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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865.

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Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
hob. 139) Jetzt erst war der Zweck des Gesetzes vollständig er-
reicht! Was half es dem Gläubiger, wenn auch die Abhängig-
keit, in die er den Schuldner zu versetzen gewußt hatte, ihn
seiner vergewisserte? Jeder andere konnte ihm das Loos be-
reiten, welches das Gesetz ihm zugedacht hatte; es war eine
Prämie darauf gesetzt, ihn zur Verantwortung zu ziehen. Damit
war also der Schuldner gewissermaßen unter öffentlichen Schutz
gestellt -- in der That ein eben so ingeniöses, als wirksames
Mittel, den Druck, den der Gläubiger auf ihn ausübte, zu para-
lysiren. Daß das Motiv, welches regelmäßig zur Anstellung
einer solchen Klage bestimmte, nicht auf jenen Zweck gerichtet
war, 140) daß der Kläger sehr häufig, weit entfernt bei Anstellung
der Klage das Interesse des Schuldners zu verfolgen, sich lediglich
durch die Aussicht auf den von der öffentlichen Moral für nichts
weniger als ehrenhaft bezeichneten eigenen Erwerb leiten ließ,
that der Wirksamkeit des Mittels nicht im Mindesten Abbruch.
Gerade im Gegentheil, daß das Gesetz das Motiv so niedrig ge-
griffen, daß es nicht, wie in so manchen andern ähnlichen Fällen,
z. B. der postulatio suspecti tutoris an ein sittliches Motiv,
die Theilnahme für einen Hülflosen, sondern an die schnödeste
Art der Erwerbsucht appellirt hatte, gerade dieser Umstand
sicherte der Einrichtung den gewünschten Erfolg, denn es rief in
ihrem Dienste die ganze Betriebsamkeit, Rührigkeit, Rücksichts-
losigkeit auf, über die der Eigennutz gebietet, wenn er das
Gefühl der Scham verloren hat. Wer sich einmal zu dem ver-
achteten Gewerbe eines Quadruplator 141) herabgelassen hatte,

139) Das prätorische Edict nahm diesen Gedanken für einige Fälle auf,
so z. B. für die act. sepulcri violati, welche zunächst dem Betheiligten und
nach ihm Jedem, der Lust hat, versprochen wird L. 3 pr. §. 12 de sep. viol.
(47. 12), ebenso L. 5 §. 5 de his qui effud. (9. 3). Hiermit hängt vielleicht
auch die exc. quasi popularis der lex Cincia (Vat. fr. §. 266) zusammen.
140) den übrigens Plautus in der Note 132 citirten Stelle ausdrücklich
anerkennt: nam publicae rei causa quicunque id facit magis, quam sui
quaesti ... eum civem et fidelem esse et bonum
.
141) Der Quadruplator bemächtigt sich eines fremden Processes (Liv. III.

Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik.
hob. 139) Jetzt erſt war der Zweck des Geſetzes vollſtändig er-
reicht! Was half es dem Gläubiger, wenn auch die Abhängig-
keit, in die er den Schuldner zu verſetzen gewußt hatte, ihn
ſeiner vergewiſſerte? Jeder andere konnte ihm das Loos be-
reiten, welches das Geſetz ihm zugedacht hatte; es war eine
Prämie darauf geſetzt, ihn zur Verantwortung zu ziehen. Damit
war alſo der Schuldner gewiſſermaßen unter öffentlichen Schutz
geſtellt — in der That ein eben ſo ingeniöſes, als wirkſames
Mittel, den Druck, den der Gläubiger auf ihn ausübte, zu para-
lyſiren. Daß das Motiv, welches regelmäßig zur Anſtellung
einer ſolchen Klage beſtimmte, nicht auf jenen Zweck gerichtet
war, 140) daß der Kläger ſehr häufig, weit entfernt bei Anſtellung
der Klage das Intereſſe des Schuldners zu verfolgen, ſich lediglich
durch die Ausſicht auf den von der öffentlichen Moral für nichts
weniger als ehrenhaft bezeichneten eigenen Erwerb leiten ließ,
that der Wirkſamkeit des Mittels nicht im Mindeſten Abbruch.
Gerade im Gegentheil, daß das Geſetz das Motiv ſo niedrig ge-
griffen, daß es nicht, wie in ſo manchen andern ähnlichen Fällen,
z. B. der postulatio suspecti tutoris an ein ſittliches Motiv,
die Theilnahme für einen Hülfloſen, ſondern an die ſchnödeſte
Art der Erwerbſucht appellirt hatte, gerade dieſer Umſtand
ſicherte der Einrichtung den gewünſchten Erfolg, denn es rief in
ihrem Dienſte die ganze Betriebſamkeit, Rührigkeit, Rückſichts-
loſigkeit auf, über die der Eigennutz gebietet, wenn er das
Gefühl der Scham verloren hat. Wer ſich einmal zu dem ver-
achteten Gewerbe eines Quadruplator 141) herabgelaſſen hatte,

