Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

Bild:
<< vorherige Seite

A. Der Proceß. Die Vertheidigung. Negation u. Exception. §. 52.
eines suus im Testament, Mangel der Handlungsfähigkeit, z. B.
Verträge eines Wahnsinnigen, Unmündigen, Ertheilung der
tutoris auctoritas in rem suam, u. a.

Die zweite Grundform der exc. betrifft die später einge-
tretene Mangelhaftigkeit des klägerischen Anspruchs, sie
umfaßt alle Ereignisse, Vorgänge im Leben desselben, welche,
ohne dieses selber aufzuheben, doch die fernere Wirksamkeit
desselben hemmen -- Gebrechen und Fehler, die das ursprüng-
lich gesunde dem von Anfang an siechen Recht völlig gleich stellen.
Diesen Gründen correspondiren im System der Negation die,
welche das Recht hinterher "ipso jure" aufheben; der Ent-
kräftung
entspricht die Vernichtung. Beispiele gewähren
für jene: die Verjährung der Klage, der formlose Erlaß (pactum
de non petendo),
für diese: Untergang des klägerischen Eigen-
thums durch Usucapion von Seiten des Beklagten, der formelle
Erlaß (acceptilatio) u. a.

Während diese beiden ersten Grundformen der exc. der in-
nern Mangelhaftigkeit des klägerischen Rechts ihren Stoff ent-
nehmen, entlehnt die dritte ihn dem Verhältniß dieses Rechts
zu einem selbständigen Recht des Beklagten, sie repräsentirt
uns den Conflicht zweier Ansprüche, welche sich in ihrer Verwirk-
lichung hemmen oder paralysiren, so z. B. zweier Obligationen
(Compensations-, Retentions-Einrede), des Eigenthums und der
Obligation (exc. rei vend. et traditae). Daß das Negations-
system auch für diese Form ein Seitenstück zu liefern im Stande
sein soll, möchte man im ersten Moment bezweifeln, denn wie
kann der Beklagte, wenn er lediglich auf Negation des klägerischen
Anspruchs angewiesen ist, demselben einen positiven Gegenanspruch
gegenüberstellen? Antwort: er kann es nur in Form der Negation
-- dem Conflict beider Ansprüche muß also die Gestalt gegeben
werden, daß der eine den andern von vornherein ausschließt
oder hinterher vernichtet. Wie die römischen Juristen es ver-
standen haben, durch eine höchst geschickte Benutzung dieser schein-
bar so ungelenken Form einen Grad praktischer Brauchbarkeit zu

A. Der Proceß. Die Vertheidigung. Negation u. Exception. §. 52.
eines suus im Teſtament, Mangel der Handlungsfähigkeit, z. B.
Verträge eines Wahnſinnigen, Unmündigen, Ertheilung der
tutoris auctoritas in rem suam, u. a.

Die zweite Grundform der exc. betrifft die ſpäter einge-
tretene Mangelhaftigkeit des klägeriſchen Anſpruchs, ſie
umfaßt alle Ereigniſſe, Vorgänge im Leben deſſelben, welche,
ohne dieſes ſelber aufzuheben, doch die fernere Wirkſamkeit
deſſelben hemmen — Gebrechen und Fehler, die das urſprüng-
lich geſunde dem von Anfang an ſiechen Recht völlig gleich ſtellen.
Dieſen Gründen correſpondiren im Syſtem der Negation die,
welche das Recht hinterher ipso jure aufheben; der Ent-
kräftung
entſpricht die Vernichtung. Beiſpiele gewähren
für jene: die Verjährung der Klage, der formloſe Erlaß (pactum
de non petendo),
für dieſe: Untergang des klägeriſchen Eigen-
thums durch Uſucapion von Seiten des Beklagten, der formelle
Erlaß (acceptilatio) u. a.

