Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

Bild:
<< vorherige Seite

A. Der Proceß. Individualitätsmoment der Obligation. §. 51.
Natur; der eine hat activ und passiv zu seinen Trägern spe-
cifisch
bestimmte, der andere abstract bestimmte Subjecte
(die jedesmaligen Eigenthümer). Jene Gemeinsamkeit der
Entstehung beschränkt sich aber auch hier wiederum bloß auf den
äußern Akt, in dem zufälligerweise zwei völlig selbständige
und verschiedenartige Obligationsgründe zur Existenz gelangen,
der Societätsvertrag und die bei Gelegenheit desselben vor-
genommene Mittheilung des Eigenthums.

Dem so eben betrachteten Fall steht gegenüber Einheit der
Obligation bei scheinbarer Mehrheit der Obligationsgründe.
Alle Delicte, die der Vormund, Mandatar in Sachen der Ge-
schäftsführung sich hat zu Schulden kommen lassen, werden mit
einer Klage verfolgt, während doch sonst der Grundsatz gilt:
so viel Delicte so viel Klagen. Worauf beruht die
Abweichung von unserm Grundsatz? Sie ist gar keine, denn
das Mandats- oder Vormundschaftsverhältniß begründet einen
neuen, weiten Pflichtenkreis, dem gegenüber jene Delicte als
Verletzung der contractlichen Verbindlichkeit erscheinen. Die ein-
zelnen Ansprüche, die aus diesem Verhältniß sich ergeben, bilden
mithin nicht besondere Forderungen, sondern nur einzelne
Posten 25) der act. mandati, tutelae -- welche die Klagformel
mit der Collectivbezeichnung (quidquid ob eam rem dare facere
oportet
) auch formell zur Einheit zusammenfaßte, und der
Richter sämmtlich von dem einen Standpunkt des Mandats-
und Vormundschaftsverhältnisses aus zu würdigen hatte.

Diesen Fällen schließen sich einige andere von ähnlicher Be-
wandniß an, so z. B. die Klage des Banquiers auf Auszahlung
seines Saldos 26) d. h. des schließlichen Guthabens aus seiner,
eine Reihe der verschiedenartigsten Einnahme- und Ausgabe-

25) L. 10. §. 1 de appell. (49. 1) .. cum una actione ageretur,
quae plures species in se haberet, pluribus summis sit condemnatus.
L. 1 §. 1 quae sent. (49. 8) .. ex illa specie 30 .. ex illa 25.
26) Gaj. IV, 64, 68.

A. Der Proceß. Individualitätsmoment der Obligation. §. 51.
Natur; der eine hat activ und paſſiv zu ſeinen Trägern ſpe-
cifiſch
beſtimmte, der andere abſtract beſtimmte Subjecte
(die jedesmaligen Eigenthümer). Jene Gemeinſamkeit der
Entſtehung beſchränkt ſich aber auch hier wiederum bloß auf den
äußern Akt, in dem zufälligerweiſe zwei völlig ſelbſtändige
und verſchiedenartige Obligationsgründe zur Exiſtenz gelangen,
der Societätsvertrag und die bei Gelegenheit deſſelben vor-
genommene Mittheilung des Eigenthums.

Dem ſo eben betrachteten Fall ſteht gegenüber Einheit der
Obligation bei ſcheinbarer Mehrheit der Obligationsgründe.
Alle Delicte, die der Vormund, Mandatar in Sachen der Ge-
ſchäftsführung ſich hat zu Schulden kommen laſſen, werden mit
einer Klage verfolgt, während doch ſonſt der Grundſatz gilt:
ſo viel Delicte ſo viel Klagen. Worauf beruht die
Abweichung von unſerm Grundſatz? Sie iſt gar keine, denn
das Mandats- oder Vormundſchaftsverhältniß begründet einen
neuen, weiten Pflichtenkreis, dem gegenüber jene Delicte als
Verletzung der contractlichen Verbindlichkeit erſcheinen. Die ein-
zelnen Anſprüche, die aus dieſem Verhältniß ſich ergeben, bilden
mithin nicht beſondere Forderungen, ſondern nur einzelne
Poſten 25) der act. mandati, tutelae — welche die Klagformel
mit der Collectivbezeichnung (quidquid ob eam rem dare facere
oportet
) auch formell zur Einheit zuſammenfaßte, und der
Richter ſämmtlich von dem einen Standpunkt des Mandats-
und Vormundſchaftsverhältniſſes aus zu würdigen hatte.

