im Poeti- ſchen fehlte es ihm noch, da war er noch immer nicht weiter gekommen, als vom Eulenſpiegel bis auf den Kaiſer Octa- vianus, den Reinike Fuchs mit eingeſchloſſen. Alle dieſe vortrefflichen Werke der alten Deutſchen hatte er wohl hun- dertmal geleſen und wieder Andern erzaͤhlt; er ſehnte ſich nun nach Neuem. Den Homer rechnete er nicht zu dieſer Lectuͤre, es war ihm um vaterlaͤndiſche Dichter zu thun. Stilling fand, was er ſuchte. Herr Paſtor Goldmann hatte einen Eidam, der ein Chirurgus und zugleich Apotheker war; die- ſer Mann hatte einen Vorrath von ſchoͤnen poetiſchen Schrif- ten, beſonders von Romanen; er lehnte ſie dem Schulmeiſter gern, und das erſte Buch, welches er mit nach Hauſe nahm, war die Aſiatiſche Baniſe. Dieſes Buch fing er an einem Sonntag Nachmittag an zu leſen. Die Schreibart war ihm neu und fremd. Er glaubte in ein fremdes Land gekommen zu ſeyn und eine neue Sprache zu hoͤren, aber ſie entzuͤckte und ruͤhrte ihn bis auf den Grund ſeines Herzens; Blitz, Donner und Hagel, als die raͤchenden Werkzeuge des gerechten Himmels — war ein Ausdruck fuͤr ihn, deſſen Schoͤnheit er nicht genug zu ruͤhmen wußte. Goldbedeckte Thuͤrme — welche herr- liche Kuͤrze! und ſo bewunderte er das ganze Buch durch, die Menge von Metaphern, in welchen der Styl des Herrn von Ziegler gleichſam ſchwamm. Ueber alles aber ſchien

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/147
Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/147>, abgerufen am 23.11.2024.