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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

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Die Aufgabe -- Antheil der juristischen Logik am Recht. §. 59.
haben, in denen sie befolgt ist? Ich denke, in beiden Fällen ganz
dieselbe, nämlich das praktische Bedürfniß oder das Rechtsgefühl
hat den Ausschlag gegeben, und die Logik hat sich gefügt. So
bei den Römern, so bei uns. Wäre das Bedürfniß nach Stell-
vertretung im alten Rom bereits dringend genug gewesen, um
die Bedenken zu überwinden, die ihr in praktischer Beziehung
entgegenstehen,434) so würden dieselben Personen, die heutzutage
die logische Unmöglichkeit der directen Stellvertretung deduciren,
muthmaßlich die logische Nothwendigkeit derselben beweisen, und
mit der angeblichen logischen Undenkbarkeit der Uebertragung
von Forderungen würde es sich schwerlich anders verhalten.
Kurz unsere juristische dialektische Methode ist um kein Haar
besser als die von Hegel: was wirklich ist, ist nothwen-
dig
(vernünftig) -- unsere Nothwendigkeit ist der gehorsame
Schatten der Wirklichkeit; weil es uns ein Leichtes ist, ihn
vorausfallen zu lassen, entsteht die Täuschung, als sei er es,
der vorangehe, und dem die Wirklichkeit folgen müsse!

In diesem Sinne habe ich die folgenden Untersuchungen
angestellt. Ich bin davon ausgegangen, daß die letzten Quellen
der römischen Rechtsbegriffe in psychologischen und praktischen,
ethischen und historischen Gründen gesucht werden müssen, daß
aber die juristische Intuition: die Ueberzeugung von dem unmit-
telbaren logischen Dasein eines Begriffs keinem einzigen derselben
das Leben gegeben habe, ja daß die juristische Dialektik selbst
in der Richtung, wo sie scheinbar völliger Selbständigkeit ge-
noß, nämlich wo sie die Consequenzen der gegebenen Begriffe
und Principien aufzudecken hatte, sich wesentlich durch die prak-
tische Angemessenheit des Resultats hat leiten lassen. Gar man-
ches erscheint im Gewande einer bloßen Consequenz, was in
Wirklichkeit eine selbständige Lebensberechtigung in sich trug,

434) Auch im türkischen Recht ist die Stellvertretung aus praktischen
Gründen ausgeschlossen, Nic. von Tornauw das moslemitische Recht,
Seite 95.
Thering, Geist d. röm. Rechts. III. 20

Die Aufgabe — Antheil der juriſtiſchen Logik am Recht. §. 59.
haben, in denen ſie befolgt iſt? Ich denke, in beiden Fällen ganz
dieſelbe, nämlich das praktiſche Bedürfniß oder das Rechtsgefühl
hat den Ausſchlag gegeben, und die Logik hat ſich gefügt. So
bei den Römern, ſo bei uns. Wäre das Bedürfniß nach Stell-
vertretung im alten Rom bereits dringend genug geweſen, um
die Bedenken zu überwinden, die ihr in praktiſcher Beziehung
entgegenſtehen,434) ſo würden dieſelben Perſonen, die heutzutage
die logiſche Unmöglichkeit der directen Stellvertretung deduciren,
muthmaßlich die logiſche Nothwendigkeit derſelben beweiſen, und
mit der angeblichen logiſchen Undenkbarkeit der Uebertragung
von Forderungen würde es ſich ſchwerlich anders verhalten.
Kurz unſere juriſtiſche dialektiſche Methode iſt um kein Haar
beſſer als die von Hegel: was wirklich iſt, iſt nothwen-
dig
(vernünftig) — unſere Nothwendigkeit iſt der gehorſame
Schatten der Wirklichkeit; weil es uns ein Leichtes iſt, ihn
vorausfallen zu laſſen, entſteht die Täuſchung, als ſei er es,
der vorangehe, und dem die Wirklichkeit folgen müſſe!

