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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

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Die Schleichwege des Lebens. §. 57.

Wenn ich zunächst den Gesammteindruck, mit dem meine
Untersuchungen abgeschlossen haben, in ein Wort zusammen-
fassen soll, so besteht er in der Ueberzeugung, daß eins der
schwierigsten Probleme, die an den Gesetzgeber überhaupt her-
antreten können, das ist, sein Gesetz gegen Umgehungen sicher
zu stellen, und daß alle Kunst, die Er aufbietet, es zu schützen,
derjenigen die das Leben anwendet, es zu untergraben, zu
stürzen, zu vereiteln kaum gewachsen ist. Wer noch den Glau-
ben theilt, -- ein Glaube, von dem die Gesetzgeber selber nicht
selten nichts weniger als frei gewesen sind -- daß es einfach ge-
nüge, etwas zu gebieten oder zu verbieten, um den gewünschten
Erfolg zu erreichen, gleich als ob bloß die Schärfe des Schwer-
tes genüge, um zu treffen und nicht auch der wuchtigste Schlag
dadurch, daß der Gegner ihm ausweicht, zu einem bloßen Luft-
hieb werden kann -- wer also diesen Wahn noch theilt, der lese
das Blatt Geschichte, das ich ihm in Folgendem aufrollen
werde, um von demselben gründlich geheilt zu werden.

Die Klagen über die Unerschöpflichkeit der auf die Ver-
eitelung der Gesetze gerichteten List und die Erfolglosigkeit oder
wenigstens den geringen Erfolg der ihr entgegengestellten gesetz-
lichen Maßregeln wiederholen sich in Rom zu allen Zeiten, und
würde es an ausdrücklichen Aussprüchen fehlen, 339) die fort-
gesetzten Bemühungen, deren die Gesetzgebung und Jurisprudenz
bedurfte, um bei einem und demselben Verhältniß eine noth-
dürftige Sicherung zu bewirken, würden das beredteste Zeugniß
dafür ablegen. Kein Verhältniß, das nicht einer derartigen
fraudulösen Benutzung ausgesetzt gewesen wäre, nichts war
heilig, weder die Ehe, noch das elterliche Verhältniß, noch die

339) z. B. Tac. Ann. VI. 16 (bei Gelegenheit der Wuchergesetze)
multisque plebiscitis obviam itum fraudibus, quae toties repressae miras
per artes rursum oriebantur. L. 1 pr. Cod. de cad. toll. (6. 51) multas
invenientibus vias. Gaj. 1. 46 .. sunt etiam specialia SCa, quibus
rescissa sunt ea quae in fraudem ejus legis (Furiae Caniniae) excogitata
sunt
.
Die Schleichwege des Lebens. §. 57.

Wenn ich zunächſt den Geſammteindruck, mit dem meine
Unterſuchungen abgeſchloſſen haben, in ein Wort zuſammen-
faſſen ſoll, ſo beſteht er in der Ueberzeugung, daß eins der
ſchwierigſten Probleme, die an den Geſetzgeber überhaupt her-
antreten können, das iſt, ſein Geſetz gegen Umgehungen ſicher
zu ſtellen, und daß alle Kunſt, die Er aufbietet, es zu ſchützen,
derjenigen die das Leben anwendet, es zu untergraben, zu
ſtürzen, zu vereiteln kaum gewachſen iſt. Wer noch den Glau-
ben theilt, — ein Glaube, von dem die Geſetzgeber ſelber nicht
ſelten nichts weniger als frei geweſen ſind — daß es einfach ge-
nüge, etwas zu gebieten oder zu verbieten, um den gewünſchten
Erfolg zu erreichen, gleich als ob bloß die Schärfe des Schwer-
tes genüge, um zu treffen und nicht auch der wuchtigſte Schlag
dadurch, daß der Gegner ihm ausweicht, zu einem bloßen Luft-
hieb werden kann — wer alſo dieſen Wahn noch theilt, der leſe
das Blatt Geſchichte, das ich ihm in Folgendem aufrollen
werde, um von demſelben gründlich geheilt zu werden.

