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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

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Zweites Buch. Zweiter Abschnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie.
ject, hängt davon ab, wie man sich das Verhältniß bei der
juristischen Person denkt (S. oben S. 209--213 u. §. 61).

Der angegebene Zweck trifft bei sämmtlichen Rechten zu,
mögen sie dem Vermögen- oder dem Personenrecht angehören,
alle sollen mich fördern, mir einen Dienst, Nutzen, Vortheil 447)
gewähren, die Freiheit so gut wie das Eigenthum, die Ehe so
gut wie die Forderung -- "es gibt kein zweck- und nutzloses
Recht; Wohl und Recht sind keine Gegensätze, sondern in noth-
wendiger Beziehung zu einander" (Ahrens).

Ein Ding, das uns diesen Dienst zu leisten vermag, nennen
wir ein Gut, die Römer beschränken den Ausdruck bekanntlich
auf das Gut im ökonomischen Sinn: die Glücksgüter (bona).
Demnach bildet ein Gut den Inhalt eines jeden Rechts -- eine
Definition des Rechts, die nicht von dem Begriff des Guts im
weitern Sinn ausgeht, ist verfehlt.

An den Begriff des Guts reiht sich der des Werths und
Interesses an. Der Werthbegriff enthält den Maßstab zur
Bestimmung der Tauglichkeit des Guts, der Interessenbegriff
erfaßt diese Wertheigenschaft in besonderer Beziehung auf die
Zwecke und Verhältnisse des Subjects. Ein Recht, das an sich
einen Werth hat, kann für dieses Subject ohne Interesse sein,
z. B. eine Aussichtsgerechtigkeit für einen Blinden, die Berech-
tigung zum Besuch eines Concerts für einen Tauben. Beide
Begriffe sind wie der des Guts nicht auf das Vermögen be-

447) Für das Vermögen heben die römischen Juristen dies Zweckmoment
(commodum, emolumentum Gaj. II, 255, L. 75 de J. D. 23. 3)
ausdrücklich hervor: bona, quod beant .. beare est prodesse L. 49 de
V. S. (50. 16) L. 83 ibid.: proprie
(d. h. im ökonomischen Sinn) bona
dici non possunt, quae plus incommodi quam commodi habent.
Ahrens
macht mit Recht auch auf den Ausspruch von Ulpian in L. 1 §. 2 de J. et J.
(1. 1) aufmerksam: privatum, quod ad singulorum utilitatem spectat,
sunt enim quaedam publice utilia, quaedam privatim.
S. auch L.
11 ibid.

Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie.
ject, hängt davon ab, wie man ſich das Verhältniß bei der
juriſtiſchen Perſon denkt (S. oben S. 209—213 u. §. 61).

Der angegebene Zweck trifft bei ſämmtlichen Rechten zu,
mögen ſie dem Vermögen- oder dem Perſonenrecht angehören,
alle ſollen mich fördern, mir einen Dienſt, Nutzen, Vortheil 447)
gewähren, die Freiheit ſo gut wie das Eigenthum, die Ehe ſo
gut wie die Forderung — „es gibt kein zweck- und nutzloſes
Recht; Wohl und Recht ſind keine Gegenſätze, ſondern in noth-
wendiger Beziehung zu einander“ (Ahrens).

Ein Ding, das uns dieſen Dienſt zu leiſten vermag, nennen
wir ein Gut, die Römer beſchränken den Ausdruck bekanntlich
auf das Gut im ökonomiſchen Sinn: die Glücksgüter (bona).
Demnach bildet ein Gut den Inhalt eines jeden Rechts — eine
Definition des Rechts, die nicht von dem Begriff des Guts im
weitern Sinn ausgeht, iſt verfehlt.