Dieſen Fällen ſchließen ſich einige andere von ähnlicher Be-
wandniß an, ſo z. B. die Klage des Banquiers auf Auszahlung
ſeines Saldos 26) d. h. des ſchließlichen Guthabens aus ſeiner,
eine Reihe der verſchiedenartigſten Einnahme- und Ausgabe-

25) L. 10. §. 1 de appell. (49. 1) .. cum una actione ageretur,
quae plures species in se haberet, pluribus summis sit condemnatus.
L. 1 §. 1 quae sent. (49. 8) .. ex illa specie 30 .. ex illa 25.
26) Gaj. IV, 64, 68.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <div n="8">
                      <p><pb facs="#f0059" n="43"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">A.</hi> Der Proceß. Individualitätsmoment der Obligation. §. 51.</fw><lb/>
Natur; der eine hat activ und pa&#x017F;&#x017F;iv zu &#x017F;einen Trägern <hi rendition="#g">&#x017F;pe-<lb/>
cifi&#x017F;ch</hi> be&#x017F;timmte, der andere <hi rendition="#g">ab&#x017F;tract</hi> be&#x017F;timmte Subjecte<lb/>
(die <hi rendition="#g">jedesmaligen</hi> Eigenthümer). Jene Gemein&#x017F;amkeit der<lb/>
Ent&#x017F;tehung be&#x017F;chränkt &#x017F;ich aber auch hier wiederum bloß auf den<lb/><hi rendition="#g">äußern Akt</hi>, in dem zufälligerwei&#x017F;e zwei völlig &#x017F;elb&#x017F;tändige<lb/>
und ver&#x017F;chiedenartige Obligationsgründe zur Exi&#x017F;tenz gelangen,<lb/>
der Societätsvertrag und die bei <hi rendition="#g">Gelegenheit</hi> de&#x017F;&#x017F;elben vor-<lb/>
genommene Mittheilung des Eigenthums.</p><lb/>
                      <p>Dem &#x017F;o eben betrachteten Fall &#x017F;teht gegenüber <hi rendition="#g">Einheit</hi> der<lb/>
Obligation bei &#x017F;cheinbarer Mehrheit der Obligationsgründe.<lb/>
Alle Delicte, die der Vormund, Mandatar in Sachen der Ge-<lb/>
&#x017F;chäftsführung &#x017F;ich hat zu Schulden kommen la&#x017F;&#x017F;en, werden mit<lb/><hi rendition="#g">einer</hi> Klage verfolgt, während doch &#x017F;on&#x017F;t der Grund&#x017F;atz gilt:<lb/><hi rendition="#g">&#x017F;o viel Delicte &#x017F;o viel Klagen</hi>. Worauf beruht die<lb/>
Abweichung von un&#x017F;erm Grund&#x017F;atz? Sie i&#x017F;t gar keine, denn<lb/>
das Mandats- oder Vormund&#x017F;chaftsverhältniß begründet einen<lb/>
neuen, weiten Pflichtenkreis, dem gegenüber jene Delicte als<lb/>
Verletzung der contractlichen Verbindlichkeit er&#x017F;cheinen. Die ein-<lb/>
zelnen An&#x017F;prüche, die aus die&#x017F;em Verhältniß &#x017F;ich ergeben, bilden<lb/>
mithin nicht be&#x017F;ondere <hi rendition="#g">Forderungen</hi>, &#x017F;ondern nur einzelne<lb/><hi rendition="#g">Po&#x017F;ten</hi> <note place="foot" n="25)"><hi rendition="#aq">L. 10. §. 1 de appell. (49. 1) .. cum <hi rendition="#g">una</hi> actione ageretur,<lb/>
quae plures <hi rendition="#g">species</hi> in se haberet, pluribus summis sit condemnatus.<lb/>
L. 1 §. 1 quae sent. (49. 8) .. ex illa <hi rendition="#g">specie</hi> 30 .. ex illa 25.</hi></note> der <hi rendition="#aq">act. mandati, tutelae</hi> &#x2014; welche die Klagformel<lb/>
