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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

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Zweites Buch. Erster Abschn. III. B. Die juristische Oekonomie.

Es wäre eine dankenswerthe Aufgabe, an der Hand dieses
Gedankens alle Verhältnisse des öffentlichen und Privatrechts
einer Durchsicht zu unterziehen, an reicher Ausbeute würde es
nicht fehlen. 382) Für meine Zwecke genügt es, wenn ich den
Gedanken selber und dessen Bedeutung für unsern gegenwärtigen
Gesichtspunkt in das richtige Licht gesetzt habe. Daß das Mittel
ein künstliches war, daß mit dem gegen die Personen gerichte-
ten Zwange auch den Rechtsbegriffen Zwang angeschah, wird
aus dem Bisherigen erhellen. In den meisten Fällen waren
diese erzwungenen Handlungen von den Scheingeschäften, denen
wir uns jetzt zuwenden, wenig verschieden.

Den Scheingeschäften haben wir schon bei einer frühern
Gelegenheit (B. 2 S. 554 fl.) unsere Aufmerksamkeit zugewandt,
der dort angelegte Gesichtspunkt des Formalismus war jedoch
keineswegs ausreichend, um die Bedeutung, die ihnen für die
Entwicklungsgeschichte des römischen Rechts zukömmt, zu er-
schöpfen. An gegenwärtiger Stelle betrachten wir sie vom
Standpunkt der juristischen Technik aus als Mittel für die Zwecke
der juristischen Oekonomie. Von den dort genannten zwei Arten
der Scheingeschäfte: den originären und residuären schei-
den daher die letztern, als jeglicher technischer Bedeutung baar,
von unserer Betrachtung aus; sie sind nichts als abgestorbene

382) So z. B. im öffentlichen Recht: die lex Maenia über die Ertheilung
der auctoritas patrum -- ein würdiges Seitenstück zu der obigen auctoritas
des Tutor -- der Zwang zur Abdication des Magistrats; im Proceß: die
Klage mit Vorbehalt der Compensation (S. 79: cogitur, jubetur), der Ver-
zicht auf die dem Kläger sonst noch zuständige, auf denselben Zweck gerichtete
Klage (Vorläufer der exc. doli bei der Concurrenz der Klagen), L. 9 pr. de
novat. (46. 2) L. 10 §. 1 de pact.
(2. 14) Vorbehalt zukünftiger Ansprüche
im Proceß (S. 241), Theilung der Klage Gaj. III. 122, Zwang des Procu-
rators L. 8 §. 3 seq. de proc. (3. 3); im Familienrecht: Aufhebung der
manus bei der Ehescheidung. Gaj. I. 137a, Consens zur Ehe der Kinder
L. 19 de R. N. (23. 2), im Obligationenrecht Cessionszwang (Vorläufer der
act. utilis, L. 1 §. 13 de tut. et rat. 27. 3, L. 57 de leg. I) und unzählige
andere Fälle.
Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. B. Die juriſtiſche Oekonomie.

Es wäre eine dankenswerthe Aufgabe, an der Hand dieſes
Gedankens alle Verhältniſſe des öffentlichen und Privatrechts
einer Durchſicht zu unterziehen, an reicher Ausbeute würde es
nicht fehlen. 382) Für meine Zwecke genügt es, wenn ich den
Gedanken ſelber und deſſen Bedeutung für unſern gegenwärtigen
Geſichtspunkt in das richtige Licht geſetzt habe. Daß das Mittel
ein künſtliches war, daß mit dem gegen die Perſonen gerichte-
ten Zwange auch den Rechtsbegriffen Zwang angeſchah, wird
aus dem Bisherigen erhellen. In den meiſten Fällen waren
dieſe erzwungenen Handlungen von den Scheingeſchäften, denen
wir uns jetzt zuwenden, wenig verſchieden.

