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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

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II. Formales Moment des Rechts. -- Gränze des Klagschutzes. §. 61.
naue Begränzung der Klage nach Person, Gegenstand, Vor-
aussetzungen und Wirkungen, beziehungsweise die Möglichkeit
des civilprocessualischen Beweises dieser Momente, hinwegfal-
len. 464) Der Civilrichter kann nur diejenigen Interessen schü-
tzen, welche die Gestalt fester Körper an sich tragen; wo sie
diese Form abstreifen und in den luftförmigen Zustand über-
gehen, sich ins völlig Unbestimmte verlieren, hört seine Macht
auf -- man kann Wolken nicht in einen Sack oder eine Kapsel
fangen, -- der Richter aber muß die Sache fassen und greifen
können, um sie mit Sicherheit zu beurtheilen, es gilt für ihn
dasselbe, was Cicero (B. 2 S. 348) von den Gesetzen sagt:
tollunt astutias, quatenus manu tenere possunt.

Den vorgeschobensten Punkt, bis zu dem der Schutz der
Interessen in Form der Klage sich im römischen Recht erstreckt,
bezeichnen die actiones populares (B. 1 S. 186 fg.). Die In-
teressen, um die es sich bei ihnen handelt, verlieren sich in der
That ins Unbestimmte, Allgemeine, es sind die der Gemeinschaft
des Publikums; die Handlungen, gegen welche sie Schutz ge-
währen sollen, sind gemeingefährlicher Art. Nicht überall
aber, wo es derartige Interessen gilt, findet eine actio popula-
ris
Statt, m. a. W. die letztere Klage ist kein Princip (Idee
des rechtlichen Schutzes allgemeiner Interessen), sondern sie ist
beschränkt auf diejenigen Fälle, wo das positive Recht sie aufge-
stellt und nach Voraussetzungen und Wirkungen so genau fixirt
hat, daß damit die praktische Durchführbarkeit der Klage ermög-
licht und gesichert ist. 465)

464) Seneca de benef. III. 7 .. omnia fora vix sufficient. Quis erit,
qui non agat, quis, cum quo non agatur? .. Quaecunque in cognitionem
cadunt, comprehendi possunt et non dare infinitam licentiam judici.
465) Ein interessantes Beispiel s. in L. 2 §. 24 Ne quid in l. p. (43. 8)
hoc interdictum (§. 20 ibid.) tantum ad vias rusticas pertinet, ad
urbicas veronon
, harum enim cura pertinet ad magistratus,

interessant zugleich in der Beziehung, um zu veranschaulichen, wie nahe bei
den obigen Interessen die Form des rechtlichen und die des administrativen
Schutzes sich berühren. Die gediegene Bearbeitung, der sich die Popular-

II. Formales Moment des Rechts. — Gränze des Klagſchutzes. §. 61.
naue Begränzung der Klage nach Perſon, Gegenſtand, Vor-
ausſetzungen und Wirkungen, beziehungsweiſe die Möglichkeit
des civilproceſſualiſchen Beweiſes dieſer Momente, hinwegfal-
len. 464) Der Civilrichter kann nur diejenigen Intereſſen ſchü-
tzen, welche die Geſtalt feſter Körper an ſich tragen; wo ſie
dieſe Form abſtreifen und in den luftförmigen Zuſtand über-
gehen, ſich ins völlig Unbeſtimmte verlieren, hört ſeine Macht
auf — man kann Wolken nicht in einen Sack oder eine Kapſel
fangen, — der Richter aber muß die Sache faſſen und greifen
können, um ſie mit Sicherheit zu beurtheilen, es gilt für ihn
daſſelbe, was Cicero (B. 2 S. 348) von den Geſetzen ſagt:
tollunt astutias, quatenus manu tenere possunt.