An den Begriff des Guts reiht ſich der des Werths und
Intereſſes an. Der Werthbegriff enthält den Maßſtab zur
Beſtimmung der Tauglichkeit des Guts, der Intereſſenbegriff
erfaßt dieſe Wertheigenſchaft in beſonderer Beziehung auf die
Zwecke und Verhältniſſe des Subjects. Ein Recht, das an ſich
einen Werth hat, kann für dieſes Subject ohne Intereſſe ſein,
z. B. eine Ausſichtsgerechtigkeit für einen Blinden, die Berech-
tigung zum Beſuch eines Concerts für einen Tauben. Beide
Begriffe ſind wie der des Guts nicht auf das Vermögen be-

447) Für das Vermögen heben die römiſchen Juriſten dies Zweckmoment
(commodum, emolumentum Gaj. II, 255, L. 75 de J. D. 23. 3)
ausdrücklich hervor: bona, quod beant .. beare est prodesse L. 49 de
V. S. (50. 16) L. 83 ibid.: proprie
(d. h. im ökonomiſchen Sinn) bona
dici non possunt, quae plus incommodi quam commodi habent.
Ahrens
macht mit Recht auch auf den Ausſpruch von Ulpian in L. 1 §. 2 de J. et J.
(1. 1) aufmerkſam: privatum, quod ad singulorum utilitatem spectat,
sunt enim quaedam publice utilia, quaedam privatim.
S. auch L.
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[314/0334] Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. Die Rechte. Allgem. Theorie. ject, hängt davon ab, wie man ſich das Verhältniß bei der juriſtiſchen Perſon denkt (S. oben S. 209—213 u. §. 61). Der angegebene Zweck trifft bei ſämmtlichen Rechten zu, mögen ſie dem Vermögen- oder dem Perſonenrecht angehören, alle ſollen mich fördern, mir einen Dienſt, Nutzen, Vortheil 447) gewähren, die Freiheit ſo gut wie das Eigenthum, die Ehe ſo gut wie die Forderung — „es gibt kein zweck- und nutzloſes Recht; Wohl und Recht ſind keine Gegenſätze, ſondern in noth- wendiger Beziehung zu einander“ (Ahrens). Ein Ding, das uns dieſen Dienſt zu leiſten vermag, nennen wir ein Gut, die Römer beſchränken den Ausdruck bekanntlich auf das Gut im ökonomiſchen Sinn: die Glücksgüter (bona). Demnach bildet ein Gut den Inhalt eines jeden Rechts — eine Definition des Rechts, die nicht von dem Begriff des Guts im weitern Sinn ausgeht, iſt verfehlt. An den Begriff des Guts reiht ſich der des Werths und Intereſſes an. Der Werthbegriff enthält den Maßſtab zur Beſtimmung der Tauglichkeit des Guts, der Intereſſenbegriff erfaßt dieſe Wertheigenſchaft in beſonderer Beziehung auf die Zwecke und Verhältniſſe des Subjects. Ein Recht, das an ſich einen Werth hat, kann für dieſes Subject ohne Intereſſe ſein, z. B. eine Ausſichtsgerechtigkeit für einen Blinden, die Berech- tigung zum Beſuch eines Concerts für einen Tauben. Beide Begriffe ſind wie der des Guts nicht auf das Vermögen be- 447) Für das Vermögen heben die römiſchen Juriſten dies Zweckmoment (commodum, emolumentum Gaj. II, 255, L. 75 de J. D. 23. 3) ausdrücklich hervor: bona, quod beant .. beare est prodesse L. 49 de V. S. (50. 16) L. 83 ibid.: proprie (d. h. im ökonomiſchen Sinn) bona dici non possunt, quae plus incommodi quam commodi habent. Ahrens macht mit Recht auch auf den Ausſpruch von Ulpian in L. 1 §. 2 de J. et J. (1. 1) aufmerkſam: privatum, quod ad singulorum utilitatem spectat, sunt enim quaedam publice utilia, quaedam privatim. S. auch L. 11 ibid.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/334>, abgerufen am 17.05.2024.