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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

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C. Die abstracte Analyse. Vereinfachung des Thatbestandes. §. 55.
Trennung indicirt ist und durch die Macht der Dinge gefordert
wird, lehrt der Umstand, daß die abstracte Obligation zu allen
Zeiten und auf allen Stufen der Rechtsentwicklung wiederkehrt,
im ältesten Rom wie im Mittelalter und in der Gegenwart, trotz
des Widerstandes, den Gesetzgebung und Theorie -- meiner
Ueberzeugung nach aus unzureichenden Gründen -- ihr nicht
selten entgegengesetzt haben.266) Ich werde nicht nöthig haben,
das was oben (S. 201) über den praktischen Nutzen dieser
Operation beim Eigenthum gesagt ist, in specieller Anwendung
auf die Obligation zu wiederholen. Nur eine Bemerkung kann
ich nicht unterdrücken. Es könnte nämlich scheinen, als ob der
dort hervorgehobene zweite Vortheil auf die Obligation keine
Anwendung fände, indem letztere sich nicht gleich dem Eigen-
thum, um mich so auszudrücken, auf die Wanderschaft bege-
ben kann, vielmehr stets auf die ursprünglich sich gegenüber-
stehenden Personen beschränkt bleiben müßte. Diese Vorstel-
lung ist eine irrige. Das Gegentheil lehrt nicht bloß unser mo-
derner Wechsel, dessen Circulationsfähigkeit der des Eigenthums
Nichts nachgibt, sondern auch die römische Obligation bei Ge-
legenheit der Delegation. Wie das Causalmoment des Eigen-
thums mit seinen rechtlichen Wirkungen bei dem Uebergang in
zweite Hand in dem Verhältniß des Gebers und Empfängers, so
bleibt in gleichem Fall das des Wechsels in dem des Ausstellers
und Nehmers, das der durch Delegation übertragenen Obliga-
tion in dem des Deleganten und Delegaten zurück -- Eigen-
thum, Wechsel, Obligation gehen frei und rein in die zweite
Hand über!267)

266) z. B. Justinian (Note 166). Ein Beispiel aus neuester Zeit bietet
der Begriff der Anerkennung, dessen Ausbreitung und Einbürgerung in un-
serer Praxis schwerlich durch theoretische Bedenken aufgehalten werden wird.
267) Ueber die Delegation s. L. 12 de novat. (46. 2) .. Sed si per
ignorantiam promiserit creditori, nulla quidem exceptione adversus
creditorem uti poterit, quia ille suum recepit, sed is qui delegavit, tene-
tur condictione caet. L. 19 ibid. Doli exceptio quae poterat deleganti

C. Die abſtracte Analyſe. Vereinfachung des Thatbeſtandes. §. 55.
Trennung indicirt iſt und durch die Macht der Dinge gefordert
wird, lehrt der Umſtand, daß die abſtracte Obligation zu allen
Zeiten und auf allen Stufen der Rechtsentwicklung wiederkehrt,
im älteſten Rom wie im Mittelalter und in der Gegenwart, trotz
des Widerſtandes, den Geſetzgebung und Theorie — meiner
Ueberzeugung nach aus unzureichenden Gründen — ihr nicht
ſelten entgegengeſetzt haben.266) Ich werde nicht nöthig haben,
das was oben (S. 201) über den praktiſchen Nutzen dieſer
Operation beim Eigenthum geſagt iſt, in ſpecieller Anwendung
auf die Obligation zu wiederholen. Nur eine Bemerkung kann
ich nicht unterdrücken. Es könnte nämlich ſcheinen, als ob der
dort hervorgehobene zweite Vortheil auf die Obligation keine
Anwendung fände, indem letztere ſich nicht gleich dem Eigen-
thum, um mich ſo auszudrücken, auf die Wanderſchaft bege-
ben kann, vielmehr ſtets auf die urſprünglich ſich gegenüber-
ſtehenden Perſonen beſchränkt bleiben müßte. Dieſe Vorſtel-
lung iſt eine irrige. Das Gegentheil lehrt nicht bloß unſer mo-
derner Wechſel, deſſen Circulationsfähigkeit der des Eigenthums
Nichts nachgibt, ſondern auch die römiſche Obligation bei Ge-
legenheit der Delegation. Wie das Cauſalmoment des Eigen-
thums mit ſeinen rechtlichen Wirkungen bei dem Uebergang in
zweite Hand in dem Verhältniß des Gebers und Empfängers, ſo
bleibt in gleichem Fall das des Wechſels in dem des Ausſtellers
und Nehmers, das der durch Delegation übertragenen Obliga-
tion in dem des Deleganten und Delegaten zurück — Eigen-
thum, Wechſel, Obligation gehen frei und rein in die zweite
Hand über!267)