139) Das prätoriſche Edict nahm dieſen Gedanken für einige Fälle auf,
ſo z. B. für die act. sepulcri violati, welche zunächſt dem Betheiligten und
nach ihm Jedem, der Luſt hat, verſprochen wird L. 3 pr. §. 12 de sep. viol.
(47. 12), ebenſo L. 5 §. 5 de his qui effud. (9. 3). Hiermit hängt vielleicht
auch die exc. quasi popularis der lex Cincia (Vat. fr. §. 266) zuſammen.
140) den übrigens Plautus in der Note 132 citirten Stelle ausdrücklich
anerkennt: nam publicae rei causa quicunque id facit magis, quam sui
quaesti … eum civem et fidelem esse et bonum
.
141) Der Quadruplator bemächtigt ſich eines fremden Proceſſes (Liv. III.
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[108/0124] Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die Technik. A. Die Analytik. hob. 139) Jetzt erſt war der Zweck des Geſetzes vollſtändig er- reicht! Was half es dem Gläubiger, wenn auch die Abhängig- keit, in die er den Schuldner zu verſetzen gewußt hatte, ihn ſeiner vergewiſſerte? Jeder andere konnte ihm das Loos be- reiten, welches das Geſetz ihm zugedacht hatte; es war eine Prämie darauf geſetzt, ihn zur Verantwortung zu ziehen. Damit war alſo der Schuldner gewiſſermaßen unter öffentlichen Schutz geſtellt — in der That ein eben ſo ingeniöſes, als wirkſames Mittel, den Druck, den der Gläubiger auf ihn ausübte, zu para- lyſiren. Daß das Motiv, welches regelmäßig zur Anſtellung einer ſolchen Klage beſtimmte, nicht auf jenen Zweck gerichtet war, 140) daß der Kläger ſehr häufig, weit entfernt bei Anſtellung der Klage das Intereſſe des Schuldners zu verfolgen, ſich lediglich durch die Ausſicht auf den von der öffentlichen Moral für nichts weniger als ehrenhaft bezeichneten eigenen Erwerb leiten ließ, that der Wirkſamkeit des Mittels nicht im Mindeſten Abbruch. Gerade im Gegentheil, daß das Geſetz das Motiv ſo niedrig ge- griffen, daß es nicht, wie in ſo manchen andern ähnlichen Fällen, z. B. der postulatio suspecti tutoris an ein ſittliches Motiv, die Theilnahme für einen Hülfloſen, ſondern an die ſchnödeſte Art der Erwerbſucht appellirt hatte, gerade dieſer Umſtand ſicherte der Einrichtung den gewünſchten Erfolg, denn es rief in ihrem Dienſte die ganze Betriebſamkeit, Rührigkeit, Rückſichts- loſigkeit auf, über die der Eigennutz gebietet, wenn er das Gefühl der Scham verloren hat. Wer ſich einmal zu dem ver- achteten Gewerbe eines Quadruplator 141) herabgelaſſen hatte, 139) Das prätoriſche Edict nahm dieſen Gedanken für einige Fälle auf, ſo z. B. für die act. sepulcri violati, welche zunächſt dem Betheiligten und nach ihm Jedem, der Luſt hat, verſprochen wird L. 3 pr. §. 12 de sep. viol. (47. 12), ebenſo L. 5 §. 5 de his qui effud. (9. 3). Hiermit hängt vielleicht auch die exc. quasi popularis der lex Cincia (Vat. fr. §. 266) zuſammen. 140) den übrigens Plautus in der Note 132 citirten Stelle ausdrücklich anerkennt: nam publicae rei causa quicunque id facit magis, quam sui quaesti … eum civem et fidelem esse et bonum. 141) Der Quadruplator bemächtigt ſich eines fremden Proceſſes (Liv. III.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 3, Bd. 1. Leipzig, 1865, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht03_1865/124>, abgerufen am 23.11.2024.