Die Klagen über die Unerſchöpflichkeit der auf die Ver-
eitelung der Geſetze gerichteten Liſt und die Erfolgloſigkeit oder
wenigſtens den geringen Erfolg der ihr entgegengeſtellten geſetz-
lichen Maßregeln wiederholen ſich in Rom zu allen Zeiten, und
würde es an ausdrücklichen Ausſprüchen fehlen, 339) die fort-
geſetzten Bemühungen, deren die Geſetzgebung und Jurisprudenz
bedurfte, um bei einem und demſelben Verhältniß eine noth-
dürftige Sicherung zu bewirken, würden das beredteſte Zeugniß
dafür ablegen. Kein Verhältniß, das nicht einer derartigen
fraudulöſen Benutzung ausgeſetzt geweſen wäre, nichts war
heilig, weder die Ehe, noch das elterliche Verhältniß, noch die

339) z. B. Tac. Ann. VI. 16 (bei Gelegenheit der Wuchergeſetze)
multisque plebiscitis obviam itum fraudibus, quae toties repressae miras
per artes rursum oriebantur. L. 1 pr. Cod. de cad. toll. (6. 51) multas
invenientibus vias. Gaj. 1. 46 .. sunt etiam specialia SCa, quibus
rescissa sunt ea quae in fraudem ejus legis (Furiae Caniniae) excogitata
sunt
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[249/0265] Die Schleichwege des Lebens. §. 57. Wenn ich zunächſt den Geſammteindruck, mit dem meine Unterſuchungen abgeſchloſſen haben, in ein Wort zuſammen- faſſen ſoll, ſo beſteht er in der Ueberzeugung, daß eins der ſchwierigſten Probleme, die an den Geſetzgeber überhaupt her- antreten können, das iſt, ſein Geſetz gegen Umgehungen ſicher zu ſtellen, und daß alle Kunſt, die Er aufbietet, es zu ſchützen, derjenigen die das Leben anwendet, es zu untergraben, zu ſtürzen, zu vereiteln kaum gewachſen iſt. Wer noch den Glau- ben theilt, — ein Glaube, von dem die Geſetzgeber ſelber nicht ſelten nichts weniger als frei geweſen ſind — daß es einfach ge- nüge, etwas zu gebieten oder zu verbieten, um den gewünſchten Erfolg zu erreichen, gleich als ob bloß die Schärfe des Schwer- tes genüge, um zu treffen und nicht auch der wuchtigſte Schlag dadurch, daß der Gegner ihm ausweicht, zu einem bloßen Luft- hieb werden kann — wer alſo dieſen Wahn noch theilt, der leſe das Blatt Geſchichte, das ich ihm in Folgendem aufrollen werde, um von demſelben gründlich geheilt zu werden. Die Klagen über die Unerſchöpflichkeit der auf die Ver- eitelung der Geſetze gerichteten Liſt und die Erfolgloſigkeit oder wenigſtens den geringen Erfolg der ihr entgegengeſtellten geſetz- lichen Maßregeln wiederholen ſich in Rom zu allen Zeiten, und würde es an ausdrücklichen Ausſprüchen fehlen, 339) die fort- geſetzten Bemühungen, deren die Geſetzgebung und Jurisprudenz bedurfte, um bei einem und demſelben Verhältniß eine noth- dürftige Sicherung zu bewirken, würden das beredteſte Zeugniß dafür ablegen. Kein Verhältniß, das nicht einer derartigen fraudulöſen Benutzung ausgeſetzt geweſen wäre, nichts war heilig, weder die Ehe, noch das elterliche Verhältniß, noch die 339) z. B. Tac. Ann. VI. 16 (bei Gelegenheit der Wuchergeſetze) multisque plebiscitis obviam itum fraudibus, quae toties repressae miras per artes rursum oriebantur. L. 1 pr. Cod. de cad. toll. (6. 51) multas invenientibus vias. Gaj. 1. 46 .. sunt etiam specialia SCa, quibus rescissa sunt ea quae in fraudem ejus legis (Furiae Caniniae) excogitata sunt.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/265>, abgerufen am 25.11.2024.