266) z. B. Juſtinian (Note 166). Ein Beiſpiel aus neueſter Zeit bietet
der Begriff der Anerkennung, deſſen Ausbreitung und Einbürgerung in un-
ſerer Praxis ſchwerlich durch theoretiſche Bedenken aufgehalten werden wird.
267) Ueber die Delegation ſ. L. 12 de novat. (46. 2) .. Sed si per
ignorantiam promiserit creditori, nulla quidem exceptione adversus
creditorem uti poterit, quia ille suum recepit, sed is qui delegavit, tene-
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[205/0221] C. Die abſtracte Analyſe. Vereinfachung des Thatbeſtandes. §. 55. Trennung indicirt iſt und durch die Macht der Dinge gefordert wird, lehrt der Umſtand, daß die abſtracte Obligation zu allen Zeiten und auf allen Stufen der Rechtsentwicklung wiederkehrt, im älteſten Rom wie im Mittelalter und in der Gegenwart, trotz des Widerſtandes, den Geſetzgebung und Theorie — meiner Ueberzeugung nach aus unzureichenden Gründen — ihr nicht ſelten entgegengeſetzt haben. 266) Ich werde nicht nöthig haben, das was oben (S. 201) über den praktiſchen Nutzen dieſer Operation beim Eigenthum geſagt iſt, in ſpecieller Anwendung auf die Obligation zu wiederholen. Nur eine Bemerkung kann ich nicht unterdrücken. Es könnte nämlich ſcheinen, als ob der dort hervorgehobene zweite Vortheil auf die Obligation keine Anwendung fände, indem letztere ſich nicht gleich dem Eigen- thum, um mich ſo auszudrücken, auf die Wanderſchaft bege- ben kann, vielmehr ſtets auf die urſprünglich ſich gegenüber- ſtehenden Perſonen beſchränkt bleiben müßte. Dieſe Vorſtel- lung iſt eine irrige. Das Gegentheil lehrt nicht bloß unſer mo- derner Wechſel, deſſen Circulationsfähigkeit der des Eigenthums Nichts nachgibt, ſondern auch die römiſche Obligation bei Ge- legenheit der Delegation. Wie das Cauſalmoment des Eigen- thums mit ſeinen rechtlichen Wirkungen bei dem Uebergang in zweite Hand in dem Verhältniß des Gebers und Empfängers, ſo bleibt in gleichem Fall das des Wechſels in dem des Ausſtellers und Nehmers, das der durch Delegation übertragenen Obliga- tion in dem des Deleganten und Delegaten zurück — Eigen- thum, Wechſel, Obligation gehen frei und rein in die zweite Hand über! 267) 266) z. B. Juſtinian (Note 166). Ein Beiſpiel aus neueſter Zeit bietet der Begriff der Anerkennung, deſſen Ausbreitung und Einbürgerung in un- ſerer Praxis ſchwerlich durch theoretiſche Bedenken aufgehalten werden wird. 267) Ueber die Delegation ſ. L. 12 de novat. (46. 2) .. Sed si per ignorantiam promiserit creditori, nulla quidem exceptione adversus creditorem uti poterit, quia ille suum recepit, sed is qui delegavit, tene- tur condictione caet. L. 19 ibid. Doli exceptio quae poterat deleganti

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/221>, abgerufen am 05.05.2024.