Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

Bild:
<< vorherige Seite

Die künstlichen Mittel. §. 58.
schafft hat, dagegen schalte ich die coemptio fiduciae causa,
gerade um diesen Zweck zu fördern, an dieser Stelle ein.

Dieselbe ist sicherlich eins der jüngsten Scheingeschäfte,
denn die Zwecke, deretwegen die Frauenwelt Roms sich ihrer
bediente: Befreiung von den sacris, Wechsel des Geschlechts-
vormundes und Erlangung der Testirbefugniß weisen unver-
kennbar einerseits auf die Zeiten des Verfalls der religiösen Ein-
richtungen und andererseits auf die Periode der socialen Eman-
cipation des weiblichen Geschlechts hin. Das Geschäft bestand
aus drei Akten: 1. der coemptio fiduciae causa, wornach das
ganze Geschäft seinen Namen hatte, d. h. Eingehung einer
Manus-Ehe in der gewöhnlichen Form der coemptio, mit der
Nebenberedung der Remancipation, -- 2. der remancipatio
fiduciae causa,
d. h. dem Verkauf der Frau ins Mancipium
mit der Nebenberedung der Freilassung -- und 3. dieser Frei-
lassung selber.

Mit obigen drei Zwecken, und zwar zunächst mit dem ersten,
der Befreiung von den sacris, hat es folgende Bewandniß.385)
Die Ehefrau übertrug, indem sie in die Manus des Mannes
trat, auf ihn ihre sacra, die bei letzterem auch dann verblieben,
wenn die Frau in Folge einer capitis deminutio aus diesem
Verhältniß schied, mit seinem Tode aber, wir wissen nicht, ob
unter- oder auf die Erben übergingen. Jedenfalls war ersteres
dann der Fall, wenn der Nachlaß keinen Erben fand. Damit
war in der Zeit der Frivolität, als man die sacra nur noch unter
dem Gesichtspunkt einer Last betrachtete, den Frauenzimmern der
Weg gewiesen, wie sie sich mit verhältnißmäßig geringen Un-
kosten von dieser Last Zeit Lebens befreien konnten. Sie gewan-
nen als Coemptionator einen alten Knaben, der schon mit einem
Fuß im Grabe stand, und dem sie außer der Vergütung für die-

385) Cic. pro Murena 12. Savigny über die jurist. Behandlung der
sacra privata in Verm. Schriften I S. 180 fl. (erster Abdruck: Zeitschr. f.
gesch. R. W. II S. 387 fl.)

Die künſtlichen Mittel. §. 58.
ſchafft hat, dagegen ſchalte ich die coemptio fiduciae causa,
gerade um dieſen Zweck zu fördern, an dieſer Stelle ein.

Dieſelbe iſt ſicherlich eins der jüngſten Scheingeſchäfte,
denn die Zwecke, deretwegen die Frauenwelt Roms ſich ihrer
bediente: Befreiung von den sacris, Wechſel des Geſchlechts-
vormundes und Erlangung der Teſtirbefugniß weiſen unver-
kennbar einerſeits auf die Zeiten des Verfalls der religiöſen Ein-
richtungen und andererſeits auf die Periode der ſocialen Eman-
cipation des weiblichen Geſchlechts hin. Das Geſchäft beſtand
aus drei Akten: 1. der coemptio fiduciae causa, wornach das
ganze Geſchäft ſeinen Namen hatte, d. h. Eingehung einer
Manus-Ehe in der gewöhnlichen Form der coemptio, mit der
Nebenberedung der Remancipation, — 2. der remancipatio
fiduciae causa,
d. h. dem Verkauf der Frau ins Mancipium
mit der Nebenberedung der Freilaſſung — und 3. dieſer Frei-
laſſung ſelber.