mit der Collectivbezeichnung (<hi rendition="#aq">quidquid ob eam rem dare facere<lb/>
oportet</hi>) auch formell zur <hi rendition="#g">Einheit</hi> zu&#x017F;ammenfaßte, und der<lb/>
Richter &#x017F;ämmtlich von dem <hi rendition="#g">einen</hi> Standpunkt des Mandats-<lb/>
und Vormund&#x017F;chaftsverhältni&#x017F;&#x017F;es aus zu würdigen hatte.</p><lb/>
                      <p>Die&#x017F;en Fällen &#x017F;chließen &#x017F;ich einige andere von ähnlicher Be-<lb/>
wandniß an, &#x017F;o z. B. die Klage des Banquiers auf Auszahlung<lb/>
&#x017F;eines Saldos <note place="foot" n="26)"><hi rendition="#aq">Gaj. IV, 64, 68.</hi></note> d. h. des &#x017F;chließlichen Guthabens aus &#x017F;einer,<lb/>
eine Reihe der ver&#x017F;chiedenartig&#x017F;ten Einnahme- und Ausgabe-<lb/></p>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[43/0059] A. Der Proceß. Individualitätsmoment der Obligation. §. 51. Natur; der eine hat activ und paſſiv zu ſeinen Trägern ſpe- cifiſch beſtimmte, der andere abſtract beſtimmte Subjecte (die jedesmaligen Eigenthümer). Jene Gemeinſamkeit der Entſtehung beſchränkt ſich aber auch hier wiederum bloß auf den äußern Akt, in dem zufälligerweiſe zwei völlig ſelbſtändige und verſchiedenartige Obligationsgründe zur Exiſtenz gelangen, der Societätsvertrag und die bei Gelegenheit deſſelben vor- genommene Mittheilung des Eigenthums. Dem ſo eben betrachteten Fall ſteht gegenüber Einheit der Obligation bei ſcheinbarer Mehrheit der Obligationsgründe. Alle Delicte, die der Vormund, Mandatar in Sachen der Ge- ſchäftsführung ſich hat zu Schulden kommen laſſen, werden mit einer Klage verfolgt, während doch ſonſt der Grundſatz gilt: ſo viel Delicte ſo viel Klagen. Worauf beruht die Abweichung von unſerm Grundſatz? Sie iſt gar keine, denn das Mandats- oder Vormundſchaftsverhältniß begründet einen neuen, weiten Pflichtenkreis, dem gegenüber jene Delicte als Verletzung der contractlichen Verbindlichkeit erſcheinen. Die ein- zelnen Anſprüche, die aus dieſem Verhältniß ſich ergeben, bilden mithin nicht beſondere Forderungen, ſondern nur einzelne Poſten 25) der act. mandati, tutelae — welche die Klagformel mit der Collectivbezeichnung (quidquid ob eam rem dare facere oportet) auch formell zur Einheit zuſammenfaßte, und der Richter ſämmtlich von dem einen Standpunkt des Mandats- und Vormundſchaftsverhältniſſes aus zu würdigen hatte. Dieſen Fällen ſchließen ſich einige andere von ähnlicher Be- wandniß an, ſo z. B. die Klage des Banquiers auf Auszahlung ſeines Saldos 26) d. h. des ſchließlichen Guthabens aus ſeiner, eine Reihe der verſchiedenartigſten Einnahme- und Ausgabe- 25) L. 10. §. 1 de appell. (49. 1) .. cum una actione ageretur, quae plures species in se haberet, pluribus summis sit condemnatus. L. 1 §. 1 quae sent. (49. 8) .. ex illa specie 30 .. ex illa 25. 26) Gaj. IV, 64, 68.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/59
Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/59>, abgerufen am 03.05.2024.