Während dieſe beiden erſten Grundformen der exc. der in-
nern Mangelhaftigkeit des klägeriſchen Rechts ihren Stoff ent-
nehmen, entlehnt die dritte ihn dem Verhältniß dieſes Rechts
zu einem ſelbſtändigen Recht des Beklagten, ſie repräſentirt
uns den Conflicht zweier Anſprüche, welche ſich in ihrer Verwirk-
lichung hemmen oder paralyſiren, ſo z. B. zweier Obligationen
(Compenſations-, Retentions-Einrede), des Eigenthums und der
Obligation (exc. rei vend. et traditae). Daß das Negations-
ſyſtem auch für dieſe Form ein Seitenſtück zu liefern im Stande
ſein ſoll, möchte man im erſten Moment bezweifeln, denn wie
kann der Beklagte, wenn er lediglich auf Negation des klägeriſchen
Anſpruchs angewieſen iſt, demſelben einen poſitiven Gegenanſpruch
gegenüberſtellen? Antwort: er kann es nur in Form der Negation
— dem Conflict beider Anſprüche muß alſo die Geſtalt gegeben
werden, daß der eine den andern von vornherein ausſchließt
oder hinterher vernichtet. Wie die römiſchen Juriſten es ver-
ſtanden haben, durch eine höchſt geſchickte Benutzung dieſer ſchein-
bar ſo ungelenken Form einen Grad praktiſcher Brauchbarkeit zu

