den hat. Das gefiel seinem Patron außerordentlich, und er pflegte wohl zu sagen: das sey das erste und auch das letzte gescheidte Wort gewesen, das er von seinem Schulmei- ster gehört habe.
Das Beste indessen bei der Sache war, daß Stilling keinen Schaden genommen hatte: er überließ sich gänzlich der Wehmuth, weinte sich die Augen roth, und erlangte weiter nichts dadurch, als Spott. So traurig ging seine Zeit vor- über, und seine Wonne am Schulhalten wurde ihm häßlich versalzen.
Sein Vater Wilhelm Stilling war indessen zu Haus mit angenehmeren Sachen beschäftigt. Die Wunde über Dortchens Tod war heil, er erinnerte sich allezeit mit Zärt- lichkeit an sie; allein er trauerte nicht mehr, sie war nun vier- zehn Jahre todt, und seine strenge mystische Denkungsart mil- derte sich in so weit, daß er jetzt mit allen Menschen Umgang pflog, doch war alles mit freundlichem Ernst, Gottesfurcht und Rechtschaffenheit vermischt, so daß er Vater Stilling ähnlicher wurde, als eins seiner Kinder. Er wünschte nun auch einmal Hausvater zu werden, eigenes Haus und Hof zu haben und den Ackerbau neben seinem Handwerk zu treiben; deßwegen suchte er sich jetzt eine Frau, die neben den nöthi- gen Eigenschaften, Leibes und der Seele, auch Haus und Gü- ter hätte; er fand bald, was er suchte. Zu Leindorf, zwei Stunden von Tiefenbach westwärts, war eine Wittwe von acht und zwanzig Jahren, eine ansehnliche brave Frau; sie hatte zwei Kinder aus der ersten Ehe, wovon aber eins bald nach ihrer Hochzeit starb. Diese war recht froh, als sie Wil- helm begehrte, ob er gleich gebrechliche Füße hatte. Die Hei- rath wurde geschlossen, der Hochzeittag bestimmt und Hein- rich bekam einen Brief nach Dorlingen, der in den wärm- sten und zärtlichsten Ausdrücken, deren sich nur ein Vater gegen seinen Sohn bedienen kann, ihm die Sache bekannt machte, und ihn auf den bestimmten Tag zur Hochzeit einlud. Hein- rich las diesen Brief, legte ihn hin, stand auf und bedachte sich, er mußte sich erst tief prüfen, ehe er finden konnte, ob ihm wohl oder wehe dabei ward; so ganz verschiedene Empfindun-
den hat. Das gefiel ſeinem Patron außerordentlich, und er pflegte wohl zu ſagen: das ſey das erſte und auch das letzte geſcheidte Wort geweſen, das er von ſeinem Schulmei- ſter gehoͤrt habe.
Das Beſte indeſſen bei der Sache war, daß Stilling keinen Schaden genommen hatte: er uͤberließ ſich gaͤnzlich der Wehmuth, weinte ſich die Augen roth, und erlangte weiter nichts dadurch, als Spott. So traurig ging ſeine Zeit vor- uͤber, und ſeine Wonne am Schulhalten wurde ihm haͤßlich verſalzen.