Den Scheingeſchäften haben wir ſchon bei einer frühern
Gelegenheit (B. 2 S. 554 fl.) unſere Aufmerkſamkeit zugewandt,
der dort angelegte Geſichtspunkt des Formalismus war jedoch
keineswegs ausreichend, um die Bedeutung, die ihnen für die
Entwicklungsgeſchichte des römiſchen Rechts zukömmt, zu er-
ſchöpfen. An gegenwärtiger Stelle betrachten wir ſie vom
Standpunkt der juriſtiſchen Technik aus als Mittel für die Zwecke
der juriſtiſchen Oekonomie. Von den dort genannten zwei Arten
der Scheingeſchäfte: den originären und reſiduären ſchei-
den daher die letztern, als jeglicher techniſcher Bedeutung baar,
von unſerer Betrachtung aus; ſie ſind nichts als abgeſtorbene

382) So z. B. im öffentlichen Recht: die lex Maenia über die Ertheilung
der auctoritas patrum — ein würdiges Seitenſtück zu der obigen auctoritas
des Tutor — der Zwang zur Abdication des Magiſtrats; im Proceß: die
Klage mit Vorbehalt der Compenſation (S. 79: cogitur, jubetur), der Ver-
zicht auf die dem Kläger ſonſt noch zuſtändige, auf denſelben Zweck gerichtete
Klage (Vorläufer der exc. doli bei der Concurrenz der Klagen), L. 9 pr. de
novat. (46. 2) L. 10 §. 1 de pact.
(2. 14) Vorbehalt zukünftiger Anſprüche
im Proceß (S. 241), Theilung der Klage Gaj. III. 122, Zwang des Procu-
rators L. 8 §. 3 seq. de proc. (3. 3); im Familienrecht: Aufhebung der
manus bei der Eheſcheidung. Gaj. I. 137a, Conſens zur Ehe der Kinder
L. 19 de R. N. (23. 2), im Obligationenrecht Ceſſionszwang (Vorläufer der
act. utilis, L. 1 §. 13 de tut. et rat. 27. 3, L. 57 de leg. I) und unzählige
andere Fälle.
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[264/0280] Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. B. Die juriſtiſche Oekonomie. Es wäre eine dankenswerthe Aufgabe, an der Hand dieſes Gedankens alle Verhältniſſe des öffentlichen und Privatrechts einer Durchſicht zu unterziehen, an reicher Ausbeute würde es nicht fehlen. 382) Für meine Zwecke genügt es, wenn ich den Gedanken ſelber und deſſen Bedeutung für unſern gegenwärtigen Geſichtspunkt in das richtige Licht geſetzt habe. Daß das Mittel ein künſtliches war, daß mit dem gegen die Perſonen gerichte- ten Zwange auch den Rechtsbegriffen Zwang angeſchah, wird aus dem Bisherigen erhellen. In den meiſten Fällen waren dieſe erzwungenen Handlungen von den Scheingeſchäften, denen wir uns jetzt zuwenden, wenig verſchieden. Den Scheingeſchäften haben wir ſchon bei einer frühern Gelegenheit (B. 2 S. 554 fl.) unſere Aufmerkſamkeit zugewandt, der dort angelegte Geſichtspunkt des Formalismus war jedoch keineswegs ausreichend, um die Bedeutung, die ihnen für die Entwicklungsgeſchichte des römiſchen Rechts zukömmt, zu er- ſchöpfen. An gegenwärtiger Stelle betrachten wir ſie vom Standpunkt der juriſtiſchen Technik aus als Mittel für die Zwecke der juriſtiſchen Oekonomie. Von den dort genannten zwei Arten der Scheingeſchäfte: den originären und reſiduären ſchei- den daher die letztern, als jeglicher techniſcher Bedeutung baar, von unſerer Betrachtung aus; ſie ſind nichts als abgeſtorbene 382) So z. B. im öffentlichen Recht: die lex Maenia über die Ertheilung der auctoritas patrum — ein würdiges Seitenſtück zu der obigen auctoritas des Tutor — der Zwang zur Abdication des Magiſtrats; im Proceß: die Klage mit Vorbehalt der Compenſation (S. 79: cogitur, jubetur), der Ver- zicht auf die dem Kläger ſonſt noch zuſtändige, auf denſelben Zweck gerichtete Klage (Vorläufer der exc. doli bei der Concurrenz der Klagen), L. 9 pr. de novat. (46. 2) L. 10 §. 1 de pact. (2. 14) Vorbehalt zukünftiger Anſprüche im Proceß (S. 241), Theilung der Klage Gaj. III. 122, Zwang des Procu- rators L. 8 §. 3 seq. de proc. (3. 3); im Familienrecht: Aufhebung der manus bei der Eheſcheidung. Gaj. I. 137a, Conſens zur Ehe der Kinder L. 19 de R. N. (23. 2), im Obligationenrecht Ceſſionszwang (Vorläufer der act. utilis, L. 1 §. 13 de tut. et rat. 27. 3, L. 57 de leg. I) und unzählige andere Fälle.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/280>, abgerufen am 22.11.2024.