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <div n="8">
                      <div n="9">
                        <p><pb facs="#f0079" n="63"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">A.</hi> Der Proceß. Die Vertheidigung. Negation u. Exception. §. 52.</fw><lb/>
eines <hi rendition="#aq">suus</hi> im Te&#x017F;tament, Mangel der Handlungsfähigkeit, z. B.<lb/>
Verträge eines Wahn&#x017F;innigen, Unmündigen, Ertheilung der<lb/><hi rendition="#aq">tutoris auctoritas in rem suam,</hi> u. a.</p><lb/>
                        <p>Die <hi rendition="#g">zweite</hi> Grundform der <hi rendition="#aq">exc.</hi> betrifft die <hi rendition="#g">&#x017F;päter</hi> einge-<lb/>
tretene <hi rendition="#g">Mangelhaftigkeit</hi> des klägeri&#x017F;chen An&#x017F;pruchs, &#x017F;ie<lb/>
umfaßt alle Ereigni&#x017F;&#x017F;e, Vorgänge im Leben de&#x017F;&#x017F;elben, welche,<lb/>
ohne die&#x017F;es &#x017F;elber aufzuheben, doch die fernere <hi rendition="#g">Wirk&#x017F;amkeit</hi><lb/>
de&#x017F;&#x017F;elben hemmen &#x2014; Gebrechen und Fehler, die das ur&#x017F;prüng-<lb/>
lich ge&#x017F;unde dem von Anfang an &#x017F;iechen Recht völlig gleich &#x017F;tellen.<lb/>
Die&#x017F;en Gründen corre&#x017F;pondiren im Sy&#x017F;tem der Negation die,<lb/>
welche das Recht hinterher <hi rendition="#aq">&#x201E;<hi rendition="#g">ipso jure</hi>&#x201C;</hi> aufheben; der <hi rendition="#g">Ent-<lb/>
kräftung</hi> ent&#x017F;pricht die <hi rendition="#g">Vernichtung</hi>. Bei&#x017F;piele gewähren<lb/>
für <hi rendition="#g">jene</hi>: die Verjährung der Klage, der formlo&#x017F;e Erlaß <hi rendition="#aq">(pactum<lb/>
de non petendo),</hi> für <hi rendition="#g">die&#x017F;e</hi>: Untergang des klägeri&#x017F;chen Eigen-<lb/>
thums durch U&#x017F;ucapion von Seiten des Beklagten, der formelle<lb/>
Erlaß (<hi rendition="#aq">acceptilatio</hi>) u. a.</p><lb/>
                        <p>Während die&#x017F;e beiden er&#x017F;ten Grundformen der <hi rendition="#aq">exc.</hi> der in-<lb/>
nern Mangelhaftigkeit des klägeri&#x017F;chen Rechts ihren Stoff ent-<lb/>
nehmen, entlehnt die <hi rendition="#g">dritte</hi> ihn dem Verhältniß <hi rendition="#g">die&#x017F;es</hi> Rechts<lb/>
zu einem &#x017F;elb&#x017F;tändigen Recht des <hi rendition="#g">Beklagten</hi>, &#x017F;ie reprä&#x017F;entirt<lb/>
uns den Conflicht zweier An&#x017F;prüche, welche &#x017F;ich in ihrer Verwirk-<lb/>
lichung hemmen oder paraly&#x017F;iren, &#x017F;o z. B. zweier Obligationen<lb/>
(Compen&#x017F;ations-, Retentions-Einrede), des Eigenthums und der<lb/>
Obligation <hi rendition="#aq">(exc. rei vend. et traditae).</hi> Daß das Negations-<lb/>
&#x017F;y&#x017F;tem auch für die&#x017F;e Form ein Seiten&#x017F;tück zu liefern im Stande<lb/>
&#x017F;ein &#x017F;oll, möchte man im er&#x017F;ten Moment bezweifeln, denn wie<lb/>
kann der Beklagte, wenn er lediglich auf Negation des klägeri&#x017F;chen<lb/>
An&#x017F;pruchs angewie&#x017F;en i&#x017F;t, dem&#x017F;elben einen po&#x017F;itiven Gegenan&#x017F;pruch<lb/>
gegenüber&#x017F;tellen? Antwort: er kann es nur in Form der Negation<lb/>
&#x2014; dem Conflict beider An&#x017F;prüche muß al&#x017F;o <hi rendition="#g">die</hi> Ge&#x017F;talt gegeben<lb/>
werden, daß der eine den andern von vornherein <hi rendition="#g">aus&#x017F;chließt</hi><lb/>
oder hinterher <hi rendition="#g">vernichtet</hi>. Wie die römi&#x017F;chen Juri&#x017F;ten es ver-<lb/>
&#x017F;tanden haben, durch eine höch&#x017F;t ge&#x017F;chickte Benutzung die&#x017F;er &#x017F;chein-<lb/>
bar &#x017F;o ungelenken Form einen Grad prakti&#x017F;cher Brauchbarkeit zu<lb/></p>
                      </div>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[63/0079] A. Der Proceß. Die Vertheidigung. Negation u. Exception. §. 52. eines suus im Teſtament, Mangel der Handlungsfähigkeit, z. B. Verträge eines Wahnſinnigen, Unmündigen, Ertheilung der tutoris auctoritas in rem suam, u. a. Die zweite Grundform der exc. betrifft die ſpäter einge- tretene Mangelhaftigkeit des klägeriſchen Anſpruchs, ſie umfaßt alle Ereigniſſe, Vorgänge im Leben deſſelben, welche, ohne dieſes ſelber aufzuheben, doch die fernere Wirkſamkeit deſſelben hemmen — Gebrechen und Fehler, die das urſprüng- lich geſunde dem von Anfang an ſiechen Recht völlig gleich ſtellen. Dieſen Gründen correſpondiren im Syſtem der Negation die, welche das Recht hinterher „ipso jure“ aufheben; der Ent- kräftung entſpricht die Vernichtung. Beiſpiele gewähren für jene: die Verjährung der Klage, der formloſe Erlaß (pactum de non petendo), für dieſe: Untergang des klägeriſchen Eigen- thums durch Uſucapion von Seiten des Beklagten, der formelle Erlaß (acceptilatio) u. a. Während dieſe beiden erſten Grundformen der exc. der in- nern Mangelhaftigkeit des klägeriſchen Rechts ihren Stoff ent- nehmen, entlehnt die dritte ihn dem Verhältniß dieſes Rechts zu einem ſelbſtändigen Recht des Beklagten, ſie repräſentirt uns den Conflicht zweier Anſprüche, welche ſich in ihrer Verwirk- lichung hemmen oder paralyſiren, ſo z. B. zweier Obligationen (Compenſations-, Retentions-Einrede), des Eigenthums und der Obligation (exc. rei vend. et traditae). Daß das Negations- ſyſtem auch für dieſe Form ein Seitenſtück zu liefern im Stande ſein ſoll, möchte man im erſten Moment bezweifeln, denn wie kann der Beklagte, wenn er lediglich auf Negation des klägeriſchen Anſpruchs angewieſen iſt, demſelben einen poſitiven Gegenanſpruch gegenüberſtellen? Antwort: er kann es nur in Form der Negation — dem Conflict beider Anſprüche muß alſo die Geſtalt gegeben werden, daß der eine den andern von vornherein ausſchließt oder hinterher vernichtet. Wie die römiſchen Juriſten es ver- ſtanden haben, durch eine höchſt geſchickte Benutzung dieſer ſchein- bar ſo ungelenken Form einen Grad praktiſcher Brauchbarkeit zu

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/79
Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/79>, abgerufen am 24.11.2024.