In dieſem Sinne habe ich die folgenden Unterſuchungen
angeſtellt. Ich bin davon ausgegangen, daß die letzten Quellen
der römiſchen Rechtsbegriffe in pſychologiſchen und praktiſchen,
ethiſchen und hiſtoriſchen Gründen geſucht werden müſſen, daß
aber die juriſtiſche Intuition: die Ueberzeugung von dem unmit-
telbaren logiſchen Daſein eines Begriffs keinem einzigen derſelben
das Leben gegeben habe, ja daß die juriſtiſche Dialektik ſelbſt
in der Richtung, wo ſie ſcheinbar völliger Selbſtändigkeit ge-
noß, nämlich wo ſie die Conſequenzen der gegebenen Begriffe
und Principien aufzudecken hatte, ſich weſentlich durch die prak-
tiſche Angemeſſenheit des Reſultats hat leiten laſſen. Gar man-
ches erſcheint im Gewande einer bloßen Conſequenz, was in
Wirklichkeit eine ſelbſtändige Lebensberechtigung in ſich trug,

434) Auch im türkiſchen Recht iſt die Stellvertretung aus praktiſchen
Gründen ausgeſchloſſen, Nic. von Tornauw das moslemitiſche Recht,
Seite 95.
Thering, Geiſt d. röm. Rechts. III. 20
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[305/0321] Die Aufgabe — Antheil der juriſtiſchen Logik am Recht. §. 59. haben, in denen ſie befolgt iſt? Ich denke, in beiden Fällen ganz dieſelbe, nämlich das praktiſche Bedürfniß oder das Rechtsgefühl hat den Ausſchlag gegeben, und die Logik hat ſich gefügt. So bei den Römern, ſo bei uns. Wäre das Bedürfniß nach Stell- vertretung im alten Rom bereits dringend genug geweſen, um die Bedenken zu überwinden, die ihr in praktiſcher Beziehung entgegenſtehen, 434) ſo würden dieſelben Perſonen, die heutzutage die logiſche Unmöglichkeit der directen Stellvertretung deduciren, muthmaßlich die logiſche Nothwendigkeit derſelben beweiſen, und mit der angeblichen logiſchen Undenkbarkeit der Uebertragung von Forderungen würde es ſich ſchwerlich anders verhalten. Kurz unſere juriſtiſche dialektiſche Methode iſt um kein Haar beſſer als die von Hegel: was wirklich iſt, iſt nothwen- dig (vernünftig) — unſere Nothwendigkeit iſt der gehorſame Schatten der Wirklichkeit; weil es uns ein Leichtes iſt, ihn vorausfallen zu laſſen, entſteht die Täuſchung, als ſei er es, der vorangehe, und dem die Wirklichkeit folgen müſſe! In dieſem Sinne habe ich die folgenden Unterſuchungen angeſtellt. Ich bin davon ausgegangen, daß die letzten Quellen der römiſchen Rechtsbegriffe in pſychologiſchen und praktiſchen, ethiſchen und hiſtoriſchen Gründen geſucht werden müſſen, daß aber die juriſtiſche Intuition: die Ueberzeugung von dem unmit- telbaren logiſchen Daſein eines Begriffs keinem einzigen derſelben das Leben gegeben habe, ja daß die juriſtiſche Dialektik ſelbſt in der Richtung, wo ſie ſcheinbar völliger Selbſtändigkeit ge- noß, nämlich wo ſie die Conſequenzen der gegebenen Begriffe und Principien aufzudecken hatte, ſich weſentlich durch die prak- tiſche Angemeſſenheit des Reſultats hat leiten laſſen. Gar man- ches erſcheint im Gewande einer bloßen Conſequenz, was in Wirklichkeit eine ſelbſtändige Lebensberechtigung in ſich trug, 434) Auch im türkiſchen Recht iſt die Stellvertretung aus praktiſchen Gründen ausgeſchloſſen, Nic. von Tornauw das moslemitiſche Recht, Seite 95. Thering, Geiſt d. röm. Rechts. III. 20

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/321>, abgerufen am 25.11.2024.