Den vorgeſchobenſten Punkt, bis zu dem der Schutz der
Intereſſen in Form der Klage ſich im römiſchen Recht erſtreckt,
bezeichnen die actiones populares (B. 1 S. 186 fg.). Die In-
tereſſen, um die es ſich bei ihnen handelt, verlieren ſich in der
That ins Unbeſtimmte, Allgemeine, es ſind die der Gemeinſchaft
des Publikums; die Handlungen, gegen welche ſie Schutz ge-
währen ſollen, ſind gemeingefährlicher Art. Nicht überall
aber, wo es derartige Intereſſen gilt, findet eine actio popula-
ris
Statt, m. a. W. die letztere Klage iſt kein Princip (Idee
des rechtlichen Schutzes allgemeiner Intereſſen), ſondern ſie iſt
beſchränkt auf diejenigen Fälle, wo das poſitive Recht ſie aufge-
ſtellt und nach Vorausſetzungen und Wirkungen ſo genau fixirt
hat, daß damit die praktiſche Durchführbarkeit der Klage ermög-
licht und geſichert iſt. 465)

464) Seneca de benef. III. 7 .. omnia fora vix sufficient. Quis erit,
qui non agat, quis, cum quo non agatur? .. Quaecunque in cognitionem
cadunt, comprehendi possunt et non dare infinitam licentiam judici.
465) Ein intereſſantes Beiſpiel ſ. in L. 2 §. 24 Ne quid in l. p. (43. 8)
hoc interdictum (§. 20 ibid.) tantum ad vias rusticas pertinet, ad
urbicas veronon
, harum enim cura pertinet ad magistratus,

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den obigen Intereſſen die Form des rechtlichen und die des adminiſtrativen
Schutzes ſich berühren. Die gediegene Bearbeitung, der ſich die Popular-
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[329/0345] II. Formales Moment des Rechts. — Gränze des Klagſchutzes. §. 61. naue Begränzung der Klage nach Perſon, Gegenſtand, Vor- ausſetzungen und Wirkungen, beziehungsweiſe die Möglichkeit des civilproceſſualiſchen Beweiſes dieſer Momente, hinwegfal- len. 464) Der Civilrichter kann nur diejenigen Intereſſen ſchü- tzen, welche die Geſtalt feſter Körper an ſich tragen; wo ſie dieſe Form abſtreifen und in den luftförmigen Zuſtand über- gehen, ſich ins völlig Unbeſtimmte verlieren, hört ſeine Macht auf — man kann Wolken nicht in einen Sack oder eine Kapſel fangen, — der Richter aber muß die Sache faſſen und greifen können, um ſie mit Sicherheit zu beurtheilen, es gilt für ihn daſſelbe, was Cicero (B. 2 S. 348) von den Geſetzen ſagt: tollunt astutias, quatenus manu tenere possunt. Den vorgeſchobenſten Punkt, bis zu dem der Schutz der Intereſſen in Form der Klage ſich im römiſchen Recht erſtreckt, bezeichnen die actiones populares (B. 1 S. 186 fg.). Die In- tereſſen, um die es ſich bei ihnen handelt, verlieren ſich in der That ins Unbeſtimmte, Allgemeine, es ſind die der Gemeinſchaft des Publikums; die Handlungen, gegen welche ſie Schutz ge- währen ſollen, ſind gemeingefährlicher Art. Nicht überall aber, wo es derartige Intereſſen gilt, findet eine actio popula- ris Statt, m. a. W. die letztere Klage iſt kein Princip (Idee des rechtlichen Schutzes allgemeiner Intereſſen), ſondern ſie iſt beſchränkt auf diejenigen Fälle, wo das poſitive Recht ſie aufge- ſtellt und nach Vorausſetzungen und Wirkungen ſo genau fixirt hat, daß damit die praktiſche Durchführbarkeit der Klage ermög- licht und geſichert iſt. 465) 464) Seneca de benef. III. 7 .. omnia fora vix sufficient. Quis erit, qui non agat, quis, cum quo non agatur? .. Quaecunque in cognitionem cadunt, comprehendi possunt et non dare infinitam licentiam judici. 465) Ein intereſſantes Beiſpiel ſ. in L. 2 §. 24 Ne quid in l. p. (43. 8) hoc interdictum (§. 20 ibid.) tantum ad vias rusticas pertinet, ad urbicas veronon, harum enim cura pertinet ad magistratus, intereſſant zugleich in der Beziehung, um zu veranſchaulichen, wie nahe bei den obigen Intereſſen die Form des rechtlichen und die des adminiſtrativen Schutzes ſich berühren. Die gediegene Bearbeitung, der ſich die Popular-

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/345>, abgerufen am 22.11.2024.