Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.A. Der Proceß. Zweck und Gränze der Klagzersetzung. §. 51. fest im Auge haltend, waren sie gesichert gegen die Gefahr einerAusartung ihrer Thätigkeit in unfruchtbare Begriffsspalterei, gegen jenen Abweg, auf dem das Scheiden Selbstzweck und Krankheit wird. Von dieser Verirrung, welche zu Zeiten wissenschaftlicher 20) Quintil. Inst. orat. IV, 5 §. 25 ... quae natura singularia sunt
secant, nec tam plura faciunt quam minora; deinde quum fecerunt mille particulas, in eandem incidunt obscuritatem, contra quam partitio in- venta est. A. Der Proceß. Zweck und Gränze der Klagzerſetzung. §. 51. feſt im Auge haltend, waren ſie geſichert gegen die Gefahr einerAusartung ihrer Thätigkeit in unfruchtbare Begriffsſpalterei, gegen jenen Abweg, auf dem das Scheiden Selbſtzweck und Krankheit wird. Von dieſer Verirrung, welche zu Zeiten wiſſenſchaftlicher 20) Quintil. Inst. orat. IV, 5 §. 25 … quae natura singularia sunt
secant, nec tam plura faciunt quam minora; deinde quum fecerunt mille particulas, in eandem incidunt obscuritatem, contra quam partitio in- venta est. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <div n="8"> <p><pb facs="#f0053" n="37"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">A.</hi> Der Proceß. Zweck und Gränze der Klagzerſetzung. §. 51.</fw><lb/> feſt im Auge haltend, waren ſie geſichert gegen die Gefahr einer<lb/> Ausartung ihrer Thätigkeit in unfruchtbare Begriffsſpalterei,<lb/> gegen jenen Abweg, auf dem das Scheiden Selbſtzweck und<lb/> Krankheit wird.</p><lb/> <p>Von dieſer Verirrung, welche zu Zeiten wiſſenſchaftlicher<lb/> Oede und Dürre das ſchöpferiſche Denken erſetzt und carikirt,<lb/> gilt was Quintilian <note place="foot" n="20)"><hi rendition="#aq">Quintil. Inst. orat. IV, 5 §. 25 … quae natura singularia sunt<lb/> secant, nec tam plura faciunt quam minora; deinde quum fecerunt mille<lb/> particulas, in eandem incidunt obscuritatem, contra quam partitio in-<lb/> venta est</hi>.</note> treffend ſagt: ſie ſpaltet ſelbſt das, was<lb/> ſeiner Natur nach einfach iſt, und indem ſie nicht ſowohl ſcheidet,<lb/> als zerſtückelt, bewirkt ſie durch ihre Unterſcheidungen gerade das,<lb/> was ſie abwehren will: <hi rendition="#g">Dunkelheit</hi>. Es bedarf nur eines<lb/> Blickes auf das ältere Recht, um ſich zu überzeugen, daß es ſich<lb/> von dieſer Verirrung völlig frei gehalten hat. Wäre es ihm<lb/> darum zu thun geweſen, möglichſt kleine Klagen zu ſchaffen, es<lb/> hätte wie bei der Vindication der mehren Pferde (S. 28), ſo<lb/> auch bei dem Kauf derſelben eben ſo viele Klagen geben können,<lb/> als Objecte vorhanden ſind; oder da es für die Stipulation den<lb/> Satz aufſtellt: <hi rendition="#aq">tot stipulationes, quot res,</hi> d. h. wenn eine<lb/> Stipulation mehre Gegenſtände umfaßt, ſo iſt es ſo gut, als ob<lb/> über jeden derſelben eine beſondere Stipulation abgeſchloſſen<lb/> wäre, ſo hätte es dieſem Satze, deſſen hauptſächliche, wenn<lb/> nicht ausſchließliche praktiſche Bedeutung in der Klagenconſum-<lb/> tion und der <hi rendition="#aq">exc. rei judicatae</hi> liegt, auch die Tragweite ein-<lb/> räumen können, daß über jeden der mehren Gegenſtände beſon-<lb/> ders hätte geklagt werden <hi rendition="#g">müſſen</hi>; kurz ſoweit für den Klä-<lb/> ger die <hi rendition="#g">Möglichkeit</hi> einer Theilung der Klage reichte, hätte<lb/> es dieſelbe zur <hi rendition="#g">Nothwendigkeit</hi> erheben müſſen. Eine ſolche<lb/> Zerſetzung des Klagſtoffs hätte in der That mit dem Ausdruck<lb/> Quintilians den Namen der Zerſtücklung verdient; weit entfernt<lb/> einem praktiſchen Intereſſe zu dienen, hätte ſie demſelben viel-<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [37/0053]
A. Der Proceß. Zweck und Gränze der Klagzerſetzung. §. 51.
feſt im Auge haltend, waren ſie geſichert gegen die Gefahr einer
Ausartung ihrer Thätigkeit in unfruchtbare Begriffsſpalterei,
gegen jenen Abweg, auf dem das Scheiden Selbſtzweck und
Krankheit wird.
Von dieſer Verirrung, welche zu Zeiten wiſſenſchaftlicher
Oede und Dürre das ſchöpferiſche Denken erſetzt und carikirt,
gilt was Quintilian 20) treffend ſagt: ſie ſpaltet ſelbſt das, was
ſeiner Natur nach einfach iſt, und indem ſie nicht ſowohl ſcheidet,
als zerſtückelt, bewirkt ſie durch ihre Unterſcheidungen gerade das,
was ſie abwehren will: Dunkelheit. Es bedarf nur eines
Blickes auf das ältere Recht, um ſich zu überzeugen, daß es ſich
von dieſer Verirrung völlig frei gehalten hat. Wäre es ihm
darum zu thun geweſen, möglichſt kleine Klagen zu ſchaffen, es
hätte wie bei der Vindication der mehren Pferde (S. 28), ſo
auch bei dem Kauf derſelben eben ſo viele Klagen geben können,
als Objecte vorhanden ſind; oder da es für die Stipulation den
Satz aufſtellt: tot stipulationes, quot res, d. h. wenn eine
Stipulation mehre Gegenſtände umfaßt, ſo iſt es ſo gut, als ob
über jeden derſelben eine beſondere Stipulation abgeſchloſſen
wäre, ſo hätte es dieſem Satze, deſſen hauptſächliche, wenn
nicht ausſchließliche praktiſche Bedeutung in der Klagenconſum-
tion und der exc. rei judicatae liegt, auch die Tragweite ein-
räumen können, daß über jeden der mehren Gegenſtände beſon-
ders hätte geklagt werden müſſen; kurz ſoweit für den Klä-
ger die Möglichkeit einer Theilung der Klage reichte, hätte
es dieſelbe zur Nothwendigkeit erheben müſſen. Eine ſolche
Zerſetzung des Klagſtoffs hätte in der That mit dem Ausdruck
Quintilians den Namen der Zerſtücklung verdient; weit entfernt
einem praktiſchen Intereſſe zu dienen, hätte ſie demſelben viel-
20) Quintil. Inst. orat. IV, 5 §. 25 … quae natura singularia sunt
secant, nec tam plura faciunt quam minora; deinde quum fecerunt mille
particulas, in eandem incidunt obscuritatem, contra quam partitio in-
venta est.
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