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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

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Zweites Buch. Zweiter Abschnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie.
kann er, wenn sie ihm bestritten oder durch einen verfassungswi-
drigen Majoritätsbeschluß entzogen werden, im Wege der Klage
verfolgen. 467) Die durch die eigenthümliche Natur des Ver-
hältnisses gebotene Ausschließung des individuellen Verfügungs-
rechts, die Unterordnung des Einzelnen unter den Willen der
Majorität bei verfassungsmäßigen Beschlüssen, prägt diesen
Rechten zwar auch nach der innern Seite hin einen von dem Ty-
pus der gewöhnlichen Rechte abweichenden Charakter auf, ent-
zieht ihnen aber den Charakter von Rechten nicht. Wer dies
läugnen will, muß den Nachweis führen, daß unsere Definition
der Rechte als rechtlich geschützter Interessen oder als Selbst-
schutz der Interessen auf einem Fehler beruht. Die hier ent-
wickelte Auffassung war übrigens den Römern selber so wenig
fremd, daß man sie umgekehrt als die altrömische bezeichnen
kann, 468) wie sie denn überhaupt nur da sich wird verläugnen

467) Das römische Recht gibt zwar den Namen der Klage nicht an,
allein daß dasselbe dies Verhältniß nicht ohne Rechtsschutz gelassen haben
wird, darüber kann doch verständigerweise wohl kein Zweifel obwalten, oder
hätten z. B. die Mitglieder der römischen Publikanengesellschaften keinen
klagbaren Anspruch auf die auf ihre Actie fallende Dividende gehabt?! Für
das Recht des Gemeingebrauchs (usus publicus) innerhalb der juristischen
Person z. B. an den zum Gemeingebrauch bestimmten Lokalitäten, Weiden,
Wäldern bietet die act. popularis (s. u.) eine passende Analogie.
468) Bezeichnung der Corporation mit dem Namen der Einzelnen: gen-
tiles, cives, municipes, socii vectigalium publicorum, publicani, coloni,
decuriones, virgines vestales, sacerdotes.
So wird denn auch das Ver-
mögen der Corporation als das der Mitglieder bezeichnet, z. B. agri virgi-
num vestalium (Hyginus ed. Lachmann gromatici veteres
S. 117) pro-
prietates ad colonos pertinent (Aggenus ibid. p. 80). Quorum (munici-
pum) omnes facultates ... locaque communia (Cic. ad fam. XIII, 11),

auch von Juristen z. B. L. 41 de A. R. D. (41. 1) .. civium non esse
... tuendi cives. L. 7 §. 2 Quod cuj. (3. 4) .. cum jus omnium in unum
reciderit. L. 1 §. 2 ib. quod eorum commune erit. L. 11 §. 1 quod vi
(43. 24) .. res eorum,
und in den Gesetzen s. z. B. Tab. Malac. c. 60:
praedes in commune municipum dato: pecuniam communem eorum sal-
vam iis fore.
Jene Ausdrücke: municipes, cives u. s. w. waren übrigens
zweideutig, es konnten mit ihnen z. B. bei einem Legat auch die einzelnen

Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie.
kann er, wenn ſie ihm beſtritten oder durch einen verfaſſungswi-
drigen Majoritätsbeſchluß entzogen werden, im Wege der Klage
verfolgen. 467) Die durch die eigenthümliche Natur des Ver-
hältniſſes gebotene Ausſchließung des individuellen Verfügungs-
rechts, die Unterordnung des Einzelnen unter den Willen der
Majorität bei verfaſſungsmäßigen Beſchlüſſen, prägt dieſen
Rechten zwar auch nach der innern Seite hin einen von dem Ty-
pus der gewöhnlichen Rechte abweichenden Charakter auf, ent-
zieht ihnen aber den Charakter von Rechten nicht. Wer dies
läugnen will, muß den Nachweis führen, daß unſere Definition
der Rechte als rechtlich geſchützter Intereſſen oder als Selbſt-
ſchutz der Intereſſen auf einem Fehler beruht. Die hier ent-
wickelte Auffaſſung war übrigens den Römern ſelber ſo wenig
fremd, daß man ſie umgekehrt als die altrömiſche bezeichnen
kann, 468) wie ſie denn überhaupt nur da ſich wird verläugnen