Mit obigen drei Zwecken, und zwar zunächſt mit dem erſten,
der Befreiung von den sacris, hat es folgende Bewandniß.385)
Die Ehefrau übertrug, indem ſie in die Manus des Mannes
trat, auf ihn ihre sacra, die bei letzterem auch dann verblieben,
wenn die Frau in Folge einer capitis deminutio aus dieſem
Verhältniß ſchied, mit ſeinem Tode aber, wir wiſſen nicht, ob
unter- oder auf die Erben übergingen. Jedenfalls war erſteres
dann der Fall, wenn der Nachlaß keinen Erben fand. Damit
war in der Zeit der Frivolität, als man die sacra nur noch unter
dem Geſichtspunkt einer Laſt betrachtete, den Frauenzimmern der
Weg gewieſen, wie ſie ſich mit verhältnißmäßig geringen Un-
koſten von dieſer Laſt Zeit Lebens befreien konnten. Sie gewan-
nen als Coemptionator einen alten Knaben, der ſchon mit einem
Fuß im Grabe ſtand, und dem ſie außer der Vergütung für die-

385) Cic. pro Murena 12. Savigny über die juriſt. Behandlung der
sacra privata in Verm. Schriften I S. 180 fl. (erſter Abdruck: Zeitſchr. f.
geſch. R. W. II S. 387 fl.)
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <p><pb facs="#f0283" n="267"/><fw place="top" type="header">Die kün&#x017F;tlichen Mittel. §. 58.</fw><lb/>
&#x017F;chafft hat, dagegen &#x017F;chalte ich die <hi rendition="#aq">coemptio fiduciae causa,</hi><lb/>
gerade um die&#x017F;en Zweck zu fördern, an die&#x017F;er Stelle ein.</p><lb/>
                    <p>Die&#x017F;elbe i&#x017F;t &#x017F;icherlich eins der jüng&#x017F;ten Scheinge&#x017F;chäfte,<lb/>
denn die Zwecke, deretwegen die Frauenwelt Roms &#x017F;ich ihrer<lb/>
bediente: Befreiung von den <hi rendition="#aq">sacris,</hi> Wech&#x017F;el des Ge&#x017F;chlechts-<lb/>
vormundes und Erlangung der Te&#x017F;tirbefugniß wei&#x017F;en unver-<lb/>
kennbar einer&#x017F;eits auf die Zeiten des Verfalls der religiö&#x017F;en Ein-<lb/>
richtungen und anderer&#x017F;eits auf die Periode der &#x017F;ocialen Eman-<lb/>
cipation des weiblichen Ge&#x017F;chlechts hin. Das Ge&#x017F;chäft be&#x017F;tand<lb/>
aus drei Akten: 1. der <hi rendition="#aq">coemptio fiduciae causa,</hi> wornach das<lb/>
ganze Ge&#x017F;chäft &#x017F;einen Namen hatte, d. h. Eingehung einer<lb/>
Manus-Ehe in der gewöhnlichen Form der <hi rendition="#aq">coemptio,</hi> mit der<lb/>
Nebenberedung der Remancipation, &#x2014; 2. der <hi rendition="#aq">remancipatio<lb/>
fiduciae causa,</hi> d. h. dem Verkauf der Frau ins Mancipium<lb/>
mit der Nebenberedung der Freila&#x017F;&#x017F;ung &#x2014; und 3. die&#x017F;er Frei-<lb/>
la&#x017F;&#x017F;ung &#x017F;elber.</p><lb/>
                    <p>Mit obigen drei Zwecken, und zwar zunäch&#x017F;t mit dem er&#x017F;ten,<lb/>
der Befreiung von den <hi rendition="#aq">sacris,</hi> hat es folgende Bewandniß.<note place="foot" n="385)"><hi rendition="#aq">Cic. pro Murena</hi> 12. <hi rendition="#g">Savigny</hi> über die juri&#x017F;t. Behandlung der<lb/><hi rendition="#aq">sacra privata</hi> in Verm. Schriften <hi rendition="#aq">I</hi> S. 180 fl. (er&#x017F;ter Abdruck: Zeit&#x017F;chr. f.<lb/>
ge&#x017F;ch. R. W. <hi rendition="#aq">II</hi> S. 387 fl.)</note><lb/>
Die Ehefrau übertrug, indem &#x017F;ie in die Manus des Mannes<lb/>
