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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

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Zweites Buch. Zweiter Abschnitt. Die Rechte.
alle Kunst der Dialektik und Mystik in Bewegung setzen, um
ihn zu rechtfertigen, gleich als hätten die ungesunden Specula-
tionen eines modernen Theoretikers im Kopfe eines alten Römers
Platz finden können, heißt seinen Verstand und Glauben für ein
Billiges dahingeben. So mögen immerhin andere Juristen die
Specification durch den Gesichtspunkt der Herrenlosigkeit der
Sache motiviren.433) Wer sich damit abfinden läßt, der ver-
schließt sich die Einsicht in das wahre Wesen der Specification.
Nicht weil die neugebildete Sache in dieser ihrer jetzigen Gestalt
noch nicht da war und keinen Herrn hat, fällt sie dem Specifi-
canten zu -- dann müßte auch die bloße Zerstörung der Sache
Eigenthum geben --, sondern weil sie aus zwei Faktoren gebil-
det ist, von denen jeder einen Anspruch auf Schutz erheben
kann: Stoff und Arbeit. Eine wirthschaftlich unentwickelte Zeit
mag den Ausschlag für den Stoff geben, aber eine Zeit, in der
Gewerbe, Handel und Industrie blühen, kann dies nicht, ohne
die Interessen des Verkehrs Preis zu geben. In demselben
Maße, in dem die Arbeit selber sich entwickelt, ent-
wickelt sich auch das Recht der Arbeit
.

So möge ferner die juristische Logik uns immerhin deduci-
ren: die Früchte, die der gutgläubige Besitzer auf fremdem Grund
und Boden baut, müßten eigentlich dem Eigenthümer gehören.
Der altrömische Bauer wußte in diesem Verhältniß den Werth
und das Recht der Arbeit besser zu würdigen, er sprach das
Eigenthum dem zu, der die Mühe davon gehabt hatte, und auch
in späterer Zeit, als man dem natürlichen Anspruch des Grund-
eigenthümers gerecht ward, wies man denselben in eine Form,
in der er dem dritten Besitzer der Früchte, d. h. der Sicherheit
des Verkehrs nicht gefährlich werden konnte.

Wenn nun in diesem und so manchen andern Verhältnissen
die Logik verlassen ist, welche Bewandniß wird es mit denjenigen

433) L. 7 §. 7 de acq. dom. (41. 1.)

Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. Die Rechte.
alle Kunſt der Dialektik und Myſtik in Bewegung ſetzen, um
ihn zu rechtfertigen, gleich als hätten die ungeſunden Specula-
tionen eines modernen Theoretikers im Kopfe eines alten Römers
Platz finden können, heißt ſeinen Verſtand und Glauben für ein
Billiges dahingeben. So mögen immerhin andere Juriſten die
Specification durch den Geſichtspunkt der Herrenloſigkeit der
Sache motiviren.433) Wer ſich damit abfinden läßt, der ver-
ſchließt ſich die Einſicht in das wahre Weſen der Specification.
Nicht weil die neugebildete Sache in dieſer ihrer jetzigen Geſtalt
noch nicht da war und keinen Herrn hat, fällt ſie dem Specifi-
canten zu — dann müßte auch die bloße Zerſtörung der Sache
Eigenthum geben —, ſondern weil ſie aus zwei Faktoren gebil-
det iſt, von denen jeder einen Anſpruch auf Schutz erheben
kann: Stoff und Arbeit. Eine wirthſchaftlich unentwickelte Zeit
mag den Ausſchlag für den Stoff geben, aber eine Zeit, in der
Gewerbe, Handel und Induſtrie blühen, kann dies nicht, ohne
die Intereſſen des Verkehrs Preis zu geben. In demſelben
Maße, in dem die Arbeit ſelber ſich entwickelt, ent-
wickelt ſich auch das Recht der Arbeit
.

So möge ferner die juriſtiſche Logik uns immerhin deduci-
ren: die Früchte, die der gutgläubige Beſitzer auf fremdem Grund
und Boden baut, müßten eigentlich dem Eigenthümer gehören.
Der altrömiſche Bauer wußte in dieſem Verhältniß den Werth
und das Recht der Arbeit beſſer zu würdigen, er ſprach das
Eigenthum dem zu, der die Mühe davon gehabt hatte, und auch
in ſpäterer Zeit, als man dem natürlichen Anſpruch des Grund-
eigenthümers gerecht ward, wies man denſelben in eine Form,
in der er dem dritten Beſitzer der Früchte, d. h. der Sicherheit
des Verkehrs nicht gefährlich werden konnte.

Wenn nun in dieſem und ſo manchen andern Verhältniſſen
die Logik verlaſſen iſt, welche Bewandniß wird es mit denjenigen

433) L. 7 §. 7 de acq. dom. (41. 1.)
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[304/0320] Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. Die Rechte. alle Kunſt der Dialektik und Myſtik in Bewegung ſetzen, um ihn zu rechtfertigen, gleich als hätten die ungeſunden Specula- tionen eines modernen Theoretikers im Kopfe eines alten Römers Platz finden können, heißt ſeinen Verſtand und Glauben für ein Billiges dahingeben. So mögen immerhin andere Juriſten die Specification durch den Geſichtspunkt der Herrenloſigkeit der Sache motiviren. 433) Wer ſich damit abfinden läßt, der ver- ſchließt ſich die Einſicht in das wahre Weſen der Specification. Nicht weil die neugebildete Sache in dieſer ihrer jetzigen Geſtalt noch nicht da war und keinen Herrn hat, fällt ſie dem Specifi- canten zu — dann müßte auch die bloße Zerſtörung der Sache Eigenthum geben —, ſondern weil ſie aus zwei Faktoren gebil- det iſt, von denen jeder einen Anſpruch auf Schutz erheben kann: Stoff und Arbeit. Eine wirthſchaftlich unentwickelte Zeit mag den Ausſchlag für den Stoff geben, aber eine Zeit, in der Gewerbe, Handel und Induſtrie blühen, kann dies nicht, ohne die Intereſſen des Verkehrs Preis zu geben. In demſelben Maße, in dem die Arbeit ſelber ſich entwickelt, ent- wickelt ſich auch das Recht der Arbeit. So möge ferner die juriſtiſche Logik uns immerhin deduci- ren: die Früchte, die der gutgläubige Beſitzer auf fremdem Grund und Boden baut, müßten eigentlich dem Eigenthümer gehören. Der altrömiſche Bauer wußte in dieſem Verhältniß den Werth und das Recht der Arbeit beſſer zu würdigen, er ſprach das Eigenthum dem zu, der die Mühe davon gehabt hatte, und auch in ſpäterer Zeit, als man dem natürlichen Anſpruch des Grund- eigenthümers gerecht ward, wies man denſelben in eine Form, in der er dem dritten Beſitzer der Früchte, d. h. der Sicherheit des Verkehrs nicht gefährlich werden konnte. Wenn nun in dieſem und ſo manchen andern Verhältniſſen die Logik verlaſſen iſt, welche Bewandniß wird es mit denjenigen 433) L. 7 §. 7 de acq. dom. (41. 1.)

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/320>, abgerufen am 17.05.2024.