467) Das römiſche Recht gibt zwar den Namen der Klage nicht an,
allein daß daſſelbe dies Verhältniß nicht ohne Rechtsſchutz gelaſſen haben
wird, darüber kann doch verſtändigerweiſe wohl kein Zweifel obwalten, oder
hätten z. B. die Mitglieder der römiſchen Publikanengeſellſchaften keinen
klagbaren Anſpruch auf die auf ihre Actie fallende Dividende gehabt?! Für
das Recht des Gemeingebrauchs (usus publicus) innerhalb der juriſtiſchen
Perſon z. B. an den zum Gemeingebrauch beſtimmten Lokalitäten, Weiden,
Wäldern bietet die act. popularis (ſ. u.) eine paſſende Analogie.
468) Bezeichnung der Corporation mit dem Namen der Einzelnen: gen-
tiles, cives, municipes, socii vectigalium publicorum, publicani, coloni,
decuriones, virgines vestales, sacerdotes.
So wird denn auch das Ver-
mögen der Corporation als das der Mitglieder bezeichnet, z. B. agri virgi-
num vestalium (Hyginus ed. Lachmann gromatici veteres
S. 117) pro-
prietates ad colonos pertinent (Aggenus ibid. p. 80). Quorum (munici-
pum) omnes facultates … locaque communia (Cic. ad fam. XIII, 11),

auch von Juriſten z. B. L. 41 de A. R. D. (41. 1) .. civium non esse
… tuendi cives. L. 7 §. 2 Quod cuj. (3. 4) .. cum jus omnium in unum
reciderit. L. 1 §. 2 ib. quod eorum commune erit. L. 11 §. 1 quod vi
(43. 24) .. res eorum,
und in den Geſetzen ſ. z. B. Tab. Malac. c. 60:
praedes in commune municipum dato: pecuniam communem eorum sal-
vam iis fore.
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[332/0348] Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie. kann er, wenn ſie ihm beſtritten oder durch einen verfaſſungswi- drigen Majoritätsbeſchluß entzogen werden, im Wege der Klage verfolgen. 467) Die durch die eigenthümliche Natur des Ver- hältniſſes gebotene Ausſchließung des individuellen Verfügungs- rechts, die Unterordnung des Einzelnen unter den Willen der Majorität bei verfaſſungsmäßigen Beſchlüſſen, prägt dieſen Rechten zwar auch nach der innern Seite hin einen von dem Ty- pus der gewöhnlichen Rechte abweichenden Charakter auf, ent- zieht ihnen aber den Charakter von Rechten nicht. Wer dies läugnen will, muß den Nachweis führen, daß unſere Definition der Rechte als rechtlich geſchützter Intereſſen oder als Selbſt- ſchutz der Intereſſen auf einem Fehler beruht. Die hier ent- wickelte Auffaſſung war übrigens den Römern ſelber ſo wenig fremd, daß man ſie umgekehrt als die altrömiſche bezeichnen kann, 468) wie ſie denn überhaupt nur da ſich wird verläugnen 467) Das römiſche Recht gibt zwar den Namen der Klage nicht an, allein daß daſſelbe dies Verhältniß nicht ohne Rechtsſchutz gelaſſen haben wird, darüber kann doch verſtändigerweiſe wohl kein Zweifel obwalten, oder hätten z. B. die Mitglieder der römiſchen Publikanengeſellſchaften keinen klagbaren Anſpruch auf die auf ihre Actie fallende Dividende gehabt?! Für das Recht des Gemeingebrauchs (usus publicus) innerhalb der juriſtiſchen Perſon z. B. an den zum Gemeingebrauch beſtimmten Lokalitäten, Weiden, Wäldern bietet die act. popularis (ſ. u.) eine paſſende Analogie. 468) Bezeichnung der Corporation mit dem Namen der Einzelnen: gen- tiles, cives, municipes, socii vectigalium publicorum, publicani, coloni, decuriones, virgines vestales, sacerdotes. So wird denn auch das Ver- mögen der Corporation als das der Mitglieder bezeichnet, z. B. agri virgi- num vestalium (Hyginus ed. Lachmann gromatici veteres S. 117) pro- prietates ad colonos pertinent (Aggenus ibid. p. 80). Quorum (munici- pum) omnes facultates … locaque communia (Cic. ad fam. XIII, 11), auch von Juriſten z. B. L. 41 de A. R. D. (41. 1) .. civium non esse … tuendi cives. L. 7 §. 2 Quod cuj. (3. 4) .. cum jus omnium in unum reciderit. L. 1 §. 2 ib. quod eorum commune erit. L. 11 §. 1 quod vi (43. 24) .. res eorum, und in den Geſetzen ſ. z. B. Tab. Malac. c. 60: praedes in commune municipum dato: pecuniam communem eorum sal- vam iis fore. Jene Ausdrücke: municipes, cives u. ſ. w. waren übrigens zweideutig, es konnten mit ihnen z. B. bei einem Legat auch die einzelnen

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/348>, abgerufen am 17.05.2024.