Sein Vater Wilhelm Stilling war indeſſen zu Haus mit angenehmeren Sachen beſchaͤftigt. Die Wunde uͤber Dortchens Tod war heil, er erinnerte ſich allezeit mit Zaͤrt- lichkeit an ſie; allein er trauerte nicht mehr, ſie war nun vier- zehn Jahre todt, und ſeine ſtrenge myſtiſche Denkungsart mil- derte ſich in ſo weit, daß er jetzt mit allen Menſchen Umgang pflog, doch war alles mit freundlichem Ernſt, Gottesfurcht und Rechtſchaffenheit vermiſcht, ſo daß er Vater Stilling aͤhnlicher wurde, als eins ſeiner Kinder. Er wuͤnſchte nun auch einmal Hausvater zu werden, eigenes Haus und Hof zu haben und den Ackerbau neben ſeinem Handwerk zu treiben; deßwegen ſuchte er ſich jetzt eine Frau, die neben den noͤthi- gen Eigenſchaften, Leibes und der Seele, auch Haus und Guͤ- ter haͤtte; er fand bald, was er ſuchte. Zu Leindorf, zwei Stunden von Tiefenbach weſtwaͤrts, war eine Wittwe von acht und zwanzig Jahren, eine anſehnliche brave Frau; ſie hatte zwei Kinder aus der erſten Ehe, wovon aber eins bald nach ihrer Hochzeit ſtarb. Dieſe war recht froh, als ſie Wil- helm begehrte, ob er gleich gebrechliche Fuͤße hatte. Die Hei- rath wurde geſchloſſen, der Hochzeittag beſtimmt und Hein- rich bekam einen Brief nach Dorlingen, der in den waͤrm- ſten und zaͤrtlichſten Ausdruͤcken, deren ſich nur ein Vater gegen ſeinen Sohn bedienen kann, ihm die Sache bekannt machte, und ihn auf den beſtimmten Tag zur Hochzeit einlud. Hein- rich las dieſen Brief, legte ihn hin, ſtand auf und bedachte ſich, er mußte ſich erſt tief pruͤfen, ehe er finden konnte, ob ihm wohl oder wehe dabei ward; ſo ganz verſchiedene Empfindun-
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den hat. Das gefiel ſeinem Patron außerordentlich, und
er pflegte wohl zu ſagen: das ſey das erſte und auch das
letzte geſcheidte Wort geweſen, das er von ſeinem Schulmei-
ſter gehoͤrt habe.
Das Beſte indeſſen bei der Sache war, daß Stilling
keinen Schaden genommen hatte: er uͤberließ ſich gaͤnzlich der
Wehmuth, weinte ſich die Augen roth, und erlangte weiter
nichts dadurch, als Spott. So traurig ging ſeine Zeit vor-
uͤber, und ſeine Wonne am Schulhalten wurde ihm haͤßlich
verſalzen.
Sein Vater Wilhelm Stilling war indeſſen zu Haus
mit angenehmeren Sachen beſchaͤftigt. Die Wunde uͤber
Dortchens Tod war heil, er erinnerte ſich allezeit mit Zaͤrt-
lichkeit an ſie; allein er trauerte nicht mehr, ſie war nun vier-
zehn Jahre todt, und ſeine ſtrenge myſtiſche Denkungsart mil-
derte ſich in ſo weit, daß er jetzt mit allen Menſchen Umgang
pflog, doch war alles mit freundlichem Ernſt, Gottesfurcht
und Rechtſchaffenheit vermiſcht, ſo daß er Vater Stilling
aͤhnlicher wurde, als eins ſeiner Kinder. Er wuͤnſchte nun
auch einmal Hausvater zu werden, eigenes Haus und Hof zu
haben und den Ackerbau neben ſeinem Handwerk zu treiben;
deßwegen ſuchte er ſich jetzt eine Frau, die neben den noͤthi-
gen Eigenſchaften, Leibes und der Seele, auch Haus und Guͤ-
ter haͤtte; er fand bald, was er ſuchte. Zu Leindorf, zwei
Stunden von Tiefenbach weſtwaͤrts, war eine Wittwe von
acht und zwanzig Jahren, eine anſehnliche brave Frau; ſie
hatte zwei Kinder aus der erſten Ehe, wovon aber eins bald
nach ihrer Hochzeit ſtarb. Dieſe war recht froh, als ſie Wil-
helm begehrte, ob er gleich gebrechliche Fuͤße hatte. Die Hei-
rath wurde geſchloſſen, der Hochzeittag beſtimmt und Hein-
rich bekam einen Brief nach Dorlingen, der in den waͤrm-
ſten und zaͤrtlichſten Ausdruͤcken, deren ſich nur ein Vater gegen
ſeinen Sohn bedienen kann, ihm die Sache bekannt machte,
und ihn auf den beſtimmten Tag zur Hochzeit einlud. Hein-
rich las dieſen Brief, legte ihn hin, ſtand auf und bedachte
ſich, er mußte ſich erſt tief pruͤfen, ehe er finden konnte, ob ihm
wohl oder wehe dabei ward; ſo ganz verſchiedene Empfindun-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/134>, abgerufen am 24.11.2024.
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