trat, auf ihn ihre <hi rendition="#aq">sacra,</hi> die bei letzterem auch dann verblieben,<lb/>
wenn die Frau in Folge einer <hi rendition="#aq">capitis deminutio</hi> aus die&#x017F;em<lb/>
Verhältniß &#x017F;chied, mit &#x017F;einem Tode aber, wir wi&#x017F;&#x017F;en nicht, ob<lb/>
unter- oder auf die Erben übergingen. Jedenfalls war er&#x017F;teres<lb/>
dann der Fall, wenn der Nachlaß keinen Erben fand. Damit<lb/>
war in der Zeit der Frivolität, als man die <hi rendition="#aq">sacra</hi> nur noch unter<lb/>
dem Ge&#x017F;ichtspunkt einer La&#x017F;t betrachtete, den Frauenzimmern der<lb/>
Weg gewie&#x017F;en, wie &#x017F;ie &#x017F;ich mit verhältnißmäßig geringen Un-<lb/>
ko&#x017F;ten von die&#x017F;er La&#x017F;t Zeit Lebens befreien konnten. Sie gewan-<lb/>
nen als Coemptionator einen alten Knaben, der &#x017F;chon mit einem<lb/>
Fuß im Grabe &#x017F;tand, und dem &#x017F;ie außer der Vergütung für die-<lb/></p>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[267/0283] Die künſtlichen Mittel. §. 58. ſchafft hat, dagegen ſchalte ich die coemptio fiduciae causa, gerade um dieſen Zweck zu fördern, an dieſer Stelle ein. Dieſelbe iſt ſicherlich eins der jüngſten Scheingeſchäfte, denn die Zwecke, deretwegen die Frauenwelt Roms ſich ihrer bediente: Befreiung von den sacris, Wechſel des Geſchlechts- vormundes und Erlangung der Teſtirbefugniß weiſen unver- kennbar einerſeits auf die Zeiten des Verfalls der religiöſen Ein- richtungen und andererſeits auf die Periode der ſocialen Eman- cipation des weiblichen Geſchlechts hin. Das Geſchäft beſtand aus drei Akten: 1. der coemptio fiduciae causa, wornach das ganze Geſchäft ſeinen Namen hatte, d. h. Eingehung einer Manus-Ehe in der gewöhnlichen Form der coemptio, mit der Nebenberedung der Remancipation, — 2. der remancipatio fiduciae causa, d. h. dem Verkauf der Frau ins Mancipium mit der Nebenberedung der Freilaſſung — und 3. dieſer Frei- laſſung ſelber. Mit obigen drei Zwecken, und zwar zunächſt mit dem erſten, der Befreiung von den sacris, hat es folgende Bewandniß. 385) Die Ehefrau übertrug, indem ſie in die Manus des Mannes trat, auf ihn ihre sacra, die bei letzterem auch dann verblieben, wenn die Frau in Folge einer capitis deminutio aus dieſem Verhältniß ſchied, mit ſeinem Tode aber, wir wiſſen nicht, ob unter- oder auf die Erben übergingen. Jedenfalls war erſteres dann der Fall, wenn der Nachlaß keinen Erben fand. Damit war in der Zeit der Frivolität, als man die sacra nur noch unter dem Geſichtspunkt einer Laſt betrachtete, den Frauenzimmern der Weg gewieſen, wie ſie ſich mit verhältnißmäßig geringen Un- koſten von dieſer Laſt Zeit Lebens befreien konnten. Sie gewan- nen als Coemptionator einen alten Knaben, der ſchon mit einem Fuß im Grabe ſtand, und dem ſie außer der Vergütung für die- 385) Cic. pro Murena 12. Savigny über die juriſt. Behandlung der sacra privata in Verm. Schriften I S. 180 fl. (erſter Abdruck: Zeitſchr. f. geſch. R. W. II S. 387 fl.)

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/283
Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/283>, abgerufen am 23.11.2024.